Worlds of Homelessness
Informal Studio
Ein Unterrichtsexperiment aus Johannesburg, das formelle und informelle Wohnprozesse zusammenbringt. Das [in] formal Studio überträgt akademische Ausbildung in reale Situationen des informellen Urbanismus und geht dabei Partnerschaften mit Bewohnern als aktive Akteure der Entwicklung ein.
Diese Kurse wurden von 26'10 south Architects an der Universität von Johannesburg entwickelt und stellen den Höhepunkt des Forschungsprojekts „Housing and the Informal City“ von 26'10 south Architects in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in Johannesburg dar.
Von Thorsten Deckler
Die Geburtsstunde der Stadt Johannesburg war im Jahr 1886, als man auf einem Plateau in der Savanne Gold gefunden hatte. Alsbald sollte sich die Stadt zu einer wirtschaftlichen Großmacht auf dem afrikanischen Kontinent entwickeln. Zur Zeit der Apartheid fand in der Stadt eine strikte Rassentrennung statt, und schließlich war man hier durch internationale Sanktionen vom Rest der Welt abgeschottet. Mit der Einführung der Demokratie im Jahr 1994 wurde die Stadt dann wieder wirtschaftlich attraktiv, auch über Afrika hinaus. Nach nunmehr 25 Jahren Demokratie gilt Johannesburg inzwischen als kreative Hauptstadt der südlichen Hemisphäre, aber auch als eine Stadt, in der extrem viel Ungleichheit herrscht. Genau in diesem Widerspruch leben und arbeiten wir als Architekten.
Der Mangel an öffentlicher Sicherheit sowie vernünftigen Schul-, Wohnungs- und Gesundheitskonzepten hat bislang private Investoren nur dazu ermuntert, eine Architektur zu unterstützen, die die Stadtlandschaft für einige wenige Menschen, die es sich leisten können, sicher gestaltet und vom Elend abtrennt. Trotz ehrgeiziger Projekte, ärmere Viertel zu modernisieren, einem langsam entstehenden öffentlichen Nahverkehr und dem Bau tausender staatlich subventionierter Häuser ist in vielen Köpfen das während der Apartheit aufgestellte Schema noch präsent. So sind hier immer noch viele Menschen auf sich selbst angewiesen, wenn es darum geht, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, und dazu zählt auch das Wohnen.
Es fehlen in Südafrika laut einer Statistik aus dem Jahr 2012 rund 2,3 Millionen Häuser. Das hat dazu geführt, dass die Menschen ihre eigenen Häuser und Stadtviertel bauen. Wir als ausgebildete Architekten, die sich an Vorschriften und Regeln halten müssen, betrachten diese Häuser Marke Eigenbau als illegal. Zehn der weltweit am schnellsten wachsenden Städte liegen in Afrika, und man geht davon aus, dass 75 % der Stadtentwicklung inoffiziell ablaufen wird.
Man kann nur eine Veränderung herbeiführen, wenn man dem vorliegenden Problem vorurteilsfrei begegnet.
Ein Aspekt, der das InformalStudio von vielen Gestaltungs- und Bauprojekten, die meist nur von vorübergehend ansässigen Architekturschulen durchgeführt werden, unterscheidet, ist, dass man keine Entwicklung auf dem Tablett serviert (etwa in Form eines Gebäudes), sondern einen Bauprozess unterstützt, der von den Menschen selbst in Gang gesetzt wurde. In diesem Konzept hat man die einseitige Zuweisung der Expertenpositionen in solchen Konstellationen von Anfang an hinterfragt und die Sache von einer ganz neuen Perspektive aus betrachtet: Auf einmal waren die Bewohner gleichwertige Partner und Experten, die sich am besten mit ihrer eigenen Lebenssituation auskennen. So wurde ein Lehrplan entwickelt, bei dem jeder vom anderen lernt und bei dem Studierende und Lehrende wertvolle Einblicke erhalten, mit denen sie jede einzelne Wohnsituation individuell unterstützen konnten.
Dazu wurden zwei siebenwöchige Kurse in Ruimsig (2011) und South Marlboro (2012) durchgeführt. Das Hauptziel dieser Veranstaltung war es, bisher verborgene Wohnumstände sichtbar zu machen. Die hier gewonnenen Einblicke wurden für die Bewohner zu einer nützlichen Planungsgrundlage. Hier konnten sie sich das Fachwissen aneignen, um die Sprache der Stadtplaner zu verstehen und bei wichtigen Entscheidungen, die sie mitbetreffen, mitreden zu können.
Hier eine Zusammenfassung der Inhalte der beiden Kurse:
InformalStudio: Ruimsig
Einige Anwohner von Ruimsig, einer kleinen in Eigenregie entstandenen Siedlung westlich von Johannesburg, hatten gerade selbst eine Erhebung durchgeführt und wollten gerne eine genaue Karte ihrer Wohngegend erstellen. Im Studio erarbeiteten Studierende und Bewohner gemeinsam eine solche Karte sowie eine Strategie zur Umgestaltung mit konkreten Verbesserungsvorschlägen aus, die die Anwohner selbst sofort durchführen können. Die Hauptziele dieser Umgestaltung wurden dabei wie folgt festgelegt: eine gerechte Verteilung von Bauland, Lösungen für die Probleme Überfüllung und Machenschaften der Slumlords, die Erweiterung von kleinen Wegen zu vernünftigen Straßenbreiten, damit der Verkehr besser fließen kann und Krankenwagen besser durchkommen und schließlich eine Ansiedlung von Dienstleistungen. Die Neugestaltung sollte dabei nur kleine bauliche Veränderungen vornehmen, um die natürliche Logik wertzuschätzen, mit der die Menschen die Umgebung ursprünglich besiedelt hatten.Nach dem Seminar haben die Bewohner mit Hilfe der NGOs begonnen, systematisch ihre Wohnsituation zu verbessern: Häuser und Zäune wurden versetzt und einige von Überfüllung und Hochwasser bedrohte Unterkünfte in geeignetere Gebiete verlegt. Das Procedere wurde dabei ausgiebig unter den Bewohnern diskutiert, und dabei gab es hin und wieder auch Unstimmigkeiten. Unter der erfahrenen methodischen Begleitung der SDI konnten dennoch gut umsetzbare Ergebnisse erzielt werden.
Durch die Zusammenarbeit mit der Universität und der Erstellung eines Umbebauungsplans sind auch die städtischen Behörden verstärkt auf Ruimsig aufmerksam geworden. Das Gebiet ist sogar als „Experimentierzone“ ausgewiesen worden, in der bestimmte städtische Standards und Verordnungen nach Bedarf angepasst werden können, um den räumlichen Eigenheiten Rechnung zu tragen. Als Folge davon spüren die Menschen hier inzwischen, dass ihr Besitz geschützt wird, was man auch darin sieht, dass viele ihre Häuser und Gerten deutlich aufgewertet haben. Die für uns als Architekten dabei vielleicht wichtigste Erfahrung ist die Erkenntnis, dass auch eine lose Besiedlung nichts anderes ist als eine Stadt im Wachstum, und die Frage dabei ist: Was benötigen die Anwohner, damit dieser Ort wächst und gedeiht? Schließlich ist ja sogar Manhattan aus einem kleinen inoffiziell entstandenen Handelsstützpunkt entstanden!
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Informal Studio: Marlboro South
2012 wurde das Studio dann nach Marlboro South eingeladen, einem Ackerrandstreifen an einem Industriegebiet, der während der Apartheid bebaut wurde, um Alexandra, eine der ältesten schwarzen Townships in Johannesburg, von den wohlhabenderen weißen Nachbarn zu trennen. In den letzten drei Jahrzehnten sind rund 1.500 vorwiegend arme schwarze Familien hierher gezogen, um von der zentralen Lage zu profitieren. In diesem Zuge habe sich auch viele gut organisierte Gemeinschaften in verlassenen Fabriken und Lagerhäusern unter Duldung der Stadt angesiedelt und mussten mit der ständigen Angst vor Vertreibung leben.Auch hier wurde wieder so vorgegangen, dass Studierende mit Unterstützung von Bewohnern einen detaillierten Bodennutzungsplan der momentanen Situation erstellen sollten. Schnell zeichnete sich das Bild eines Lebens- und Arbeitsumfelds ab, das Schulen, Kirchen, Kindergärten, Restaurants, Märkte und sogar eine Brass Band beherbergte. Es wurden ein Gebietsentwicklungsplan erstellt und Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt, mit denen sich die Bewohner und die NGOs der Taktik der Stadt entgegenstellen konnten, die langfristig die Menschen aus der Gegend vertreiben sollte, um hier wieder die schon zur Zeit der Apartheid geplante industrielle Pufferzone entstehen zu lassen.
Um dem Goethe-Institut vorzeigbare Ergebnisse präsentieren zu können, wurde etwa vom Architekturbüro 26’10 south Architects eine Wanderausstellung konzipiert, die anhand von Modellen, Zeichnungen und Karten Einblicke in Methoden und Ziele des Projekts vorstellte. Mit populären Medien wie Comics, Zeitungen und Filmen sollte dabei ein möglichst breites Publikum angesprochen werden. Am Ende haben diese Objekte sogar Einzug in das südafrikanische Präsidentenbüro gehalten, aber das ist eine andere Geschichte …
Schlussbetrachtung
Wir als Architekten haben durch die Arbeit im Projekt InformalStudios viel gelernt. Etwa, dass man nur eine Veränderung herbeiführen kann, wenn man dem vorliegenden Problem vorurteilsfrei begegnet. Uns ist klar geworden, dass im Problem bereits die Lösung enthalten ist. Sie liegt allerdings im Verborgenen, zum einen durch unsere privilegierte Wut auf die unfaire Situation, zum anderen durch unsere Ausbildung zu vermeintlichen Experten auf einem sehr begrenzten Gebiet.Wir haben gelernt, dass man die Grenzen seines Expertendaseins überschreiten muss, um in komplexen Situationen agieren zu können und verschiedene Erfahrungen, Erkenntnisse und Ansichten über die Stadt miteinander vereinen muss. Das beste Beispiel dafür ist etwa ein Workshop zum Thema Modernisierung, der im Anschluss an das Seminar in East London in Südafrika stattfand. Hier saßen diverse Bebauungsexperten gemeinsam an einem Tisch mit dem inoffiziellen Bürgermeister einer kleinen Siedlergemeinschaft, die ein Gebiet bewohnte, das eigentlich als Auffangbecken für Regenwasser vorgesehen war. In den Gesprächen ging es vor allem um folgende Fragen: Was soll eine Straße eigentlich leisten? Warum braucht sie so viel Platz? Für Autos, Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge? Oder zum Abtransport von Regenwasser? Sollen hier Geschäfte angesiedelt werden? Ist sie für die Öffentlichkeit gedacht? Die Antwort heißt natürlich: Ja, sie ist all das und noch viel mehr.
Genauso können wir auch fragen: Was ist eigentlich ein Zuhause? Nur ein Schlupfloch, von dem aus die Angebote der Stadt erreichbar sind? Kann man es teilen? Wenn mir der Platz nicht ausreicht, kann die Stadt diesen erweitern? Kann ein Zuhause auch ein Ort in einer anderen Stadt oder gar einem anderen Land sein? Oder kann es auch ein Geschäft, eine Fabrik oder ein Büro sein? Und warum kann ich es mir nicht mit meinen eigenen Händen bauen?
Seit wir in Johannesburg arbeiten, ist uns klar geworden, dass wir nur einen kleinen Beitrag dazu leisten können, tiefgehende strukturelle Schäden zu beseitigen. Durch die Arbeit im InformalStudio, wo wir mit hunderten von Menschen als Teil eines Netzwerks tätig sind, zu dem noch tausende andere gehören, sind wir uns einer neuen Kraft bewusst geworden, die aus drei Dingen besteht: beobachten, aktiv werden und zusammenarbeiten. Es geht nicht darum, ein Problem zu beheben, sondern sich in dieses hineinzubegeben und dort Systeme zu entdecken, die den Schlüssel zur Lösung bereits in sich tragen.
Letztendlich ermöglicht wurde das Studio jedoch nur durch die engagierte Mitarbeit von über hundert weiteren Dozenten, Studierenden, Bewohnern von Ruimsig und Marlboro South, Vertretern der Stadt sowie Mitgliedern der Shack Dwellers International Alliance, einer internationalen Vereinigung von Barackenbewohnern und ihren Mitgliedsorganisationen.