Khadidiatou Bangoura & Luana Madikera
Tanz als Forschungsmittel

Tanzresidenz Potsdam | Montreal Khadidiatou Bangoura – Luana Madikera
Tanzresidenz Potsdam | Montreal Khadidiatou Bangoura – Luana Madikera | © Thabo Thindi

Was passiert, wenn man traditionelle Kulturpraktiken ihrem Kontext entnimmt und sie auf einer Bühne zeigt? Was braucht es, damit das respektvoll und achtsam geschieht? Ein Porträt der Tänzerinnen Luana Madikera und Khadidiatou Bangoura, die gemeinsam in Montreal diesen Fragen nachgehen.
 

Von Elizabeth Luft

Sichtlich zufrieden blicken Luana Madikera und Khadidiatou Bangoura in den Bildschirm. Endlich sind sie angekommen in Montreal und haben große Pläne für ihre sechswöchige Residenz in Kanada. „Der Ausgangspunkt für uns ein Projekt in Berlin, bei dem es um eine kulturelle Praktik aus der Region Kroboland in Ghana gehen sollte, mit der dort der Übergang eines Mädchens zur Frau zelebriert wurde“, so Bangoura. Das war 2023, als sich die beiden Künstlerinnen bei einer Tanzplattform für afrikanische, afrodiasporische und europäische Tanzschaffende kennenlernten. „Wir haben uns gefragt, was bei solchen Praktiken geschieht und natürlich, ob es in unseren Biografien oder in den Ländern, aus denen wir kommen, etwas ähnliches gibt.“

Beide wuchsen in Frankreich auf, bevor sie nach Deutschland kamen. „Meine Familie kommt aus Liberia und Guinea in Westafrika“, erzählt Bangoura. „Bei mir sind es die karibischen Inseln Guadeloupe und Martinique “, so Madikera, „auf die meine westafrikanischen Vorfahren deportiert wurden“. Dabei sei ein großer Teil der ursprünglichen afrokaribischen Kultur verloren gegangen, den sie in ihrer künstlerischen Praxis mittels Musik und Tanz zu entdecken und zu verstehen versuche.

Bei der gemeinsamen Recherche merkten die beiden schnell, dass viele Fragen gestellt werden müssen: Wie transferiert man kulturelle Praktiken respektvoll? Sollte das überhaupt gemacht werden und für wen könnte darin ein Mehrwert bestehen? In Montreal wollen sie diese Überlegungen auf Zeremonien in anderen afrikanischen Ländern ausweiten und untersuchen, ob es einen Weg gibt, mit dem das Ursprungsmaterial sorgfältig und bedacht in kreative Prozesse einbezogen werden kann.

Tanzen war für mich nie ein Hobby

Wichtig sei, dass Luana Madikera viel Wissen über traditionelle und moderne afrikanische Tänze mitbringe, und Erfahrung darin habe, sie zu praktizieren und zu lehren, erklärt Bangoura. „Tanzen war für mich nie ein Hobby, sondern neben der Musik elementarer Bestandteil meiner Kultur“, sagt Madikera selbst. Viele Jahre praktizierte sie Kampfkunst und Gymnastik und besuchte ab 2018 Tanzworkshops.

In Paris, Lissabon und London lernt sie urbane Tanzstile aus Ghana, Angola, Südafrika, Kongo oder Côte d'Ivoire kennen und beginnt bald, selbst Kurse für modernen Afro Fusion zu leiten. Sie wird Mitglied der Tanzschule One Vibe und Mitgründerin der Tropical Bass Band La Byle. „Wir alle kommen aus Brasilien oder der Karibik und sind mit einem Fuß in Berlin verankert“, sagt sie. So ist ihre Musik stark von Hiphop, Baile Funk und Afrohouse beeinflusst, gesungen wird auf Portugiesisch, Englisch, Kreyol, Französisch und Deutsch.

Mit dem „Advanced Dance Program“ schließt sie 2022 ihre erste professionelle Tanzausbildung im Berliner Studio 29 ab und lernt dort eurozentrische Stile, wie Jazz, Ballett und Contemporary kennen. 2023 setzt sie ihre Ausbildung mit dem Programm „Diaspora Africa“ an der renommierten École des Sables im Senegal fort, einem internationalen Zentrum für traditionelle und zeitgenössische Tänze aus Afrika und dem Westen. Inzwischen würde sie sich auch als zeitgenössische Tänzerin beschreiben, so Madikera, durch Projekte an der Deutschen Oper Berlin, im KW-Institute for Contemporary Art Berlin oder auf Kampnagel in Hamburg.

Hier ergänzen sich die beiden Künstlerinnen in ihrer Forschung, denn Khadidiatou Bangoura macht sich seit vier Jahren als Tänzerin und Choreographin einen Namen in der freien Tanzszene Kölns. Ihren Weg zum professionellen Tanz fand sie in London, als sie dort Internationale Beziehungen und Entwicklungszusammenarbeit studierte, „um einen Beitrag zum Fortschritt afrikanischer Länder zu leisten“, wie sie sagt. Die unzähligen Möglichkeiten, die die englische Hauptstadt im Tanz zu bieten hatte, waren faszinierend und sie besuchte Tanzklassen internationaler Künstler*innen. „Sicherlich kann durch internationale Zusammenarbeit Gutes bewirkt werden, aber damals wurde mir bewusst, dass es auch andere Wege gibt.“

Alle haben eine eigene Körpersprache.

Mit zwei Studienabschlüssen in der Tasche wagte sie einen Neuanfang, ging nach Berlin und begann eine dreijährige Ausbildung im Bühnentanz. Die Choreographie kam im zweiten Ausbildungsjahr dazu: „Wann stehen wir wo? Wann kommt warum die Musik dazu und welche Atmosphäre wird dadurch geschaffen? Dieser Schaffensprozess hat mich fasziniert, vor allem, wenn viele Menschen auf der Bühne sind und dadurch sehr viel Identifizierungs- und Anknüpfungsfläche für das Publikum entsteht.“ Inzwischen interessiere sie sich vor allem für Improvisation, denn das biete die Möglichkeit, mehr Menschen Zugang zum Tanz zu verschaffen. „Viele denken, ich kann mir das nicht merken oder ich kann das nicht genauso ausführen, wie du es vorgemacht hast. Aber mir ist wichtig: Alle haben eine eigene Körpersprache, und das ist fantastisch. Es geht darum, sie zu vertiefen und so zu schärfen, dass es ein Tanz ist. Das ist ein anderes Verständnis von Tanz, das mir sehr gefällt.“

In Montreal wollen Madikera und Bangoura herausfinden, wie sich ihre künstlerischen und politischen Positionen durch die Recherche wandeln und wie sich das auf ihre Kunst auswirkt. Den Begriff des Rituals wollen sie dabei hinterfragen und überprüfen. Weil mit diesem Wort eine Wertung einhergehe, die Kulturen exotisiert und dämonisiert und Spiritualität dabei als etwas Negatives dargestellt wird. „Diese Bilder sind Relikte des Kolonialismus, mit denen ganze Kulturen zunichte gemacht werden sollten. Für uns ist also die Frage: Was für Worte gibt es, die diese Zeremonien, diese tänzerischen und musikalischen Praktiken beschreiben, ohne sie zu bewerten und sie ihrem Sinn zu berauben?“

Tanz sei dafür ein geeignetes Mittel, weil er die Möglichkeit biete, sich der eigenen Kultur wieder habhaft zu machen, sie zu entdecken und zu verstehen. „Auch können wir unsere Gefühle damit ausdrücken und verarbeiten, deshalb interessieren mich auch seine psychosomatischen Aspekte“, erklärt Luana Madikera. Ihr Blick auf Tanz habe sich im Lauf der Zeit stark verändert: „Ich schätze, das traditionelle Tänze wie der Gwoka aus Guadeloupe im Widerstand entstanden sind und sie die Weiterentwicklung meiner Tanzpraxis beeinflussen können.“

Während ihrer Recherche in Montreal wollen die beiden Tänzerinnen nicht nur Tanzklassen besuchen und auf der Ebene von Körper und Bewegung forschen, sondern sich auch mit anderen afrodiasporischen und indigenen Künstler*innen vor Ort austauschen. „Hier in Kanada spielen Themen der nordamerikanischen Geschichte und der First Nations eine wichtige Rolle. Wir sind interessiert daran, zu erfahren, inwiefern unsere Fragen, die auch ein Produkt des Kolonialismus sind, eine Rolle in der Arbeit indigener Künstler*innen spielen, sagt Bangoura. Auch von der Stadt wollen die beiden sich treiben lassen, ihre Architektur und Kultur entdecken. „All das beeinflusst und befruchtet den Prozess und wir hoffen, dass wir viel lernen können. Denn unser Gefühl ist, dass wir gerade eine Tür zu etwas öffnen, das länger gehen wird.“
 

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