Christian Petzolds Wettbewerbsfilm „Roter Himmel“ schwebt traumgleich zwischen Utopie und Dystopie.
Von Philipp Bühler
Pressekonferenzen mit Christian Petzold sind ein Genuss. Von seinen Filmen lässt sich das nur eingeschränkt sagen, sie galten lange als sperrig. Aber kaum einer redet so enthusiastisch vom eigenen Werk – und vom Kino an sich. Shakespeares Sommernachtstraum sei eine Inspiration für seinen neuen Film gewesen, erklärt er nach der Vorführung von Roter Himmel, aber auch „das französische Genre des Sommerfilms“. Solche Begriffe klingen bei ihm immer so, als hätte er sie gerade erfunden. Die Idee zum Film, nun einer von fünf deutschen Beiträgen zum Berlinale-Wettbewerb, kam ihm während der Corona-Pandemie. Um die Ferien als Ausnahmezustand sollte es gehen, um junge Leute in einem Sommer, der sich anfühlt wie der letzte und der vorübergeht wie im Traum. Oder, wie Petzoldt es nennt, „im Halbschlaf“.
Schaffenskrise am Ostseestrand
Die Freunde Felix und Leon beziehen ein Ferienhaus an der Ostsee, bald darauf gesellen sich Nadja und ihre Rettungsschwimmer-Liebschaft Devid dazu. Letztere sind zunächst unsichtbare und für Leon vor allem unerwünschte Gäste, sie stören seine Arbeit als Schriftsteller. An den gefährlich heranrückenden Waldbränden hingegen – man sieht sogar ein brennendes Wildschweinferkel – stört sich scheinbar niemand. Felix und Devid finden unerwartet zueinander, Leon verliebt sich ganz gegen seinen Willen in Nadja. Doch Petzold, der Romantiker der sogenannten „Berliner Schule“, schaut dem amourösen Treiben eher amüsiert zu. Im Mittelpunkt steht tatsächlich der selbstquälerische Schaffensprozess des mürrischen Schriftstellers, der sich in sein Schneckenhaus zurückzieht, auch niemals baden geht, während alle anderen das Leben genießen. Das ist stellenweise ungewohnt komisch. Bis durch das Eindringen der Wirklichkeit die schöne Geschichte zurückbleibt als schreckliche Erinnerung.
Waldbrand als Warnung
Im Pressegespräch zu
Roter Himmel macht Petzold humorvoll klar, wie sehr er sich in Leon, dem zwischen Hybris und Selbstzweifeln gefangenen Träumer, wiedererkennt. Die Angst vor dem zweiten Roman, dem zweiten Film nach dem ersten Erfolg, hat er selbst durchlitten. Stundenlang könnte man ihm zuhören, wenn er einmal mehr von den literarischen Einflüssen spricht, die er in seine Filme einfließen lässt, hier das von Paula Beer gleich zweimal vorgetragene Heine-Gedicht
Der Asra. Ein paar andere Elemente aus früheren Filmen erkennt man auch diesmal: die Traumlogik aus seinem vielleicht besten Film
Yella (2007), die Liebe zu Frauen auf Fahrrädern aus
Barbara (2012). Es wäre auch gerechtfertigt, dies nach der Holocaust-Allegorie
Phoenix (2014) und dem Fluchtdrama
Transit (2018) seinen bisher selbstbezüglichsten und damit persönlichsten Film zu nennen. Doch es ist auch der Film, in dem er so konsequent wie nie Utopie und Dystopie verschränkt. Natürlich steckt hinter allem der Klimawandel. Wenn wir nichts tun, hört dieser brennend heiße Sommer nie auf.