YouTube-Vlogs
Politik für Digital Natives
Ihre Formate heißen „MrWissen2Go“ oder „Jung & Naiv“, ihre Videos erscheinen regelmäßig auf Youtube und erreichen Millionen von deutschen Jugendlichen. Dabei geht es den Vloggern nicht um Musik, Computerspiele oder Life-Style. Es geht um: Politik.
Von Petra Schönhöfer
Es ist Sommer 2015, die politische und gesellschaftliche Debatte in Deutschland kreist um die Flüchtlingskrise. Keine einfache Zeit für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es ist die Zeit, in der sie sich das erste Mal von einem erfolgreichen Youtuber interviewen lässt. Mit den renommierten Politikjournalisten, die die Kanzlerin für gewöhnlich umgeben, hat der Vlogger LeFloid so gar nichts gemein. Entsprechend hagelt es nach der Ausstrahlung des Interviews auf Youtube im Juli 2015 auch Kritik: Zu harmlos seien seine Fragen gewesen, zu brav der Interviewstil. Ausgebildeter Politjournalist ist LeFloid nicht, und schon zuvor wurde ihm wiederholt vorgeworfen, Informationen zu unreflektiert weiterzuverbreiten.
Die wichtigste Plattform für Bewegtbild
Seinen Erfolg unter jungen Usern hat das bisher nicht geschmälert. Über fünf Millionen Aufrufe gab es für den Youtube-Coup – wesentlich mehr als für jedes Sommerinterview der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Der Berliner LeFloid, mit bürgerlichem Namen Florian Mundt, ist ein Star seiner Branche. Gegenstand seiner Videobeiträge ist nicht Musik, sind nicht Spiele oder Lifestyle-Themen. Der studierte Pädagoge und Psychologe vermittelt Politik in etwa zehnminütigen Clips, den LeNews. Seit 2007 kommentiert er dabei das aktuelle Nachrichtengeschehen in einer One-Man-Show, die durch lebhafte Körpersprache und pointiert-flapsige Ausdrucksweise in die Nähe eines Poetry Slams rückt. 3,1 Millionen Abonnenten schauen ihm dabei zu und generieren bisher fast 630 Millionen Seitenaufrufe. Damit gehört LeFloid zu den meistabonnierten Youtube-Kanälen Deutschlands.
Doch er war und ist nicht der einzige Youtuber, der politische Inhalte vermittelt. Einige Formate verschwanden zwar genauso so schnell, wie sie entstanden, aber viele freuen sich über steigende Abonnentenzahlen unter vor allem jugendlichen Usern. Laut der JIM-Studie 2017 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest ist Youtube „unbestritten bei Jugendlichen die wichtigste Plattform für Bewegtbildinhalte“. 88 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren nutzen demnach YouTube mindestens mehrmals pro Woche, 63 Prozent täglich. Etwa ein Drittel dieser Altersgruppe sehen sich dabei Videos zu aktuellen Nachrichten an.
„MrWissen2Go“: Durchschnittsalter 19 bis 21 Jahre
Die jungen Digital Natives schalten also nicht unbedingt die Tagesschau an, wenn sie Nachrichten sehen möchten; viele sind noch nicht einmal wahlberechtigt. Das bedeutet aber nicht, dass sie politikverdrossen oder weniger informiert sind. Sie mit neuen Formaten aktiv am politischen Diskurs zu beteiligen – das ist die Motivation, mit denen Youtuber wie Mirko Drotschmann, bekannt als MrWissen2Go, antreten. „Was mich bei der Arbeit mit Youtube motiviert, sind die vielen Reaktionen der Zuschauerinnen und Zuschauer“, erklärt der Journalist, Historiker und Autor, der mit seinem Kanal seit 2012 regelmäßig auf Sendung geht. „Ich kann direkt sehen, wie ein Video ankommt und auf Wünsche und Vorschläge eingehen. Besonders freut es mich dabei, wenn ich sehe, dass ich mit einem Video eine Diskussion auslösen und zum Nachdenken anregen kann.“
Im Gegensatz zu LeFloid stammen seine Themen nicht nur aus dem Pool tagesaktueller Schlagzeilen, sondern sind auch mal weitreichender angelegt. „Was passiert, wenn in Deutschland Krieg ausbricht?“ oder „Wer ist Wladimir Putin?“ fragt Drotschmann in seinen Videos. Er tut dies in der Regel vor einem weißen Hintergrund, ähnlich einer Schultafel, auf dem Zahlen oder Bildmaterial eingeblendet werden. Gute zehn Minuten, in denen das jeweilige Wissen sachlich und faktengestützt, aber vor allem allgemeinverständlich vermittelt wird. Das wirkt seriöser als bei LeFloid, erfreut sich aber ebenfalls großer Beliebtheit unter den über 720.000 Abonnenten im Durchschnittsalter von 19 bis 21 Jahren.
Ort zur politischen Meinungsbildung
Seit 2017 wird MrWissen2go von funk produziert. funk ist ein Gemeinschaftsangebot der beiden deutschen Fernsehsender ARD und ZDF.Unter diesem Dach werden rund 60 Internetkanäle für die Altersklasse 14 bis 29 Jahre zur Verfügung gestellt, darunter politische Formate wie Informr, Reporter, YKollektiv, Jäger&Sammler. Hier sendet auch eine der wenigen weiblichen Youtube-Vloggerinnen im politischen Bereich, die 27-jährige Kommunikationswissenschaftlerin Eva Schulz. Deutschland3000 heißt ihr Kanal, auf dem sie Themen von Antisemitismus bis Müllvermeidung im Stil einer Reporterin im Außeneinsatz temporeich und angriffslustig vermittelt. Wird sie gefragt, warum sie Politik auf Youtube erklärt, lautet die Antwort: „Es gibt im Netz einfach nicht genug Orte, wo ich als junger Mensch hinschauen kann, um mir eine Meinung zum politischen Geschehen zu bilden.“
Im Gegensatz zu den von funk produzierten Youtubern ist Tilo Jung ein Einzelkämpfer. Entsprechend kämpferisch bezeichnet er, der eine klassische journalistische Ausbildung durchwanderte, sich selbst als „freier Chefredakteur“. Inhaltlich unabhängig von den großen Rundfunkhäusern zu sein ist ihm wichtig, weshalb er zur Finanzierung seines Kanals Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte auf Sponsoren angewiesen ist. Auch in der Form seiner Beiträge unterscheidet er sich von vielen seiner Kollegen auf Youtube. Er führt Interviews und sendet sie ungeschnitten, was mit Sendezeiten bis zu zwei Stunden eigentlich nicht Youtube-kompatibel ist. Auch die Beiträge für seine Serie Bundesregierung für Desinteressierte, in der er Bundespressekonferenzen in Originallänge überträgt und als Anwesender selbst Fragen an die Abgeordneten stellt, sind im Schnitt rund eine Stunde lang. Doch die Abonnentenzahlen geben ihm Recht, ebenso die lange Reihe prominenter Interviewpartner: Über 350 Interview-Folgen sind Anfang 2018 online, in denen Jung kaum eine Person des öffentlich-politischen Lebens in Deutschland auslässt. Im doppelten Wortsinn, denn seine Rolle als dumm-dreister Frager, der seinem Interviewpartner gerne mal unangenehm auf die Pelle rückt, ist mittlerweile Kult.