Kurator*innenaustausch zur documenta 15 Gemeinschaft(en)
Vom 18. Juni - 25. September 2022 fand die fünfzehnte Ausgabe der documenta in Kassel statt. Die Goethe-Institute in Nordamerika nehmen dies zum Anlass, eine Gruppe lokaler Kurator*innen aus Kanada und den USA, die ähnliche Ansätze in ihrer Arbeit verfolgen, nach Kassel einzuladen und in einen Austausch miteinander zu bringen.
Mit ruangrupa wurde erstmals ein Kollektiv mit der künstlerischen Leitung der documenta 15 beauftragt. Das im Kern zehnköpfige Kollektiv gründete sich im Jahr 2000 in Jakarta und betreibt dort einen Kunstraum, realisiert Ausstellungen, Festivals, Publikationen und Rundfunkformate.
Ruangrupa verfolgt einen partizipativen kuratorischen Anspruch für die documenta 15, bei dem partnerschaftliche Modelle und interdisziplinäre Ansätze im Fokus stehen. Diese Vorgehensweise entspricht aktuellen Tendenzen, welche die Rolle von Kurator*innen als klassische „Gatekeeper“ ummünzen und die Arbeit und Wirkung des Kuratierens eher im Community-Building verorten – Inklusion statt Exklusion.
Internationale Vernetzung
Der inhaltlicher Fokus des Austausches liegt auf partnerschaftlichen Modellen des Kuratierens, explizit antirassistischen Arbeitsweisen, sowie innovativen Ansätze zur sozialen Inklusion und zum Community-Building.
Die Kurator*innen
Folgende Kurator*innen aus Kanada sind nach Kassel eingeladen worden:
Asinnajaq ist urbane Inuk aus Inukjuak, Nunavik, und lebt in Tiohtià:ke (Montreal). Asinnajaqs künstlerische Praxis umfasst viele Medien, wie Film, Videoperformance, Kuratieren und vieles dazwischen. Sie ist Mitgestalterin von Tilliraniit, einem dreitägigen Festival, das die Kunst und die Künstler*innen der Inuit feiert. Asinnajaq schrieb und führte Regie bei Three Thousand (2017), einem kurzen Science-Fiction-Dokumentarfilm. Sie war Mitkuratorin von Isumas Präsenz im "kanadischen" Pavillon auf der 58. Biennale von Venedig. Sie war auf der Longlist für den Sobey Art Award 2020. Sie war Ko-Kuratorin der Eröffnungsausstellung INUA im Qaumajuq.
Diane Gistal ist eine unabhängige Kuratorin und Gründerin und
Geschäftsführerin von Nigra Iuventa, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Montreal, die das vielfältige Erbe und die Geschichte der Schwarzen und Afro-Abstammung durch visuelle und mediale Kunst feiert. Durch die Verbindung von Kreativität und Gelehrsamkeit will die Organisation die Stimmen schwarzer Künstler sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene erheben und verstärken. Nigraiuventa.com
Subalternes (CDEx, 2019), Je sais pourquoi l'oiseau chante en cage (Fonderie Darling, Centre culturel Georges-Vanier und CDEx, 2020), Respiration (Galerie de l'UQAM, 2020) und S'inscrire dans le présent ( Never Apart, 2021) gehören zu ihren jüngsten kuratorischen Projekten.
Layne Hinton ist Kuratorin, Künstlerin, Kulturstrategin und Kreativproduzentin und lebt in Toronto, Kanada. Sie ist Co-Direktorin und Co-Kuratorin von Art Spin, einer gemeinnützigen Kunstorganisation, die seit 2009 tätig ist und sich auf ephemere Strategien für öffentliche Kunstprogramme konzentriert. Hinton konzentriert sich auf das Kuratieren mit einem ortsbezogenen Ansatz und arbeitet in verschiedenen Vierteln, um alternative Räume zu beleben, die oft übersehen werden. Während ihrer 12-jährigen Tätigkeit bei Art Spin zielt ihre sozial orientierte kuratorische Praxis darauf ab, einzigartige Räume als Plattform für zugängliche und gemeinsame Erfahrungen zu rekontextualisieren. Ihr Interesse gilt kollaborativen Aufträgen, bei denen sie eng mit Künstlern zusammenarbeitet, um Projekte zu entwickeln, die alle Disziplinen umfassen und neue Berührungspunkte zwischen verschiedenen Publikumsgruppen schaffen. laynehinton.com
Gruppenfoto der Kuratorinnen und Kuratoren der Regionen Nordamerika (NAM) und Ostasien und Südostasien (SAS) bei einer Konferenz, die von Chiara Ianeselli, Kuratorische Koordination, gehalten wurde.
Neben anderen Kuratorinnen aus anderen Regionen, Elena Gross (San Francisco), Layne Hinton (Toronto), Anisa Olufemi (Washington) und Ellie Lee (Los Angeles) mit Iswanto Hartono und Mirwan Andan vom Kollektiv ruangrupa
Bereits im Vorfeld der Messe gab es eine Diskussion um mögliche antisemitische Tendenzen unter den Kurator*innen der documenta 15, insbesondere aus den Reihen von ruangrupa und einigen mit ihnen verbundenen Gruppen. Jüdische Kunstschaffende aus Israel wurden nicht eingeladen, und bereits am ersten Tag der Messe wurde ein Werk der Gruppe Taring Padi mit eindeutig antisemitischem Inhalt ausgestellt, das erst nach heftigen Reaktionen entfernt wurde. Wir möchten uns an dieser Stelle ausdrücklich von Inhalten dieser Art und Antisemitismus in jeder Form distanzieren.
Interview mit theo tyson, Pieranna Cavalchini und Gediminas Urbonas documenta 15 im Rückblick
Der Sommer 2022 war für die Kunstwelt mit drei großen internationalen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Kassel, Berlin und Venedig ein ereignisreiches Jahr. Von den drei Ausstellungen hat die fünfzehnte Documenta in Kassel am meisten Schlagzeilen gemacht, nicht nur wegen einer Reihe von Skandalen um antisemitische Tendenzen und Inhalte in den ausgestellten Kunstwerken. Die Documenta ist dafür bekannt, neue Wege in der Kunst zu gehen, und das ist auch in diesem Jahr nicht anders. Diese vom indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratierte Ausgabe hat die Kunstwelt aufgerüttelt und stellt vieles von dem in Frage, was traditionell unter Kunst verstanden wird. Wo sind die Grenzen zwischen Aktivismus und Kunst? Was ist wichtiger, der Prozess oder das fertige Kunstwerk? Wer diktiert, was Kunst ist?