Ronya Othmann
Zwischen zwei Welten
Ronya Othmanns Debütroman ist eine Geschichtsstunde der besonderen Art. Spannend, gefühlvoll und mitreißend führt die Autorin ein in die Welt der Eziden, in die großelterliche Welt in Syrien.
Von Swantje Schütz
Familiengeschichte
Die Geschichte ist fiktiv, basiert auf autobiografischen Elementen und wird auf zwei Ebenen erzählt: Zum einen ist da Leyla mit ihren Erinnerungen an die Sommer, die sie auf staubigen Straßen, beim Rollen von gefüllten Weinblättern oder unter dem Ventilator im Wohnzimmer verbracht hat, wo alle gemeinsam auf Matratzen sitzen, Tee trinken und der Hitze trotzen. Zum anderen gibt es Leylas Vater, der ihr die erschütternde Geschichte seiner Flucht berichtet. Othmann trifft dabei genau den richtigen Ton, ihre Sprache ist schlicht und kunstvoll – es scheint, als könne nur mit derart einfachen Worten eine so grausame Geschichte von Vertreibung, Folter und Ungerechtigkeit greifbar gemacht werden:Der Vater lachte traurig und sagte am Telefon: Es ist seltsam, aber zum ersten Mal wissen die Deutschen, wer wir sind. Die Mutter sagte: Ich kann nicht mehr. Seit drei Jahren sehen wir uns das ununterbrochen an. Und jetzt Shingal. Wer hält das aus, vier Jahre lang, fragte die Mutter. Das hält man nicht aus. Das Schlimmste, sagte Leyla, ist das Zusehen. Ich kann nicht mehr zusehen.
Ronya Othmann
Preisträgerin
Die ehemalige taz-Kolumnistin Othmann hat bereits mehrere Preise erhalten, unter anderen für ihren Text Vierundsiebzig den Publikumspreis des Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Dieser Text hatte ebenso den Völkermord an den Eziden zum Gegenstand. Ronya Othmann studiert derzeit am Literaturinstitut Leipzig und arbeitet parallel an ihrem nächsten Roman. In einem Video-Gespräch mit Regine Hader vom Goethe-Institut anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2020 führt die Autorin aus, dass sie zunächst daran dachte, eine Reportage zu schreiben, aber gescheitert sei, weil das Handwerkliche nicht ausgereicht hätte für das, was sie vermitteln wollte. Sie sei über die Sprache zu ihrem Roman gekommen, über das Erinnern, über das Erzählen und wie man erzählt.Klare Empfehlung
Die Sommer ist ein empfehlenswertes Buch, empfehlenswert allein schon, weil es uns erschüttern und viel lehren kann – über die Existenz von Eziden, über ihre Religion, ihr Schicksal. Es ist ein wichtiges Buch, weil es uns zeigt, was es heißt, seine Heimat zu verlieren. Nicht zuletzt vermag es Akzeptanz sowie Verständnis zu wecken, ohne zu belehren.
Ronya Othmann: Die Sommer
München: Hanser, 2020. 288 S.
ISBN: 978-3-446-26760-2
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe
München: Hanser, 2020. 288 S.
ISBN: 978-3-446-26760-2
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe