Tänzerin - Choreografin Kihako Narisawa
Figurative
Die in Frankfurt lebende und in Japan geborene Tänzerin und Choreographin Kihako Narisawa wurde für die jährliche zweimonatige Tanzresidenz des Goethe-Institut Montreal ab August 2018 ausgewählt.
Figurative
ist ein Projekt, das ein System aus Fragen repräsentiert, welche die Diskrepanz zwischen Idee und Wort, Sprache und künstlerischem Ausdruck thematisieren.
Habe ich mich je richtig ausgedrückt?
Kihako Narisawa
Als japanische Künstlerin, die seit sechzehn Jahren in Europa lebt und arbeitet, stelle ich mir die wesentliche Frage: „Habe ich mich je richtig ausgedrückt?” Aus der Perspektive einer nicht-europäischen Nicht-Muttersprachlerin war Kommunikation für mich ein kontinuierlicher Kampf um Klarheit. Es ist ein vielschichtiger Prozess, eine aufgeheizte Leiterplatte, auf der Wissen in Form von Lauten, Wörtern, Slang, Gesten und sozialen Angewohnheiten gesammelt, neu verdrahtet, übersetzt und wieder ausgespuckt wird.
Während der Residenz wird, denke ich, eine neue Integration in die kanadische Kultur entstehen. Montreal wurde stark von der europäischen, insbesondere der französischen Kultur beeinflusst und ist nach Paris die zweitgrößte französischsprachige Stadt der Welt. Ich habe während meiner Tanzausbildung an der Ecole Supérieure de Danse de Cannes Rosella Hightower zwei Jahre in Frankreich gelebt, während meine Partnerin Sonoko Kamimura noch nie in einem französischsprachigen Land gelebt hat. Dies wird ihre erste Begegnung mit der frankophonen Kultur sein. Im Grunde glaube ich, dass das alltägliche Geschehen unsere Erfahrung kultureller Unterschiede während unseres Aufenthalts beeinflusst.
„Das Studium erkennbarer Gesten“
Sie erwähnen folgendes: „Wie können wir die Diskrepanz zwischen Idee und Wort, Sprache und Bewegung angehen?“ Was denken Sie über diesen Prozess und die möglichen Endergebnisse?Ein mögliches Ergebnis ist, mit Zuschauern kommunizieren zu können ... Ich finde den Begriff "cross-dissolving" (Überblendung) passend. Beim Filmemachen bezieht sich das auf den allmählichen Übergang von einem Bild zu einem anderen. Dieses visuelle Bild spiegelt genau die Schwierigkeit des Übersetzens wider, in der Informationen langsam von einer Sprache zur anderen oder eben von Sprache zu Praxis verschwinden ... Ich möchte an bestimmten gemeinsamen internationalen Gesten arbeiten, um unsere sprachlichen Einschränkungen zu kompensieren, und eine Kombination von Bewegungen entwickeln, um mit den Zuschauern zu kommunizieren.
Das Studium erkennbarer Gesten ist mir wichtig. Dabei müssen kulturelle Unterschiede berücksichtigt werden. Zum Beispiel: jemandem winken. In den meisten Ländern winken Menschen mit erhobener offener Handfläche, seitwärts. In Japan winken wir auch mit unserer Hand, aber mit einer Abwärtsbewegung der Handfläche, was in den meisten westlichen Ländern „weggehen“ bedeutet. Das ist für mich die Diskrepanz zwischen Idee und Wort, Sprache und Bewegung im Kontext internationaler Gesten.
Die menschliche Nutzung des Raumes und die Distanz zwischen menschlichen Körpern
Sie sagen, dass diese Residenz Sie „dazu bringen wird, mit neuen Menschen in einer anderen Kultur und mit einer anderen Sprache zu kommunizieren". Wie wollen Sie das konkret in Montréal tun?Das wird automatisch der Fall sein, wenn ich einen normalen Alltag erlebe, da ich sowohl nicht-englische als auch nicht-französische Muttersprachlerin bin. Ich möchte Gesten erforschen und sammeln, die wir oft in unserer Kommunikation verwenden. Wahrscheinlich verstehen die meisten Menschen bestimmte Vokabeln für Tanz und Theater nicht, es sei denn, sie sehen häufig Vorstellungen und sind dadurch mit dem Performance-Kontext vertraut. Es wird also einen "Push" geben, um bestimmte Absichten zu erklären, warum wir mit Menschen über den kreativen Prozess kommunizieren, was ich sowieso als Künstlerin oder im Moment einfach als Japanerin in Kanada mache.
Sie deuten an, dass Sie „untersuchen möchten, wie kulturelle Systeme uns dazu bringen, zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation zu wählen, mit Betonung darauf, wie Proxemik - unsere menschliche Nutzung des Raumes und die Distanz zwischen menschlichen Körpern - durch kulturelle Codes und Normen beeinflusst wird.“ Sie zitieren die Theorien des amerikanischen Anthropologen Edward T. Hall über interkulturelle nonverbale Kommunikation und verwandte Begriffe der Anthropologie des Raumes (einschließlich Verhalten, Berührung und Körperbewegung). Wie werden diese Ideen im Rahmen dieser Residenz aufgegriffen?
Ich werde fremd sein in Montreal, und alle, die ich dort treffen werde, werden neu für mich sein. Ich werde die vier Zonen von Halls Proposal of spacing anwenden: die intime Zone, den persönlichen Raum, den sozialen Raum und den öffentlichen Raum. Meine räumliche Beziehung zu meiner Partnerin, Sonoko, wird sehr intim sein, weil wir uns fast zehn Jahre kennen und wir sowohl Japanerinnen als auch Tänzerinnen sind. Bei Vorstellungen werde ich eine gewisse Distanz zu den Zuschauern respektieren, damit sie sich nicht unwohl fühlen, und den „öffentlichen Raum" anwenden. Aber ich möchte herausfinden, wie nah ich ihnen während der Vorstellung kommen kann, um mit ihnen zu kommunizieren.
Eine Frage des Experimentierens und des Analysierens
Sie sprechen über das "Character Question Sheet" (Charakterabfrageblatt). Wie verändert / stimuliert / verbessert dieses Projekt die Art der Datenerhebung?Das Character Question Sheet enthält Fragen zum Verhalten von Menschen in der Gesellschaft, zum Beispiel: „Neigen Sie eher dazu, eine Führungsrolle zu übernehmen?“, "Vertrauen Sie den Menschen generell?", usw. ... Bei einem experimentellen physischen Workshop für Masterstudenten in der Design- und Kunstabteilung, den ich in der Schweiz geleitet habe, habe ich diesen Fragebogen angewendet. Die Teilnehmer konnten in einer Gruppenübung ihren Charakter und ihre Persönlichkeit analysieren. Das hat mir geholfen, die Charaktere von dreißig verschiedenen Personen zu untersuchen, die ich am ersten Tag des Workshops getroffen habe. Das Frageblatt ist eher ein Indikator dafür, wie man mit Menschen kommuniziert, ihre Denk- und Verhaltensweisen kennenlernt und Qualitäten findet, um diese Tendenzen in eine Bewegung umzusetzen.
Sie sind noch ganz am Anfang des Prizesses, aber wie sehen Sie, wie sich diese Arbeit entwickelt?
Es wird nur eine Frage des Experimentierens und Analysierens sein... Ich könnte zum Beispiel einen Psychologen oder Anthropologen als Kollaborateur anstelle eines Tänzers engagieren. Ich strebe keine Tanzproduktion an. Außerdem werde ich bei der öffentlichen Vorstellung zum Abschluss meines Aufenthalts die Reaktionen des Publikums integrieren.
Wie haben Sie Ihre Partnerin, Sonoko Kamimura, ausgesucht? Haben Sie schon einmal zusammen gearbeitet? Und worin besteht ihr Beitrag zu dem Projekt?
Sonoko trat 2015 in einem anderen Stück von mir auf. Sie war bei Codarts, dem Trainingsprogramm für zeitgenössischen Tanz, in Rotterdam eingeschrieben, wo ich studiert habe. Sie kam erst nach meinem Abschluss an die Tanzschule, aber ich mochte schon immer ihre Bewegungsqualität. Ich denke, dass ihre saubere Bewegungsfähigkeit beim Auftreten in der Öffentlichkeit helfen wird. Außerdem haben wir beide als japanische Tänzerinnen in Europa gelebt und unsere gemeinsame Erfahrung und unsere Unterschiede könnten anregend für das Projekt sein.
Was wissen Sie über Montreal? Ist die Stadt eine wichtige Motivation, den Fokus Ihrer Forschung zu verändern?
Ich weiß noch nicht viel über die unabhängige Tanzszene, aber ich war im Sommer 2016 zum ersten Mal in Montreal und dann nochmal im Frühjahr 2017 für zwei Monate als Proberegisseurin, um das Stück meines vorherigen Choreografs Stephan Thoss (aus Wiesbaden) Les Grands Ballets Canadiens de Montréal zu spielen. Montreal macht den Eindruck einer kulturell und künstlerisch sehr aktiven Stadt. Obwohl ich in Frankreich, den Niederlanden, Italien, Deutschland und der Schweiz ausgebildet wurde und gearbeitet habe, wollte ich diese Forschung gerne auf einem anderen Kontinent betreiben, weitere und unterschiedliche Lebensstile und Kulturen kennenlernen und die Möglichkeit für neue Einflüsse und Austausche schaffen, um den kreativen Prozess zu formen.