Toronto Comic Arts Festival 2019
Ein Stück deutscher "Heimat" in Toronto

TCAF
© Seth

Das Toronto Comic Arts Festival (TCAF) verteidigt nun seit 16 Jahren seinen Status als eines der weltweit führenden Events für Comics und Graphic Novels.

Von Laura Kenins

Wie jedes Jahr gab es zahlreiche Aussteller und ein straffes Programm an Signierstunden und Panels.  Dieses Jahr wurde eine Reihe beliebter Veranstaltungen präsentiert, unter anderem mit dem bekannten japanischen Künstler Junji Ito und einigen mit Spannung erwarteten kanadischen Buchdebüts wie etwa Seths Clyde Fans, Emily Carrolls When I Arrived at the Castle, Vivek Shrayas, Ness Lees Death Threat und Mariko Tamakis Laura Dean Keeps Breaking Up With Me. Es war schier unmöglich alles zu besuchen, viele Teilnehmer versuchten es dennoch.

Deutschland wurde durch TCAF-Ehrengast Nora Krug vertreten, eingeladen vom Goethe-Institut Toronto. Die in New York lebende Krug präsentierte ihr Buch Belonging (Heimat), das von ihrem Ringen mit der deutschen Nazi-Vergangenheit erzählt. Das Goethe-Institut präsentierte im dritten Stock der Toronto Reference Library außerdem die Plakatausstellung „Berliner Mythen/Berlin Myths", eine Tour durch Berlin und dessen Geschichte, erzählt in Form von Comics des deutschen Künstlers Reinhard Kleist (Kleist war 2014 zu Gast beim TCAF). Die Ausstellung war bis zum 31. Mai zu sehen.

Zum zweiten Mal gab es im Rahmen des TCAF die Zineland Terrace, auf der kostengünstige Tische für lokale Zine-Gestalter und Selbstverleger angeboten wurden. Dieses Modell wurde schon bei anderen Comic-Festivals erfolgreich angewendet, zum Beispiel beim Helsinki Comics Festival.  Da bei anderen Zine-Messen in Toronto im Laufe des Jahres schnell alle Plätze belegt sind, wie unter anderem bei Canzine und Zine Dream, bietet die TCAF Zineland Terrace eine dringend benötigte Plattform für die wachsende und diverse Zine-Community der Stadt. 2018 wurde die Zineland Terrace erst kurz vor dem Festival auf die Beine gestellt und einige Gäste hatten Schwierigkeiten sie zu finden, doch dieses Jahr war sie viel besser besucht, wie die Aussteller feststellen konnten.

Die Terrasse präsentierte Konzepte wie den Zero Dollar Store, eine Art Zine-Handel, bei dem Besucher ein imaginäres Wesen zeichnen, ein Lied spielen oder eine Vielzahl anderer Aktivitäten präsentieren konnten, um ein kostenloses Zine zu erhalten  — was sowohl Kinder als auch Erwachsene animierte.

Im mittlerweile zehnten Jahr bot der Wowee Zonk Small Press Bereich eine kuratierte Auswahl an Klein- und Selbstverlegern an, sowohl lokale als auch aus der entfernteren Umgebung. Hier wurden Künstler*innen aus dem Bereich der bildenden Kunst gezeigt, darunter Kunststudierende und Absolventen*innen, deren Disziplinen von Comics und Druckgrafik über Keramik bis hin zu Mode reichten.

Ein Highlight war die Arbeit des Illustratoren Misbah Ahmed aus Toronto. Ahmed, ein OCAD-Absolvent des Jahrgangs 2018, absolviert derzeit eine Künstlerresidenz im 401 Richmond Art Space in Toronto. Seine gezeichneten und gemalten Illustrationen zeichnen sich durch eine trügerische Einfachheit aus und nehmen die Zuschauer mit auf eine Weltreise, von Toronto über New York bis in den Nahen Osten.

  • Wowee Zonk © Laura Kenins

    Wowee Zonk

  • Misbah Ahmed © Misbah Ahmed

    Misbah Ahmed

  • Beena Mistry © Laura Kenins

    Beena Mistry

  • Graphic Medicine © Laura Kenins

    Graphic Medicine



Die in New York lebende kanadische Künstlerin Siobhan Gallagher (s.u.) hatte einen der lebendigsten Tische im ersten Stock, flankiert von leuchtend rosa "LEAVE ME ALONE"-T-Shirts und ihren piktographischen Comics zu Themen wie Pyjamaparties, Arbeit oder Depressionen.

Ben Passmore
Ben Passmore | © Laura Kenins
Der Künstler Ben Passmore aus New Orleans lancierte das Fantagraphics-Buch BTTM FDRS - geschrieben mit Ezra Claytan Daniels - zusammen mit einer neuen Ausgabe seines Comics Daygloayhole. Passmores Arbeiten werfen einen scharfen, beißenden Blick auf Themen wie Rasse und Gentrifizierung, während sie ebenso in schrägen und grotesken Sci-Fi und Horror eintauchen.

Die Künstlerin Beena Mistry aus Mississauga erfreute das Publikum mit einem unterhaltsamen und farbenfrohen Tisch mit Riso-Postern und Comics über Geschlechter, Prinzen und queere Romantik.

Das in Pennsylvania ansässige Graphic Medicine, sowohl Verleger als auch Kollektiv, das jährliche Konferenzen veranstaltet, stellte Bücher über Ärzte, reproduktive Gesundheitsfürsorge, Superhelden und Behinderungen und vieles mehr vor. Der Einsatz von Comics im Gesundheitswesen ist ein Thema, das in den letzten Jahren aus gutem Grund mehr Presse bekommen hat, da sich die öffentlichen Diskussionen über Behinderung, Bevölkerungsalterung und Gesundheitsfürsorge weiterentwickelt haben.

Rotopol
Rotopol | © Laura Kenins
Rotopolpress (beim TCAF 2015 Gast des Goethe-Instituts) brachte deutsche Arbeiten zum TCAF (mit Büchern in deutscher und englischer Sprache). Zu den neuen Höhepunkten der Presse zählten Mikkel Sommers und Anna Rakhmankos Strannik, ein Sachbuchcomic, in dem die Schriftstellerin Rakhmanko mehrere Tage in Moskau verbrachte, um Vyacheslav, einen obdachlosen Kampfsportler, zu interviewen. Ein weiteres Highlight war der märchenhafte Minicomic In Winter der Verlegerin Rita Fürstenau.

Die Toronto Reference Library ist normalerweise relativ barrierefrei. Dieses Jahr jedoch führten die aus finanzieller Sicht begrüßenswerten Massen an Teilnehmenden zu einer Einschränkung der Zugänglichkeit. Ich beobachtete, wie einige Besucher in Rollstühlen versuchten, sich durch die Menschenmassen zu quetschen und auch für Menschen mit weniger sichtbaren Mobilitätsproblemen oder anderen Einschränkungen wie visuellen, akustischen oder neurologischen Problemen, oder für Besucher mit Kindern kam es zweifellos zu Problemen bei der Fortbewegung.

Es stellt sich die Frage nach alternativen Modellen, die es den Menschen ermöglichen können, die Tische zu durchstöbern und freier mit den Künstlern zu sprechen, während man dennoch den Zugang der Gemeinschaft beibehält und das Wochenende auch für Verkäufer lohnenswert hält.

Dadurch, dass das Festival Menschen aus Toronto aus allen Altersklassen, Schichten und aus den verschiedensten Regionen Nordamerikas bedient, ist das Festival seinem Motto auf dem diesjährigen, von Seth designten Poster definitiv treu geblieben: „Comics für alle!“
 

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