Anne Imhof
Widerständige Körper und Bildgewalt
Mit ihrer Performance "Faust" besetzt Anne Imhof den Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig 2017. Die überwältigenden Bilder für Faust wurden, wie ihre vorhergehenden Werke auch, gemeinschaftlich erarbeitet.
Vor eben einmal fünf Jahren wurde sie mit dem Absolventenpreis für die Abschlussarbeit an der Frankfurter Städelschule bedacht, vor drei Jahren mit dem Preis der Nationalgalerie für junge Kunst in Berlin und nun mit einem goldenen Löwen auf der Biennale von Venedig. Dennoch, es mutet geradezu unseriös an, Anne Imhof als Shootingstar zu bezeichnen. Es passt schlicht nicht zu den überaus präzise erarbeiteten, multimedialen Performances und derlei Begrifflichkeiten stehen eher im Widerspruch zu jener Konsequenz, mit der sich dieses Werk zur mehrstündigen Inszenierung entwickelt hat. Und vor allen Dingen, wie Imhof stets betont, sie ist es nie alleine. Die Künstlerin vertraut auf kollaborative Prozesse innerhalb ihres Teams von Darstellern, Tänzern, Musikern und Fotografen. Dies zeigte sie bereits bei ihrer Abschlussarbeit, School of the Seven Bells. Eingeleitet von einem Musikstück gingen, standen sie und 14 Freunde umher, gruppierten sich, gingen wieder auseinander, reichten metallene Stäbe, wie eine Geheimbotschaft weiter; ein Vorgang, der sich als ständiges Geben und Nehmen von Ressourcen – auch geistiger Art – verstehen lässt. Kann man die gegenseitige Inspiration, die einen durch die Zeit der Ausbildung und darüber hinaus begleitet subtiler visualisieren? Durch diese Gemeinschaftsarbeit, so Imhof, entsteht ein größeres und komplexeres Bild.
Verweigerte Narration
Bilder sind es, um die es der Künstlerin geht. Diese Bilder setzten sich aus Malerei, Skulptur, Sound Installation und Performance zusammen. Es gibt kein Drehbuch, keinerlei Narration, nicht einmal festgelegte Handlungsanweisungen an die Darsteller. Imhof ist es wichtig, dass jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer in jedem Moment Herrschaft über ihr und sein eigenes Tun hat. Aus dieser Freiheit entstehen Momente, die für ihre Arbeit relevant sind. Trotzdem behält sie dabei die Kontrolle über das Geschehen.Im Falle von Faust in Venedig findet die Kommunikation zwischen Künstlerin und Darstellern während der Aufführung über Smartphone statt. Der Besucher ist nicht gefordert, dieser für mehrere Stunden konzipierte Performance von Anfang bis Ende beizuwohnen. Es geht um das Bild, dass jeder für sich mitnimmt, ist man nun fünf Minuten im Raum oder fünf Stunden.
In ihrem künstlerischen Selbstverständnis spielen Malerei und Zeichnung stets eine zentrale Rolle. Erste Grundelemente werden im Atelier zeichnerisch festgelegt, dann folgen die Übersetzungen in andere Medien. Es geht darum, im Team eine gemeinsame, nonverbale, Sprache zu finden, um sich auf einer Ebene über die unterschiedlichen Umsetzungen zu verständigen und entsprechende Formulierungen für den Ablauf zu finden. Nur so können die verschiedenen Medien ineinandergreifend die Atmosphäre schaffen, die schließlich das Bild entstehen lässt.
Langzeitszenario in Venedig
“Anne Imhof ist eine Künstlerin, die mit einem so gegenwärtigen wie klaren Realismus auf die Gesellschaft, das Individuum und den Körper blickt“, begründete die Kuratorin Susanne Pfeffer ihre Wahl. Die Arbeit der Künstlerin hatte sie bereits seit ihren Anfängen im Blick. Faust ist der Titel dieses auf fünf Stunden angelegten Langzeitszenarios. Der Titel spielt natürlich auf deutsches Kulturgut und Johann Wolfgang von Goethe an, doch es geht ganz buchstäblich um die geballte Hand. Es geht um Macht, Ohnmacht, Gewalt, Widerstand und letztlich auch um deren Gegenstück: die Freiheit. Denn zentral in Imhofs Stücken ist die Freiheit der Gedanken eines jeden Einzelnen.Den Deutschen Pavillon, diesen faschistischen Bau aus den 1930er Jahren, besetzt Imhof mit ihrer Arbeit. Das Areal wurde eingezäunt, im vorderen Teil wachen vier Dobermänner. Auf der Fassade, auf den Zäunen haben die Darsteller Stellung bezogen. Die eingebauten Wände, Konsolen und die zusätzliche Ebene, sind aus Glas, sie ermöglichen neue Bezüge im Raum. Man kennt dies von institutionellen Gebäuden oder Banken, wo Transparenz inszeniert und Macht demonstriert wird.
Die Darsteller wirken entrückt, es wird viel gegangen, Körper arretierten sich zu einem Konglomerat, Köpfe werden völlig unbeteiligt an Wände gedrückt, Bewegungsabläufe zu Posen eingefroren. Von all diesen Bildern geht eine archaische Selbstverständlichkeit aus, als wären sie immer schon da gewesen. Obwohl die Performance über, unter und um den Betrachter stattfindet, bleibt dieser seltsam unbeteiligt, ist nicht in das Geschehen einbezogen. Für Anne Imhof ist eben diese Distanz wichtig. Würden sonst diese einprägsamen Bilder entstehen?