Underground Treffpunkte
Untergrundstadt Toronto
Toronto hat eine pulsierende Underground-Szene und somit werden Räumlichkeiten gebraucht, in denen die Interpreten und Künstler auftreten können. Ob Film, Musik, Comedy oder Performance Art – die Stadt besitzt verschiedene alternative Veranstaltungsorte für unkonventionelle Formate, denen es gelingt, sich dem Verwaltungsaufwand und den Auflagen der eher mainstream-orientierten – und bürokratischen – Veranstaltungsorte zu entziehen, die strenge Einlassbeschränkungen oder hohe Preise einfordern können.
Aufgrund des unkalkulierbaren DIY-Charakters der Veranstaltungsorte abseits des Mainstreams haben die meisten nicht lange Bestand. Diejenigen, die überleben, besitzen oft mehrere Funktionen – sie dienen nicht nur als kultureller Anlaufpunkt für bestimmte Nischen-Szenen, sondern gleichzeitig auch als Wohn- oder Geschäftshäuser (oder sogar als Kirche). Ihre Leidenschaft und ihre Prioritäten gelten der Förderung und Unterstützung neuer Talente, Ideen und Erfahrungen, nicht der Gewinnerzielung. Die folgenden Veranstaltungsorte zählen zu den bestgehüteten Geheimnissen der Stadt.
CineCycle ist tagsüber eine Fahrrad-Werkstatt, die sich abends in ein Kino und einen Schauplatz der Underground-Szene verwandelt. Sie befindet sich seit 1995 in einer unscheinbaren alten Remise, versteckt in einem Abzweig der Spadina Avenue (nach verschiedenen anderen Inkarnationen und Standorten seit den 70er Jahren). Im abblätternden Charme der Innenräume hängen Fahrräder an den Backsteinwänden. Das Gebäude ist Teil des denkmalgeschützten 401-Richmond-Komplexes, einem Kunstzentrum aus der Hand der Torontoer Stadtplanerin Margaret Zeidler, Tochter des deutschstämmigen kanadischen Architekten Eberhard Zeidler.
Inhaber Martin Heath hat zwei große Passionen: Fahrräder und den experimentellen Film - er hat sogar bereits fahrradbetriebene Filmprojektoren gebaut. CineCycle hat sich der Community der lokalen und internationalen Experimentalfilmemacher verschrieben. Das Kino bietet 70 Besuchern Platz und zeigt drei bis vier Vorführungen pro Woche. Die Bandbreite des Programms reicht von Nosferatu im 16mm-Format mit Live-Musikbegleitung bis hin zu zeitgenössischeren Werken, wie den Super-8-Filmen der deutschen Filmemacherin Dagie Brunderts.
Heath, der den Raum gelegentlich für DIY-Musikveranstaltungen vermietet, zeigt hin und wieder Filme aus seiner persönlichen Sammlung, die er als „The Vault“ (Schatzkammer) bezeichnet. Nach seinen Schätzungen umfasst sie 1500 Filme (einige davon eigene Werke), von 8 mm bis 35 mm, von Stummfilmen aus dem Jahr 1907 über europäische Klassiker und amerikanische Filme bis hin zu obskuren Scopitone-Filmen, die in den 60ern zur Vorführung in Jukeboxen gedreht wurden – praktisch die Vorgänger der heutigen Musikvideos . „Die zeige ich und die kommen wirklich gut an“, erklärt Heath, „Das ist so etwas wie ein kulturelles Artefakt.“
Ähnlich dem CineCycle ist die Music Gallery ein Ort, an dem Musik dargeboten wird, die dem Publikum anderswo möglicherweise niemals zu Ohren kommt. Sie befindet sich seit 2001 in der pittoresken Kirche St. George the Martyr, die versteckt am Rande des Grange Parks etwas südlich von der Art Gallery of Ontario und der OCAD liegt.
The Music Gallery wurde 1976 von Peter Anson und Al Mattes von der freien Improvisationsgruppe CCMC (Canadian Creative Music Collective) gegründet, „gewissermaßen als Reaktion auf die künstlergeführten Kunstgalerien der 70er Jahre – von denen keine viel Musik auf dem Programm hatten“, erklärt David Dacks, heute künstlerischer Leiter. Ziel ist es, experimentelle und innovative Musikformen zu präsentieren, von Improvisationsmusik über Noise bis hin zu Musik aus der ganzen Welt (der deutsche Elektro-Musiker Frank Bretschneider gab hier die nordamerikanische Premiere seines Werks Kippschwingungen). Hierzu gehört auch eine gegenseitige Befruchtung von Genres und Publikumsgruppen. Dacks hat sich das Ziel gesetzt, dass die Music Gallery Toronto stärker in seiner Ganzheit widerspiegelt, mit all seinen Kulturen und Strömungen. „Wir sind auf einem guten Weg, aber es gibt noch einiges zu tun.“
Mit seinem Mauerwerk und farbigen Fensterglas bietet der Raum 150 Besuchern Platz, gelegentlich finden Veranstaltungen auch im Innenhof statt. Da die Kirche noch als solche genutzt wird, müssen der Auf- und Abbau jeweils am Tag der Aufführung stattfinden, doch der Aufwand lohnt sich, da der Raum eine ausgezeichnete Akustik hat. „Ich würde sagen, kein anderer Veranstaltungsraum der Stadt ist so stark auf das Zuhören ausgerichtet wie dieser. Wenn Feinheiten, Nuancierungen oder Innerlichkeit in der musikalischen Darbietung eine wichtige Rolle spielen, ist dieser Aufführungsraum wie gemacht dafür“, erklärt Dacks.
Double Double Land, ein DIY-Kunstraum für verschiedene Nutzungen im Herzen von Kensington Market, den man über eine Seitengasse der Augusta Avenue über eine Treppe erreicht, gibt es seit 2009, als zwei Freunde, Jon McCurley und Daniel Vila, sich eine günstige Wohnung suchten.
Vila hatte sich mit der Organisation von Veranstaltungen rund um Toronto bereits einen Namen gemacht; er hatte zwei Guerilla-Musik-Reihen ins Leben gerufen, die in leerstehenden Lagerhallen und anderen Lokalitäten der Stadt stattfanden. McCurley ist einer der Partner des Performance/Art/Comedy-Duos „Life of a Craphead“ (der Name DDL leitet sich aus dem Titel eines ihrer Stücke ab), daher besaßen sowohl er als auch Vila die besten Voraussetzungen, um einen so unkonventionellen Veranstaltungsort wie diesen zu leiten.
McCurley sagt, sie hätten DDL auf die Beine gestellt, „um einen Raum für darstellende Künste zu schaffen, der keine Bar ist und bei dem wir das Sagen haben, so dass wir die Richtung vorgeben können und die Veranstaltungen nach unserem Geschmack auswählen können …“, Vila führt seinen Satz zu Ende, „… die in anderen Räumen keinen Sinn machen. Wir können einfach das tun, was wir wollen, und wenn einmal nur zwei Leute kommen, ist das nicht das Ende der Welt.“
Das Programm ist vielseitig: ob Theater, Tanzparty oder Comedy-Show, in der Regel findet immer etwas Interessantes statt. Zum 5. Jahrestag der Eröffnung engagierten Vila und McCurley für eine Show The Space Lady (Susan Dietrich Schneider – in den 80ern eine berühmte Straßenkünstlerin aus San Francisco) – das war eines ihrer persönlichen Highlights. „Es gibt definitiv Abende, für die sich das alles gelohnt hat“, erklärt McCurley.
Alle DDL-Bewohner übernehmen gemeinsam die Pflichten, die mit dem Betrieb einhergehen - von der Programmgestaltung bis hin zur täglichen Instandhaltung. „Wir sind komplett vertikal integriert“, sagt Vila. „Jeder macht alles.“ Der Gewinn, den das DDL erzielt, wird im Wesentlichen zur Herabsetzung der Miete für die Bewohner eingesetzt, wobei der persönliche Arbeitseinsatz im jeweiligen Monat zugrunde gelegt wird. Es überrascht nicht, dass jeder neben dem DDL auch einer externen Tätigkeit nachgeht.
Der besondere Reiz an einem Veranstaltungsort wie diesem ist, dass er nicht rentabel sein muss, um zu überleben. „Wir zahlen dann einfach mehr Miete - es muss nicht jeden Monat eine bestimmte Summe herauskommen“, erklärt Vila. „Das hier wird ewig weitergehen - es wird nie enden“, sagt McCurley, halb im Scherz. Und Vila ergänzt: „Ich kann mir nichts Besseres vorstellen.“