Berlinale 2023
Der schöne Aufbruch in die Normalität
Hollywoodstars werden kommen. Im Wettbewerb laufen 19 Filme aus 19 Ländern. Und Kristen Stewart ist Jurypräsidentin. Braucht es noch mehr, um sich auf die Berlinale zu freuen?
Von Ula Brunner
Die Rückkehr zur Normalität ist wahrscheinlich der schönste Neuanfang, den die Berlinale seit ihrem Bestehen feiern kann. Wer erinnert sich nicht: 2021, etwa ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, fand das Festival häppchenweise statt, zuerst als digitaler Branchentreff, dann als öffentliches Sommerevent. 2022 saßen die Filmfans zwar wieder zur regulären Veranstaltungszeit im Februar im Vorführsaal, jedoch mit Maske und im Schachbrettmuster. Nach zwei Ausnahmejahren darf die Berlinale endlich zum Regelbetrieb zurückfinden, das Publikum kann Kino erleben, unbeeinträchtigt von komplizierten Corona-Hygienemaßnahmen.
Den Realitäten gerecht werden
7.431 Einreichungen haben die Festival-Kurator*innen gesichtet, 2022 waren es noch 6.755. Mit 283 Filmen aus 67 Ländern ist die Programmauswahl im Vergleich zu den Vorpandemie-Jahren jedoch deutlich verschlankt. Das kann der Berlinale nur guttun, sah sie sich doch lange der Kritik ausgesetzt, zu komplex und überdimensioniert zu sein.Seit ihrem Start als Doppelspitze 2019 haben Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian die Berlinale auch für innovativen ästhetische Formen und veränderte Sehgewohnheiten geöffnet: Die neue kompetitive Sektion Encounters zeigt in diesem Jahr 16 Filme, darunter In Water des südkoreanischen Regie-Altmeisters Hong Sang-soo. Erstmals wird zudem der Berlinale Series Award verliehen, eine wichtige Anerkennung für die wachsende Bedeutung serieller Formate.
Vielfalt in der Auswahl
19 Produktionen aus 19 Ländern konkurrieren im Internationalen Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären, darunter 15 Weltpremieren. „Bei der diesjährigen Auswahl hatten wir den Eindruck, dass die Realität zurück ist“, sagte Leiter Carlo Chatrian bei der Programm-Bekanntgabe. Zum ersten Mal in der Hauptkategorie vertreten ist der große französische Dokumentarfilmer Nicolas Philibert. Sur l’Adamant porträtiert den Alltag in einem Tageszentrum für Erwachsene mit psychischen Störungen. Einen unterhaltsamen Blick zurück auf das Kommunikationsverhalten der 1990er-Jahre wirft wiederum der kanadische Spielfilm BlackBerry von Matt Johnson. Gespannt sein darf man auch auf zwei australische Spielfilme, die ganz unterschiedlich das Schicksal der Aborigines in den Blick rücken: The Survival of Kindness von Rolf de Heer in Form einer Parabel, Limbo von Ivan Sen als Kriminalgeschichte.Grenzgänger, Familiengeschichten, Genrefilme, Melodramen – das diesjährige Hauptprogramm lässt eine vielversprechende formale und inhaltliche Vielfalt vermuten.
Mit Makoto Shinkais Suzume, der bereits erfolgreich in den japanischen Kinos läuft, und Art College 1994 von Liu Jian aus der Volksrepublik China haben es sogar zwei Animationsfilme in den Wettbewerb geschafft.
Starke Präsenz heimischer Produktionen
Das deutsche Kino kann fünf Beiträge aufbieten, eine ungewöhnlich hohe Quote. Mit Margarethe von Trotta ist eine renommierte und streitbare Regisseurin nach 40 Jahren (Heller Wahn, 1983) in den Berlinale-Wettbewerb zurückgekehrt. Ihr aktuelles Werk, Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste, reflektiert die Beziehung der österreichischen Schriftstellerin zu Max Frisch.Irgendwann werden wir uns alles erzählen von Emily Atef wiederum ist eine erotische Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mädchen und einem deutlich älteren Landwirt. Regisseur Christian Petzold, Dauergast im internationalen Wettbewerb, nimmt in Roter Himmel vier Menschen in einem Waldbrandgebiet in den Fokus. Christian Hochhäuslers Thriller Bis ans Ende der Nacht und Angela Schanelecs Music, ein Roadmovie mit losen Referenzen zum Ödipus-Mythos, komplettieren den deutschen Filmblock.
Bühne frei für Filmdebüts
„Junge Sichtweisen“ und „einen Wettbewerb mit risikofreudigen Filmen“ wolle man zeigen, erklärte Carlo Chatrian, und so finden sich auch drei Debüts in der Hauptkategorie. In 20.000 Species of Bees lotet die junge baskische Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren eine Mutter-Kind-Beziehung aus.Für die USA ist Celine Song mit Past Lives im Rennen, der von der Fachkritik mit Richard Linklaters Before-Trilogie verglichen wird. In Giacomo Abbruzzeses Disco Boy schließlich spielt der deutsche Ausnahmeschauspieler Franz Rogowski einen belarussischen Fremdenlegionär im Nigerdelta.
Herausforderungen in Krisenzeiten
Einen besonderen Fokus legt die Berlinale auf die Lage in den großen Kriegs- und Krisengebieten, speziell in der Ukraine und dem Iran. Staatsnahe Medien und Filmschaffende erhielten keine Einladung zum Festival. Das Festival will in diesen schwierigen Zeiten Solidarität zeigen, aber auch den „Diskurs öffnen“ – etwa durch Filme wie Superpower, den der US-Hollywoodstar Sean Penn zusammen mit Aaron Kaufman über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gedreht hat.Stars auf dem roten Teppich
Neben Sean Penn hat sich ausnehmend viel internationale Prominenz angesagt: Anne Hathaway und Robert Dinklage haben ihr Kommen zugesichert, sie sind im Eröffnungsfilm She Came to Me von Rebecca Miller zu sehen. Kristen Stewart wird die Internationale Jury leiten, der Regisseur und Oscarpreisträger Steven Spielberg soll für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden. Man erwartet unter anderen Cate Blanchett, John Malkovich, die Musiker der irischen Rockband U2 mit Sänger Bono. Ex-Tennisstar Boris Becker wird wohl ebenfalls nach Berlin kommen.Auch das ist ein Grund, sich einmal mehr über die neue alte Berlinale zu freuen. Denn ganz ehrlich: Was wäre ein Festival ohne seine Stars?