Das afrikanische Erbe Mexikos
Beweis des Unsichtbaren

Rassismus – Jedes Jahr Anfang Dezember beginnen in Mexiko die traditionellen Feiern zur Verehrung der Jungfrau von Guadalupe
Jedes Jahr Anfang Dezember beginnen in Mexiko die traditionellen Feiern zur Verehrung der Jungfrau von Guadalupe | Foto (Detail): Hector Adolfo © picture alliance / ZUMAPRESS.com

Die Fusion der indigenen Kultur mit der spanischen ist in Mexiko präsent, das Erbe der afrikanischstämmigen Bevölkerung des Landes jedoch unsichtbar. Dabei hat diese Gemeinschaft einen enormen Beitrag für eines der wichtigsten Symbole der mexikanischen Identität und Kultur geleistet: die Jungfrau von Guadalupe.

Von Veka Duncan

Die Jungfrau von Guadalupe ist als Bastion des gemischten ethnischen Erbes der Mexikaner*innen anerkannt. In unserer Vorstellung scheint sie jedoch nur die Fusion der indigenen Kultur mit der spanischen zu repräsentieren. In dieser Geschichte gibt es aber eine dritte, ausgeschlossene, Gruppe: die afrikanischstämmige Bevölkerung. Ungeachtet verstärkter Bestrebungen, deren Erbe in Mexiko sichtbar zu machen, hat sie bisher nicht genügend Anerkennung gefunden. Dabei hat diese Gemeinschaft einen enormen Beitrag für die Konstruktion eines der wichtigsten Symbole der mexikanischen Identität und Kultur geleistet: die Jungfrau von Guadalupe.
 
Einer der bekanntesten Fälle, die Bedeutung der der afrikanischstämmigen Wurzel Mexikos sichtbar zu machen, ist der von Juan Correa. Dem neuspanischen Maler gelang es, innerhalb der Hierarchie seiner Zunft bis zum Meister aufzusteigen und über seine eigene Werkstatt mit Lehrlingen zu verfügen. Im Narrativ über die Geschichte der Kunst des Vizekönigreiches und ebenfalls in den Studien über die neuspanische Gesellschaft musste Correa dafür herhalten, als Beispiel für die soziale Mobilität seiner Kaste in Neu-Spanien zu dienen. Es ist richtig, dass Correa nicht der einzige „Mulatte“, „Mohr“ oder „Pardo“ (Dunkelhäutiger) in der Malerei war, jedoch ist sein Fall außergewöhnlich. Darum spiegelt er nicht die Erfahrung der Mehrheit der afrikanischstämmigen Bevölkerung im Vizekönigreich wider. Die Außergewöhnlichkeit erlaubt es, uns den Anliegen der afrikanischstämmigen Kasten zu nähern. Darunter befindet sich auch die ihrer Darstellung in der bildenden Kunst ihrer Epoche.
 

Rassismus – Bildnis der „Virgen de Guadalupe“ (Jungfrau von Guadalupe) gemalt von Miguel Cabrera (1695–1768). Der Legende nach begegnete dem indigenen Bauern Diego Cuahtlaotoatzin im Jahre 1531 eine Marienerscheinung. Seither wird sie, insbesondere in Mexiko, über alle Maßen verehrt.
Bildnis der „Virgen de Guadalupe“ (Jungfrau von Guadalupe) gemalt von Miguel Cabrera (1695–1768). Der Legende nach begegnete dem indigenen Bauern Diego Cuahtlaotoatzin im Jahre 1531 eine Marienerscheinung. Seither wird sie, insbesondere in Mexiko, über alle Maßen verehrt. | Joseph Martin © picture alliance / akg-images
Unter den Künstlern mit afrikanischer Abstammung im Gremium der neuspanischen Maler ragen neben Juan Cabrera die Namen von José de Ibarra und Miguel Cabrera heraus. Vergleichen wir ihr Werk, stellen wir überraschend fest, dass alle drei „mulattischen“ Maler ein Thema teilten: das der Jungfrau von Guadalupe. Zur Konstruktion deren Erscheinungsbildes trugen die afrikanischstämmigen Maler Neu-Spaniens entscheidend bei. Das Interesse dieser Künstler, die Jungfrau von Guadalupe darzustellen, kann natürlich dem religiösen und gesellschaftlichen Kontext zugeschrieben werden. Aber es ruft nach wie vor Aufmerksamkeit hervor, dass sie so einen bemerkenswerten Einfluss auf ihre Ikonografie haben sollten. Es handelt sich schließlich um die „dunkelhäutige Jungfrau”, wie sie im Volksmund genannt wird. Mehr noch: Wir müssen berücksichtigen, wie einige dieser Maler dafür Sorge trugen, Spuren ihrer Kasten in ihren Gemälden zu hinterlassen. Sei es, indem Figuren mit dunkler Hautfarbe dargestellt werden oder sei es, dass der Maler wie im Fall von Juan Correa mit seiner Unterschrift seinen gesellschaftlichen Stand bekräftigt: „Freier Mulatte, Malermeister“.
 
Wir wissen, dass Correa der erste Maler war, der eine Kopie vom ursprünglichen Stoffbildnis der Jungfrau von Guadalupe erstellte. Von diesem Zeitpunkt an sollte er zahlreiche weitere Werke anfertigen, die mit ihrer Verehrung verbunden waren und mit denen er den Kult um das Gnadenbild anstieß. Doch es war nicht das erste Mal, dass Juan Correa „dunkelhäutige“ Gesichter in sein Werk integrierte. Häufig finden wir danach in seinen Malereien Figuren, die vielleicht eine unbedeutende Rolle in der Komposition innehaben, aber deutlich afrikanischstämmige Züge tragen – ein Beispiel sind die Engelknaben. Diese ethnische Diversität, die er in seinen Werken präsentiert, zeigt zusammen mit der Insistenz, seine Kaste als Teil seiner Unterschrift zu erwähnen, die Absicht, seine Gemeinschaft in der Kunst vertreten zu sehen. Dieses Anliegen, die afrikanischstämmige Bevölkerung zu repräsentieren, überrascht angesichts der biografischen Daten, die es zu dem Maler gibt, wenig.

„Es war nicht das erste Mal, dass Juan Correa ‚dunkelhäutige‘ Gesichter in sein Werk integrierte. Häufig finden wir danach in seinen Malereien Figuren, die [...] deutlich afrikanischstämmige Züge tragen [...]. Diese ethnische Diversität, die er in seinen Werken präsentiert, zeigt die Absicht, seine Gemeinschaft in der Kunst vertreten zu sehen.“

Was das familiäre Umfeld Juan Correas angeht, wissen wir über den Vater, dass dieser ebenfalls außergewöhnlich war. Nicht nur handelte es sich um einen afrikanischstämmigen Mann, der es bis zum Chirurgen am Inquisitionsgericht und Arzt der Königlichen und Päpstlichen Universität von Mexiko brachte. Er war zudem der erste Arzt in Neu-Spanien, der eine Leichensezierung vornahm. Von seiner Mutter Pascuala de Santoyo ist bekannt, dass sie ebenfalls afrikanischstämmig war und sich selbst als „dunkelhäutige“ Tochter „schwarzer“ Eltern bezeichnete. Dies könnte sein Anliegen erklären, die ethnische Diversität Neu-Spaniens in seinen Werken repräsentiert und somit von der Gesellschaft seiner Epoche anerkannt zu sehen.
 
Rassismus – Tausende von Pilger*innen erreichen die Basilika von Guadalupe in Mexiko-Stadt, am Dienstag, den 11. Dezember 2018, im Rahmen der religiösen Feier der Jungfrau von Guadalupe
Tausende von Pilger*innen erreichen die Basilika von Guadalupe in Mexiko-Stadt, am Dienstag, den 11. Dezember 2018, im Rahmen der religiösen Feier der Jungfrau von Guadalupe | Agencia EL UNIVERSALAriel OjedaEVZ © picture alliance / ZUMAPRESS.com
José de Ibarra war ein weiterer „mulattischer“ Maler, der eine fundamentale Rolle dabei spielte, die Verehrung der Jungfrau von Guadalupe zu befördern und ihre Ikonografie zu konstruieren. Schüler Correas sowie Sohn eines „maurischen“ Barbiers und einer „freien Mulattin“, erlangte Ibarra ebenfalls große Anerkennung unter den neuspanischen Malern. Man kann jedoch sagen, dass er mit steigendem Ansehen unter seinen Zeitgenossen seine afrikastämmige Herkunft verleugnete, denn in den Dokumenten, die über den Maler bekannt sind, wies er sich selber als „Spanier“ aus. Diese Tatsache ist auch als Zeichen des sozialen Aufstiegs interpretiert worden, den die afrikanischstämmigen Kasten durch Berufe wie die der Malerei erreichen konnten.
 
Auch wenn er sich nicht selbst als „Mulatte“ bezeichnete, ist es interessant, dass es sich bei Ibarra wie Correa um einen weiteren afrikanischstämmigen Maler handelt, der Gemälde produzierte, die sich der Jungfrau von Guadalupe widmeten. Eines davon wurde für die Prozession ausgewählt, die am 9. November 1756 in Mexiko-Stadt die Bestätigung der Jungfrau von Guadalupe als Schutzheilige des Reiches Neu-Spanien feierte. Die Arbeit war ein Jahrzehnt zuvor für eine Kapelle der Hauptstadt-Kathedrale angefertigt worden und ihre Auswahl verdankt sie wahrscheinlich der Tatsache, dass sie zwei Seiten hatte: auf der einen Seite die Jungfrau von Guadalupe und auf der anderen Juan Diego, der Indigene, dem die Jungfrau am Hügel von Tepeyac erschien. Was diese Feier anbelangt, erregt eine weitere Information Aufmerksamkeit: die Anwesenheit aller Kasten und ethnischen Gruppen in der Prozession. Vorne weg marschierte die Gemeinschaft der „Schwarzen“, gefolgt von den „Mulatten“, den  „Indios“ und schließlich den Spaniern. Die Verbindung der Jungfrau von Guadalupe mit der ethnischen Diversität Neu-Spaniens und damit auch Mexikos wird in dieser Feierlichkeit überaus deutlich: nicht nur wegen der Form, in der die Prozession durchgeführt wurde, sondern ebenfalls durch die Wahl des Werkes von José de Ibarra, das Juan Diego eine Protagonistenrolle verleiht.
Rassismus – Die Jungfrau von Guadalupe genießt in Mexiko einen regelrechten Kultstatus. Bedruckte T-Shirts und allerhand Souvenirs gehören natürlich dazu.
Die Jungfrau von Guadalupe genießt in Mexiko einen regelrechten Kultstatus. Bedruckte T-Shirts und allerhand Souvenirs gehören natürlich dazu. | Agencia EL UNIVERSAL/Germán Espinosa/RCC © picture alliance / ZUMAPRESS.com
Wenn wir von der Ikonografie und der Verehrung der Jungfrau von Guadalupe sprechen, ist es schließlich unerlässlich, folgende Persönlichkeit zu erwähnen: Miguel Cabrera, der Maler der Jungfrau von Guadalupe par excellence und möglicherweise afrikanischer Abstammung. Wenn auch sehr wenig über seine Herkunft bekannt ist, wird allgemein angenommen, dass er „Mulatte“ war. In einem ihm zugeschriebenen Taufschein ist dokumentiert, dass seine Eltern unbekannt waren und er von „mulattischen“ Taufpaten adoptiert wurde. Es könnte sich auch um einen Fall ähnlich dem José de Ibarras handeln, indem sein Prestige als Maler ihm die Anerkennung als „Spanier“ verschaffte. Selbst wenn wir Cabrera nicht mit Gewissheit als „mulattischen“ Maler bezeichnen können, ist es doch interessant, dass er ein weiterer Name ist, der mit dieser Kaste in Verbindung gebracht wird und einen bleibenden Eindruck bei der Darstellung der Jungfrau von Guadalupe in der bildenden Kunst Neu-Spaniens hinterlassen hat. 
 
Das Interesse der „mulattischen“ Maler des Vizekönigreiches, die Jungfrau von Guadalupe darzustellen, stellt den afrikanischstämmigen Einfluss bei der Konstruktion der Symbole heraus, die nach wie vor identitätsstiftend unter den Mexikaner*innen sind. Aber historisch gesehen haben wir diejenigen ausgeschlossen, die nicht nur Teil unseres ethnischen und kulturellen Mestizentums sind, sondern die ihm mit ihren Pinseln einen Ausdruck verliehen.
 

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