Rosinenpicker | Literatur
Die ganz alltägliche Horrorshow
Barbi Marković präsentiert einen vielschichtigen Episodenroman, in dem sie alltägliche Begebenheiten mit Elementen des Fantastischen mixt. Das Ergebnis: lehrstückhafte Gruselgeschichten – und der Gewinn des Preises der Leipziger Buchmesse 2024.
Von Michael Krell
Minihorror erzählt eine Reihe von (teils sehr) kurzen Geschichten aus dem Leben der beiden Protagonist*innen Mini und Miki. Sie (Mini) ist mal erfolgreiche Autorin, mal Grafikdesignerin, er (Miki) verbringt seine Tage als Angestellter in einem Büro. Beide leben gemeinsam in Wien. Mini, wie die Autorin selbst, stammt aus Serbien, Miki kommt aus Osttirol.
Miki liebt Mini. Er hat sie einst in einer Bar gesehen und gefragt, ob sie auch Komparatistik studiert, und sie hat Nein gesagt. Sie hat ihm sofort gefallen.
Überraschungsmomente mit Hintersinn
Roald Dahl, J.G. Ballard, George Saunders – große Namen kommen einem in den Sinn, wenn man versucht zu verstehen, was hier vor sich geht. Da ist zum Beispiel das ominöse Kitzelmonster, das, einen schlechten schwarzen Anzug tragend, alleingelassene Opfer von Unfällen oder Verbrechen durchkitzelt:Überall, wo die Menschen einander nicht helfen (können oder wollen, das ist egal), taucht das Kitzelmonster auf und geht auf die Person, der nicht geholfen wird, los, um sie zu kitzeln.
Auf diese Weise finden sich in jedem Kapitel gesellschaftskritische Momente, mal beißend, mal bitter. Kein noch so selbstverständliches Ritual ist Barbi Marković heilig, selbst der gemeinsame Wohnungsputz wird (brillant) analysiert:
Die Ordnung ist ein Arschloch, schon das Streben danach macht etwas mit den Leuten. Die Kunst besteht darin, den Moment kurz vor der Katastrophe zu erkennen.
Lesbar, spannend und humorvoll
Formell entfernt Barbi Marković sich, genau wie in ihrem 2021 erschienenen, vielgelobten Werk Die verschissene Zeit, von der Form des linearen Romans. Minihorror vermeidet wortgewaltige Kapriolen, seine Komplexität verbirgt sich zwischen den Zeilen. Barbi Marković ist eine Meisterin der leisen, amüsierten Töne, die Kraft ihrer Prosa kommt von innen. Die Selbstverständlichkeit und das literarische Selbstbewusstsein, mit dem sie erzählt, haben ihr hochverdient, wenn auch angesichts der starken Konkurrenz überraschend, den Preis der Leipziger Buchmesse beschert. Ist es ihr doch gelungen, ein relevantes und aktuelles Werk zu schaffen, dass gleichzeitig so lesbar, spannend und humorvoll gestaltet ist, dass es auch Lesende jenseits des Literaturbetriebes wird erreichen können.Miki ist sich nicht sicher, was er über das Leben denken soll. Ist es gut? Ist es schlecht?
Barbi Marković „Minihorror“
Wien: Residenz, 2023, 192 S.
ISBN: 9783701717750
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