Renaissance der Bibliotheken
Neue Blütezeit
Kaum jemand prophezeit noch das Ende der Bibliotheken. Stattdessen wird diskutiert, wie man sie zum Nutzen aller unterstützen kann. Ein durchaus optimistisches Resümee unserer Serie „Bibliotheken der Zukunft“.
Von Samira Lazarovic
Was ist mit Google? Was ist mit Künstlicher Intelligenz? Wird es in Zukunft noch Bücher geben? Wer besucht eine Bibliothek, wenn er sich mit einem Klick das Weltwissen auf einen Bildschirm holen kann?
„Eine Sache, die mich hinsichtlich der aktuellen Lage von Bibliotheken wirklich glücklich macht – und unglücklicherweise könnte dies mit der aktuell schwierigen globalen Lage zusammenhängen – ist, dass ich in den letzten paar Jahren miterlebe, wie die Menschen über diese Art von Fragen hinwegkommen“, sagte Nate Hill vom Metropolitan New York Library Council im Interview mit dem Goethe-Institut. Die Menschen seien viel weniger daran interessiert, sich mit der Frage nach dem nächsten technischen Spielzeug, das Bibliotheken verdrängen könnte, zu beschäftigen. Stattdessen würden Themen wie Informationsverteilung, Gleichberechtigung in der Forschung und Ähnliches in den Vordergrund gestellt.
Inklusion, Diversität, Klimawandel
In der Tat wurde in den vergangenen Jahren in den Diskussionen nach und nach wieder freigelegt, dass Bibliotheken nicht nur in der Vermittlung von Lesekompetenz gesellschaftlich nützlich sein könnten, sondern auch insgesamt bei relevanten Themen wie Inklusion, Diversität oder Klimawandel. Mehr und mehr wird in diesen Zusammenhängen auf das gesammelte Wissen der Bibliotheken gesetzt. Sie haben sich zu Orten entwickelt, in denen nicht nur ein Bewusstsein für die genannten Probleme geschaffen, sondern auch gemeinsam ein Lösungsweg gefunden werden kann.„Die Bibliothek der Zukunft wird eine Plattform und Organisatorin dafür sein, Wissen zu verknüpfen, mit anderen zu teilen und weiterzuentwickeln. Darüber hinaus werden Bibliotheken eine besondere Funktion in der zunehmend multiethnischen Einwanderungsgesellschaft einnehmen“, hieß es etwa bei der „Next Library Conference“, die im September 2018 in Berlin stattfand und inspirierende Gedanken zu dieser Reihe zur Zukunft der Bibliotheken beisteuerte.
Teilhabe am kulturellen und öffentlichen Leben
Den Fragen nach dem Wie sind kaum Grenzen gesetzt: Neben der klassischen Arbeit mit Büchern und anderen Medien bieten Bibliotheken Wissensvermittlung in verschiedensten Sprachen, Zugänge zur digitalen Welt und zu Social Media, Aufklärung in Sachen Fake News und vieles mehr. Nicht zuletzt gehören Bibliotheken zu den wenigen nicht kommerziellen, öffentlichen Orten. So warben viele amerikanische Bibliotheken am diesjährigen „Black Friday“, der traditionell das Weihnachtsgeschäft im Einzelhandel einläutet, augenzwinkernd damit, das ganze Jahr über extreme Preisnachlässe zu gewähren – und zwar mit kostenlosen Zugängen zu Büchern, Medien und mehr. „Für die einen sind die Bibliotheken Rückzugsorte, für andere machen sie die Teilhabe am kulturellen und öffentlichen Leben überhaupt erst möglich – unabhängig vom Einkommen“, schrieb Leonard Novy, Publizist und Politikwissenschaftler, in dem Eröffnungstext zur Serie „Zukunft Bibliotheken“„Bibliotheken haben nur keine Zukunft, wenn man sie als passive Bücherlager ansieht“, ist die niederländische Architektin Francine Houben überzeugt – entsprechend stellen sie und ihr Architekturbüro Mecanoo die Menschen in das Zentrum ihrer Entwürfe für Bibliotheken. Auch andere Beispiele wie die „Chocoladefabriek“ im niederländischen Gouda, zeigen, wie moderne Architektur die Bibliotheken mehr und mehr dabei unterstützt, sich ihrem Publikum zu öffnen – weg von Bastionen für wenige, hin zu Gemeinschaftsräumen für alle. Traci Engel Lesneski, Leiterin des US-amerikanischen Architekturbüros MSR, sieht Bibliotheken als Spiegelung ihrer Community: „Als Einrichtung für inklusive Organisationen sollten sie so entworfen werden, dass sie der größtmöglichen Schnittmenge von Personen dienen.“
Bibliotheken: UNENTBEHRLICH In bewegten Zeiten
Eine größtmögliche Schnittmenge zu schaffen ist jedoch nicht nur bei der Gestaltung der Gebäude relevant, sondern auch bei der Auswahl der Mitarbeiter der Bibliotheken. „Es ist unfair, von einzelnen Personen zu erwarten, dass sie aus dem Stand Experten für Digitalisierung, Integration und Inklusion werden“, meint Nate Hill. Deshalb bräuchte man viele verschiedenen Typen von Bibliothekaren und gute Netzwerke, innerhalb derer man die Experten aufspüren könnte.Spektakuläre Architektur und beeindruckende Expertennetzwerke werden wahrscheinlich vorwiegend auf Großstädte beschränkte Phänomene bleiben. Andernorts müssen Bibliotheken in den kommenden Jahren vermutlich weiterhin unter Etatkürzungen und Personalmangel leiden. Doch dass sich mehr und mehr die Ansicht durchsetzt, dass Bibliotheken in diesen politisch und gesellschaftlich bewegten Zeiten unentbehrlich sind, wird der ganzen Branche in den nächsten Jahren Auftrieb verleihen. „Wenn es Bibliotheken nicht gäbe, müsste man sie erfinden“, schreibt Leonard Novy. Und zum Glück sind sie heute mehr als bereit, auch sich selbst neu zu erfinden.