Interview mit Spring-Mitglied Stephanie Wunderlich
"Der persönliche Kontakt ist sehr wichtig."
Zum TCAF 2018 hat das Goethe-Institut Toronto die deutsche Illustratorin Stephanie Wunderlich eingeladen. In einem Interview mit Michelle Kay erzählt sie uns von Spring, einem Kollektiv deutscher Künstlerinnen, dem sie selbst seit über 10 Jahren angehört und das jährlich eine Ausgabe des gleichnamigen Magazins SPRING veröffentlicht.
Reden wir über Spring, das Kollektiv und das Magazin. Wie sind Sie zu dem Kollektiv gekommen, wie lange sind sie bereits Teil des Kollektivs und wer sind die anderen Mitglieder? Wie gestaltet sich der Planungsprozess einer neuen Ausgabe?
Vor 10 Jahren schlug mich Larissa Bertonasco, Springerin seit der ersten Ausgabe und meine damalige Atelierkollegin, als neues Mitglied vor. So bin ich in das Kollektiv aufgenommen worden. Alle wichtigen Fragen, wie zum Beispiel die Themen der Ausgabe, die Farbigkeit und neue Mitglieder werden immer basisdemokratisch abgestimmt. Wir haben keine Chefredakteurinnen, die mehr Entscheidungsgewalt als andere besitzen.
Es gibt etwa 14 aktive Springerinnen. Die Zusammensetzung hat sich in den letzten 15 Jahren natürlich etwas verändert. Wenn wir die Arbeit an einer neuen Ausgabe starten, sammeln wir zunächst Vorschläge für Themen, legen die Sonderfarben fest und beraten uns darüber, welche Gäste wir einladen wollen. Es wird eine Abgabefrist vereinbart und dann kümmern wir uns darum, eine Galerie für die Releaseausstellung zu bekommen. Während des Entstehungsprozesses trifft sich die Hamburger und die Berliner Gruppe hin und wieder, um Skizzen und Organisatorisches zu besprechen. Der persönliche Kontakt ist sehr wichtig, viele von uns sind miteinander befreundet. Mit einem Kontakt nur über Email würde so eine lange und verlässliche Zusammenarbeit nicht klappen. Wenn alle Geschichten fertig sind, übergeben wie sie unserer Grafikerin, die sich in Abstimmung mit uns um Layout und Druck kümmert.
Ein solides Netzwerk von weiblichen Künstlerinnen
Was sind die Ziele von SPRING als Kollektiv? Was hoffen Sie zu erreichen oder auszudrücken?Spring zeigt eine ungewöhnliche Kombination aus freier Zeichnung, Illustration und Comic. Wir möchten in jeder neuen Ausgabe eine interessante Bandbreite von Bildsprache und Erzählweise bieten. Mit der Arbeit an Spring schaffen wir einen kreativen Raum, in dem wir persönliche Arbeiten veröffentlichen, unabhängig von Kundenwünschen. Wir wollen bewußt einen Gegenpol zu unserer Auftragsarbeit setzen. Die Inspiration und Aufmerksamkeit, die wir aus dieser Spielwiese ziehen, kommt letzterer wieder zugute.
Nur wenige von uns verdienen ihren Lebensunterhalt als klassische Comiczeichnerinnen (Ulli Lust, Barbara Yelin, Birgit Weyhe). Die meisten Springerinnen arbeiten hauptsächlich im Bereich Editorial,- und Buchillustration (Larissa Bertonasco, Katharina Gschwendtner, Katrin Stangl, Carolin Löbbert, Romy Blümel, Stephanie Wunderlich). Moki ist freie Künstlerin.
Spring ist außerdem ein wichtiges solides Netzwerk von weiblichen Künstlerinnen/Illustratorinnen. Die Szene für Illustration und Comics empfanden die Gründerinnen vor 15 Jahren als männlich dominiert und und somit war die Idee eines weiblichen Künstlerkollektivs geboren. Wir finden immer wieder neue talentierte Zeichnerinnen in der jüngeren Generation. Es gibt also keinen Anlass, das Woman only-Konzept zu ändern.
Die Macht einer Bilderzählung
In einem früheren Interview sprachen Sie von Kunst als universaler Sprache und Illustratoren als Kommentatoren der Gesellschaft. Inwiefern bezieht sich das auf Themen wie Feminismus?Für die Ausgabe „An elephant in the room“ zum Thema Role Models haben wir uns zum ersten Mal überhaupt an ein frauenspezifisches oder feministisches Thema herangewagt. Ich denke, wir hatten das vorher bewußt vermieden, um keinem Klischee zu entsprechen. In der Ausgabe #13 sind wir der Frage auf den Grund gegangen, inwieweit wir in unseren Entscheidungen beeinflußt sind von den Erwartungen, welche die Gesellschaft an uns stellt. Und wie sehr wir uns in unserem Verhalten von weiblichen Rollenmustern und Stereotypen beeinflussen lassen. Mit unseren Geschichten konnten wir Denkanstöße setzen, wir konnten Frauen herausfordern ihre Entscheidungen und ihre Position in der Gesellschaft zu überdenken.
Erst mit dieser Ausgabe haben wir wirklich verinnerlicht, welche Macht eine Bilderzählung haben kann, wenn sie in sozialer und politischer Hinsicht zur Reflektion ermuntert. In der Folge haben wir uns an gesellschaftlich relevantere Themen herangewagt, wie „Yo future“ (Umweltthemen 2017) und „Arbeit“ (2018).
Wir waren sehr glücklich, dass die Ausgabe 13 tatsächlich von einem indischen Verlag (Zubaan) als Lizenzausgabe veröffentlicht wurde. Es war uns sehr wichtig auch eine indische Leserschaft zu erreichen.
Reden wir doch noch kurz über TCAF, da Sie ja auch aufgrund des Festivals in Toronto sind. Was haben Sie bis jetzt über das Festival gehört? Kannten Sie es davor schon? Auf was freuen Sie sich am meisten?
Die Springerinnen Ulli Lust und Barbara Yelin waren schon zuvor auf die TCAF vom Goethe Institut eingeladen worden. Sie haben begeistert von ihrer inspirierenden Zeit dort erzählt und mir geraten, die Einladung unbedingt anzunehmen. Ich hatte zuvor schonmal von einem Festival in Toronto gehört, hatte aber nur eine recht vage Vorstellung davon. Nun freue ich mich, Spring hier repräsentieren zu dürfen, Kollegen aus dem Ausland kennenzulernen und viele Anregungen mit nach Hause zu nehmen.
An welchen Projekten arbeiten Sie im Moment?
Gerade habe ich meine diesjährige Spring-Geschichte über die wechselvolle Bedeutung von Arbeit für die Menschen beendet. Die Ausgabe #15 „Arbeit“ geht nun in Produktion.
Normalerweise mache ich redaktionelle Illustrationen. Hier ist die Zeitspanne vom Auftrag zur Umsetzung kurz und meistens muss die ganze Botschaft pointiert in ein einziges Bild gepackt werden. Die Arbeit an einer Spring-Geschichte, in der ich mich über eine weite Strecke ausbreiten kann, ist daher für mich wie ein genüsslicher Langstreckenlauf.
Stephanie Wunderlich
studierte Kommunikationsdesign an der FH Augsburg und der ISIA Urbino und schloss mit einem Diplom in Kommunikationsdesign ab. Sie arbeitet in Hamburg als freie Illustratorin für internationale Zeitschriften und Bücherverlage. Sie unterrichtet auch Illustration, zuletzt an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Ihr Lieblingsmedium ist Papiercollage. Sie erstellt ihre Illustrationen mit digitalen sowie analogen Techniken (Schere und Kleber).
Stephanie ist Mitglied des weiblichen Künstlerkollektivs "Spring", das 2004 in Hamburg gegründet wurde und jährlich eine Anthologie mit Comics, Illustrationen und Zeichnungen veröffentlicht. Jede Ausgabe von "Spring Magazine" widmet sich einem bestimmten Thema und bietet eine Vielzahl von visuellen Erzählungen.