Martin Böttcher
„Das ist jetzt die Zukunft!“

Martin Böttcher
Martin Böttcher | © M. Böttcher

Der Journalist Martin Böttcher berichtet aus den Anfangstagen des Techno, die er als Fan und Raver hautnah miterlebt hat.

Die Clubs sind Orte in denen man die ganze Welt draußen lassen und einfach machen kann, was man möchte.

Gibt es bei dir einen Moment, als du gedacht hast: „Wow, das ist Techno, das haut mich grad um!“

Martin Böttcher: Eigentlich gibt es zwei solche Momente und mir ist das erst viel später klar geworden, dass die irgendwie auch miteinander zu tun haben. Also wir reden ja immer so über 90/91, als Clubs wie der Tresor aufgemacht haben. Da ging es so richtig los mit Techno in Berlin. Aber eigentlich hatten wir Jahre vorher schon, zumindest in Westberlin, diese Acid House Welle aus Großbritannien mitgemacht. Als ich diese Musik zum allerersten Mal gehört habe, war das in einem Jugendclub. Da hatte jemand eine Acid House Party selber organisiert. Ich weiß nicht, woher die die Musik hatten, aber das hörte sich alles so unglaublich spacig und nach einer völlig anderen Welt an. Als ich das gehört habe, dachte ich: „Okay, das ist jetzt die Zukunft! Die hat jetzt gerade angefangen!“

Es hat dann aber ganz schnell seinen Reiz verloren, weil es so kommerziell ausgeschlachtet wurde. Und es hatte auch ganz schnell den Ruf, dass es irgendwie eigentlich wertlose Musik ist. Deshalb habe ich auch nur diesen einen Sommer damit verbracht. Dann auf einmal bin ich 1991 in den gerade frisch eröffneten Tresor gegangen. Das war dann das eigentliche Erlebnis. Ich bin in den Tresor reingegangen, weil ich im Radio gehört hatte, da gibt es einen Club. Damals gab es in dem Sinne noch gar nicht so viele Clubs. Ich bin da reingegangen und dachte: „Ach, das ist der Tresor. Warum schwärmen alle so davon? Da ist eine Bar und da läuft so ein bisschen Ambient Musik. Was soll so toll daran sein?“ Es hat eine Stunde gedauert, bevor ich kapiert habe, dass da eine Treppe runter geht in den Keller und dass man da noch weitergehen kann. Ich hing die ganze Zeit an der Bar rum und dachte: „Hier ist ja gar nichts!“ Dann bin ich aber in den Keller gegangen. Da waren Stroboskoplicht und dieser krasse Sound. Ich war acht oder neun Stunden unten in dem Keller. Das hat mich getroffen wie eine Wand. Danach wollte ich immer mehr davon.

alleine, aber zusammen tanzen

Du kanntest die Musikrichtung Techno also nicht wirklich vorher?

Es gab ein paar Radiosendungen, die ich am Freitag- und Samstagabend ab und zu mal zufällig eingeschaltet habe. Damals gab es beim SFB dieses Radio 4 U. Und da lief eine Sendung mit Monika Dietl, Moni D. Die hat all diese Tunes gespielt. So habe ich das schon irgendwie mitbekommen, aber es musste erst dieses Club-Erlebnis geben, damit mir diese Musik richtig ihren Charme eröffnet hat. Erst nachdem das passiert ist, habe ich mich auch für die Musik interessiert. Es war relativ schwer, die überhaupt zu bekommen oder Plattenläden zu finden. Das lief eher darauf hinaus, dass ich ganz akribisch anfing, diese Radiosendungen mitzuschneiden und möglichst immer die Moderation wegzuschneiden. So wie man es halt kennt auf Kassette. Heute bedauere ich total, dass die Moderation weg ist, weil die ein viel besseres Zeitdokument wäre.  

Beschreib doch mal bitte, wie du diese Stimmung mit diesen ganzen Menschen im Keller vom Tresor empfunden hast?

Der Keller war kühl, feucht, relativ dunkel und vollgefropft mit Leuten. Wenn man stundenlang geravet hat, hat man irgendwann sein Shirt ausgezogen und mit dem freien Oberkörper getanzt. Ich fand es krass, dass es gar keinen Kontakt gab. Ich kannte ja niemanden. Man hat niemand kennengelernt, aber trotzdem irgendwie alleine zusammen getanzt.

… und das Licht hat dazu eben noch für eine besondere Stimmung gesorgt, oder?

Genau. Das war Stroboskoplicht plus die Musik. Also da gab es keine farbigen Leuchten oder sowas. Es war immer nur schwarz-weiß, schwarz-weiß. Das wirkt ja wie in einem Film. Dadurch dass immer, wenn das Stroboskoplicht aus ist, die Bewegung von den Leuten weitergeht, bewegen sich ja alle wie eine Art Roboter-Dance. Das ist ganz komisch zackig, eine ganz seltsame Atmosphäre. Mit dem normalen Leben hat das gar nichts mehr zu tun. Im Nachhinein würde ich sagen, dass es auf jeden Fall eine drogenähnliche Erfahrung war, ohne dass ich damals Drogen genommen hätte. Und dadurch, dass es ein Keller mit relativ niedriger Decke war, hatte es auch etwas Bedrängendes, Bedrohliches. Auf einmal hört auch die Zeit auf, eine Rolle zu spielen. Man weiß gar nicht mehr, ob jetzt fünf Stunden oder vielleicht auch erst zwei vergangen sind. Ich habe auch die ganzen acht Stunden nichts getrunken. Ich bin also nicht zur Bar gegangen, sondern habe einfach so weiter getanzt. Das war ein Erweckungserlebnis. Dieses Tanzen und dann die Verbindung mit dem Beat lösen ganz automatisch Glücksgefühle im Körper aus. Man hat sich als Teil von einer großen Sache gefühlt, aber keinen Star angehimmelt. Der DJ stand irgendwo in einer Ecke und spielte eigentlich keine große Rolle. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mich besonders interessiert hat, wer da gerade war und ich habe es auch nicht mitbekommen, ob die gewechselt haben.

alles neu und aufregend

Wie ist es dann für dich weitergegangen mit den anderen Clubs? Bist du jedes Wochenende feiern gegangen? Warst du lange wach beim Ausgehen?

Der Tresor hatte am Anfang irgendwie was Cooles und ganz Neues. Aber es hat sich auch schnell abgenutzt. Dann machte glaube ich 1993 das E-Werk auf, das gleich um die Ecke von der Leipziger Straße war. Von da an sind wir immer dorthin gegangen. Ich glaube, da war der Tresor dann schon ein oder zwei Jahre alt. Der Tresor hatte sich auch komisch entwickelt. Er hatte relativ schnell so einen leicht prolligen Charakter angenommen. Das war vielleicht von Anfang an so, hatte aber nicht so eine Rolle gespielt.

Wie war die Stimmung da anders?

Es herrschte irgendwie eine bessere Stimmung auf einmal, auch eine sehr euphorische Stimmung, was glaube ich auch viel mit Drogen zu tun hatte. Vielleicht spielte auch Trance plötzlich eine Rolle, was im E-Werk viel gespielt wurde. Das war dann auf einmal wieder was Neues. Man kannte schon euphorisches Feiern im Club, aber eben ab da nochmal in neuen Zusammenhängen. Dann kamen auch neue oder andere Clubs dazu wie der Bunker in der Reinhardtstraße. Der war damals eigentlich halb illegal. Ganze Bereiche waren abgesperrt. Er war auf jeden Fall nicht bausicher, es lief harter Techno und es tummelte sich eine komische Fetisch-Szene. Da sind wir auch relativ oft hingegangen, um ein Gegengewicht zu dem E-Werk zu haben.

Man ist Teil einer Kultur

Hast du auch illegale Raves mitbekommen und besucht?

Ich war vielleicht vier, fünf Mal auf solchen Veranstaltungen, die dann meistens auch im Sommer und manchmal auch draußen im Wald oder auf einem Feld waren. Da gab es ja diese ganzen Flughäfen rund um Berlin, die ehemaligen russischen Militärflughäfen. Man wusste auch gar nicht genau, ist das illegal oder nicht. Erfahren hat man davon durch Flyer. Es kam aber auch vor, dass ganz kurzfristig im Radio durchgesagt wurde, dass irgendwas wäre. Es gab ja kein Internet und auch keine Handys. Wir sind definitiv auch ein paar Mal zu richtig illegalen Raves gegangen, wo dann irgendjemand eine Anlage und einen Generator besorgt hat. Das war natürlich auch toll, weil alles neu und aufregend war.

Siehst du die Auswirkungen von damals noch heute?

Es gibt immer noch diese magischen Momente, wenn genau der richtige Song im richtigen Moment mit der richtigen Atmosphäre kickt und der ganze Saal rastet aus. Diese Mischung aus dem Licht, dem richtigen Beat und dann vielleicht entweder Alkohol oder irgendwelche anderen Substanzen, das hat sich bis heute nicht geändert. Da ist dieser bestimmte eine Moment, wenn man sich nicht mehr als außenstehender Beobachter fühlt, sondern als Teil des Ganzen. Das ist fast genau das Gleiche wie damals vor 30 Jahren.

Was hat Techno für dich aus heutiger Sicht für dein Leben bedeutet?

Ich bin ja ursprünglich Westberliner und in Charlottenburg und Wilmersdorf groß geworden, was eine relativ langweilige Gegend ist. Ich glaube, dass ich über den Techno da rausgekommen bin. Ich weiß nicht, ob ich ohne Techno jetzt da wo wohnen würde, wo ich wohne. Ich würde wahrscheinlich beruflich nicht das tun, was ich mache. Wenn man sich so sehr für etwas begeistert oder merkt, es gibt mir so viel Spaß und Kraft, dann möchte man daraus auch einen Beruf machen. Deswegen habe ich mich als Journalist darauf spezialisiert und viel Berichterstattung in die Richtung gemacht. In meiner Sendung beim Radio spiele ich immer diese Musik. Man ist Teil einer Kultur und viele andere Leute haben daraus auch eigene Karrieren gestartet, sei es in der Gastronomie, als Journalist mit einem bestimmten Schwerpunkt oder als Klamottenverkäufer, DJ und Plattenhändler. Die Clubs sind Orte in denen man die ganze Welt draußen lassen und einfach machen kann, was man möchte. Dieses Regellose und Freie, was man ja auch vom Punk schon kannte, das habe ich definitiv da gelernt. Dass man selber für seinen eigenen Spaß verantwortlich ist. Freude am Leben und Freude am Beruf habe ich definitiv auch mitgenommen. Ich weiß nicht, ob das ohne den Techno so gekommen wäre, vielleicht über einen anderen Umweg. Aber ich glaube es eigentlich nicht.
 

Martin Böttcher

Martin Böttcher ist West-Berliner, genauer gesagt: Charlottenburger. Vor der Maueröffnung schaute er mal in diese, mal in jene Jugendkultur hinein, bis es ihn dann mit dem Mauerfall in die Clubs zog. Lange Zeit als ganz normaler Feiernder, erst später, als er schon beim Radio gelandet war („Fritz“, „ByteFM“, „Radioeins“, „Deutschlandfunk Kultur“) fing er dann auch selber an, Platten aufzulegen. Der Erfolg hielt sich in Grenzen, aber die Karriere als Techno-Journalist machte das dann wieder wett. Mittlerweile betreibt er den Blog „Technoarm.de“, mit dem Radiokollegen Andreas Müller hat er einen Podcast namens „Pop nach 8“, bei „ByteFM“ läuft seit über 14 Jahren, ohne dass die Sendung auch nur einmal ausgefallen wäre, jeden Samstagabend die zweistündige Show „Electro Royale“. Sein Lieblingsclub? Nach wie vor der Tresor. 

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