Hans Nieswandt
„Ich will nicht im Rampenlicht stehen“
Als DJ, Autor, Journalist und Musiker hat der Kölner Hans Nieswandt eine spezielle Position innerhalb der deutschen House- und Technoszene. In unserem Interview erläutert er nicht nur den Wandel der Zeit, sondern spricht auch über die regionalen Besonderheiten in der deutschen Szene.
Kannst du dich noch an dein erstes Mal „Techno“ erinnern?
Hans Nieswandt: Bei mir bedeutet Techno immer House und Techno. Ich habe Ende der 80er Jahre in Hamburg gelebt. Hamburg war früh dran, was die ganze Musikentwicklung mit elektronischer Musik betraf. Bereits1987 gab es eine Clubnacht, die hieß Shag. Die war einmal die Woche im Ceasars Palace auf der Reeperbahn. Dort habe ich zum ersten Mal Acid House gehört. Acid House war für mich eine große Offenbarung und ein enormer Game Changer, weil Disco- oder Tanzmusik zu diesem Zeitpunkt für mich auf der Stelle traten. Es gab Prince, Michael Jackson und Kool and the Gang. Aber die richtig spannende Zeit der frühen Achtziger, der Postpunk, war vorbei. Man kannte jedes Stück und dazu hat man eben getanzt. Das hat mit Acid House aufgehört. Es gab keine bekannten Stücke, sondern man hat sozusagen zu basalen Reizen getanzt: Beats, Baselines, 303 Gezwitscher. Man hat ins Unbekannte und in die Zukunft hineingetanzt. Was ich an Acid House bis heute sehr gut finde, und was Acid House von Techno unterscheidet, ist, dass ich es als neutral empfunden habe. Es war nicht stimmungsmäßig gefärbt, also im Sinne von aggressiv, düster oder böse, sondern neutral, einfach pulsierend, treibend und trippig.
jede Woche Revolution
Du hast damals schon als Redakteur gearbeitet und bist dann 1990 nach Köln gegangen, um für das Musikmagazin „Spex“ zu schreiben. Wie kam es in der Zeit dazu, dass du als DJ unterwegs warst?Ich hatte schon in den frühen 80ern aufgelegt. Am Anfang, als Acid House los ging habe ich noch nicht gemixt, aber ich habe ab und zu auf der Reeperbahn in kleinen Läden Platten aufgelegt. Soul, Disco, Garage House und alles Mögliche. In Hamburg gab es für Techno keine Dringlichkeit, weil es unheimlich gute Clubs gab. Was Techno betrifft, war ich eher Tänzer. Aber als ich nach Köln gegangen bin, war da nix los. Ich habe dann meine eigenen Club- oder DJ-Aktivitäten entwickelt und Veranstaltungen und auch Club Nights gemacht. Dazu kam, dass gerade '89, '90, '91 jede Woche Revolution angesagt war, was Musik betrifft. Es gab all diese Labels wie Nu Groove und Strictly Rhythm, aber auch Warp. Es war auch noch nicht so, dass in den Clubs nur eine Musikrichtung lief, sondern es liefen Reggae, Hip Hop, House und Techno an einem Abend. Das war alles dramaturgisch aufgebaut. Um das zu präsentieren, habe ich dann mit enormem Eifer zu Hause Mixen geübt. Eigentlich gehört sich das nicht, aber ich habe auch teilweise in der Öffentlichkeit geübt (lacht). Es gab auch sehr viele Veranstaltungen im Untergrund, zum Beispiel in leer geräumten KFZ-Werkstätten, wo wir eine Anlage, eine Nebelmaschine und ein Stroboskop reingestellt haben. Fertig war die Party. Da habe ich auch viel Techno und House gespielt.
Wie hast du die Entwicklung von Techno in Köln in diesen Jahren gesehen?
Dadurch, dass ich eben nicht nur DJ, sondern auch Journalist war und dass sich der Ruf unserer Partys auch relativ schnell in andere Städte übertragen hat, bin ich natürlich viel rumgekommen. Überall wurde Techno Anfang der 90er plötzlich ein Riesending, eine riesige Erfahrung, bei der jede und jeder mitmachen wollte. Das hat sich heute ziemlich abgeschliffen, finde ich. Vor allem in der ersten Hälfte der 90er fand ich es toll, wie sich in Deutschland sozusagen der Föderalismus manifestiert hat. Alle Städte – Berlin, Frankfurt, Köln, München, Hamburg, etwas später kamen auch Dresden, Leipzig usw. dazu – hatten ihren eigenen Sound. Ich halte zwar nichts von Nationalismus, aber mir gefällt die Idee von Regionalismus, dass in einer Gegend bestimmte Dinge entwickelt werden, die typisch für sie sind.
Köln war Bauhaus-Techno
Und das hat sich heute verändert?Das funktioniert heute nicht mehr so, weil nichts mehr Zeit hat, sich ungestört zu entwickeln, sondern weil jede neue Idee an einem Nachmittag bereits um die Welt gegangen ist. Das hat seine Vor- und Nachteile. Aber da es damals noch kein Internet und kein Smartphone gab, konnte sich zum Beispiel in Köln eine Art Soundästhetik entwickeln, die sich deutlich von der Berliner unterschieden hat. Berlin war harter, industrieller Bunker-Techno, Endzeit-Techno, Tanz auf dem Vulkan. In Köln war Bauhaus-Techno, klare Linien, minimales Design, überhaupt Design. In Frankfurt war bukolischer Feier-Techno angesagt. „Gude Laune“-Techno. In München war dekadenter Mode-Techno angesagt, aber überhaupt nicht negativ gemeint. So hat sich das überall ein bisschen ausdifferenziert. Sich gegenseitig zu besuchen und diese unterschiedlichen Spielarten zu erleben, war für mich sehr interessant.
Wo siehst du heute den Techno heute?
Was mir an der ganzen Techno- und DJ-Kultur extrem gut gefallen hat, war die Ausrichtung der Tanzenden. Ich war es müde, vor Bühnen zu stehen und Bands anzusehen: Alle schauen in dieselbe Richtung. Das ist auch etwas, was ich an der heutigen DJ-Kultur sehr bedauere und wo es irgendwie in eine idiotische Richtung gegangen ist. Als ich DJ geworden bin, konnte man DJs nur in Clubs sehen und DJs im Club waren in der Ecke. Die Show waren die Leute und die Musik. Jetzt ist es so, dass Kids auf YouTube ohne Ende DJs sehen, wie sie vergöttert werden, wie sie in mitten von Pyrotechnik und weiß der Kuckuck was auf der Bühne stehen. Ich habe damals Jeff Mills im Tresor bei seinem ersten Deutschland-Gig gesehen. Also da hängt dir ja echt die Kinnlade runter, wenn du siehst, was der analog mit den Händen macht. Das ist echte Zauberei. Der kommt noch aus der Schule des „in der dunklen Ecke verborgenen“. Da zaubert er. Heute macht sich das alles wie von selbst. Es gibt überhaupt kein Risiko mehr. Es kann nichts passieren. Das Schwierigste ist heute die Musikauswahl. Aber im selben Maß, wie es sozusagen immer leichter geworden ist, ist es immer mehr ins Kameraobjektiv gerückt. Deswegen gibt es all diese oft traurigen Vidoes, wie sich alle an den Knöpfen festhalten, um irgendeine Art Aktivität vorzuspielen oder zu performen, wie sie da irgendwie herumtanzen. Das ist eigentlich alles so blöd. Ich fand es auch toll, dass das DJ-Sein eine super Sache für introvertierte Freaks war und ist. Das hat mir mal ein New Yorker Tänzer erklärt: Es gibt „Crazy Freaks“ und es gibt „Cool Freaks“. Ich bin eher ein „Cool Freak“. Ich will nicht im Rampenlicht stehen. Ich will die Strippen ziehen und die Puppen tanzen lassen, aber ich will nicht selber mein eigener „Gogo Boy“ sein. Und das ist irgendwie eine schräge Richtung gelaufen, finde ich.
Hans Nieswandt
Hans Nieswandt ist seit den 80er Jahren ein respektierter wie aktiver Charakter in der Welt der DJ- und Clubkultur, der elektronischen Musikproduktion und des Popjournalismus. Ausgedehnte DJ- und Vortragsreisen führten ihn rund um die Welt. Allein und im Team mit Whirlpool Productions erschienen bis heute sechs Alben und unzählige Remixe. Bei WDR einslive mixt Nieswandt seit Jahren jede Mittwochnacht eine eigene Radioshow. Bei KiWi Köln erschien nach plusminusacht – DJ Tage, DJ Nächte (2002) und Disko Ramallah – und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen (2006) sein drittes Buch: DJ Dionysos – Geschichten aus der Diskowelt (2010).