Rosinenpicker
Hyperschall und Luftmaschen

Lebensnah, aber auch fantastisch, abenteuerlich, spannend und informativ: All das trifft auf unsere kleine Auswahl neuer Kinderbücher zu.

Von Holger Moos

Anne Becker studierte Sonderpädagogik und war mit ihrem ersten Kinderroman Die beste Bahn meines Lebens (2019), in dem die Hauptfigur unter Lese-Rechtschreibstörung leidet, für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. In ihrem neuen Kinderbuch Luftmaschentage leidet die Ich-Erzählerin Matea unter Ängsten und spricht außerhalb ihrer Familie kaum. Bis ein neues Mädchen in ihre Klasse kommt. Ricci, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammt, ist das komplette Gegenteil von Matea. Sie lässt sich nichts gefallen und ist nie um einen coolen Spruch verlegen. Der schüchternen Matea nähert sie sich vorurteilslos und hilft ihr, aus ihrer Isolation zu finden. Becker erzählt einfühlsam die Geschichte einer ungleichen Freundschaft, die einige Belastungsproben überstehen muss. Ihr gelingt ein überzeugendes Plädoyer für mehr Verständnis und Toleranz.
  Von zwei ungleichen Brüdern handelt Oliver Scherz‘ Kinderbuch Sieben Tage Mo: Karl ist ziemlich verzweifelt. Vier Tage in der Woche muss er auf seinen seit der Geburt behinderten Zwillingsbruder aufpassen. Und er kommt immer zu kurz. Die Mutter arbeitet als Krankenschwester, der Vater ist im Ausland. Karl schwankt zwischen Aggression und Liebe zu seinem Bruder. Vor den Klassenkameraden verheimlicht er ihn. In der Schule zeigt er seinen Frust durch auffällige Aktionen. Scherz beschreibt das Verhalten des behinderten Jungen und die Reaktion der Umwelt psychologisch genau. Alles wird besser, als Karl ein Mädchen kennenlernt, das zu ihm nach Hause kommt und gleich vom Bruder vereinnahmt wird, ihn akzeptiert, genau wie seine Fußballfreunde. Und als die Mutter erkennt, dass er überfordert ist. Das von Philipp Waechter illustrierte Buch gewann den Luchs des Monats Oktober 2023. Gelobt wird Sieben Tage ohne Mo für seine „unprätentiöse Story, die absichtlich ‚klein‘ daherkommt, um so ohne Pathos und Kitsch von den großen, wichtigen Dingen des Lebens zu erzählen: Angst, Freundschaft, Verrat, Familie, Einsamkeit, Verliebtsein und Glück. Und von der Tragikomik des Alltags.“

Fantasy und Weltraumabenteuer

Dass es in gelungenen Kinderbüchern nicht immer um Problemthemen gehen muss, beweist Margit Ruile mit ihrem Fantasy-Abenteuer Nelumbiya. Im Land der magischen Pflanzen: Tara lebt in der kargen Felsenstadt Ornata, die von dem finsteren Zauberer Askiel beherrscht wird. Hier erzählt man sich vom verbotenen Land Nelumbiya, aus dem wilde Pflanzen einst alle Menschen vertrieben haben sollen. Trotzdem hat Tara schon immer eine unerklärliche Sehnsucht danach, dieses Land kennenzulernen. Ob es an dem Zeichen auf ihrem Arm liegt, von dem niemand wissen darf? Als Askiel alle Menschen mit einem Zeichen suchen lässt, muss Tara fliehen. Mit ihren Freunden Semur und der Fürstentochter Helena wagt sie die gefährliche Reise nach Nelumbiya. Gelingt es ihnen, das Land der magischen Pflanzen zu finden und die Menschen wieder mit der Natur zu versöhnen?

Sammy muss erfahren, dass seine Eltern Weltraumagenten sind. Sie haben von ihrem Heimatplaneten den Auftrag erhalten, sofort zurückzukommen, um einen gefährlichen Weltraumpiraten und seine Truppe unschädlich zu machen. Auch der Familienkater entpuppt sich als Weltraumpilot. Zusammen mit seinen neuen Schulfreunden wird Sammy in den Kampf mit den Piraten verwickelt. All dies gestaltet sich witzig, mit einfallsreicher Technik und verrückten magischen Kampfideen. Patrick Fix‘ Space Alarm. Mit Hyperschall durchs All ist gutes Lesefutter mit wilden Zeichnungen für junge Science-Fiction-Fans.

Spannend wie „Ocean’s Eleven“

Wanda, raffiniert, frech und skrupellos, sammelt in ihrer neuen Schule Informationen über fünf Schüler*innen, die sie braucht. Denn sie plant einen Einbruch. Sie eröffnet den Fünfen, dass sie mit ihnen in eine Luxuvilla am Stadtwald einsteigen will, um dort den von einem Star signierten Tennisball zu klauen. 30.000 Euro soll der wert sein. Sie planen bis ins letzte Detail, doch dann nimmt alles einen gänzlich anderen Verlauf. Lena Hachs Kinderkrimi Was Wanda will funktioniert laut einer Besprechung von NDR Kultur wie die Gaunerkomödie Ocean’s Eleven: „Ein großartiges Buch, spannend, witzig – und der geplante Coup wird mit richtig guten Skizzen illustriert.“

Schließlich widmet sich ein neues Kindersachbuch dem Thema Biodiversität, einem etwas sperrigen Wort, womit auch der flapsige Titel des Buches spielt: In Bio-Diversi-Was? stellen die Biologin Andrea Grill und ihr „Sprachroboter“ Robi auf ungewöhnlich kreative Art sieben Lebensräume vor, vom Meer über die Wiese, die Flüsse, die Luft, den Wald und die Berge bis ins Innere der Erde. Autorin und  Begleiter führen Interviews mit ihren wichtigsten Bewohnern und präsentieren dem Lesepublikum neben fachlichen Informationen Anregungen zum Rätseln und Spielen. Herausgekommen ist ein besonderes Buch, das Kindern die Artenvielfalt begreifbarer macht. Geschmückt wird diese Reise ins Tier- und Pflanzenreich von Sandra Neuditschkos farbkräftigen und detailgetreuen Illustrationen.