Berlinale-Blogger 2017
Berlinale Nr. 17: Von Wölfen und Revolutionären
Allem Anschein nach wird 2017 kein Rekordjahr für den deutschen Film auf der Berlinale. 2016 war durchaus ein großartiges Gesamt-Berlinale-Jahr, mit Meryl Streep als meinungsstarker Jurypräsidentin, einem Eröffnungsfilm der Coen-Brüder mit George Clooney in der Hauptrolle und einem Goldenen Ehrenbären für den Kameramann Michael Ballhaus, dessen Repertoire von Fassbinder bis Hollywood reicht.
Ein außergewöhnliches Festival für den deutschen Film war aber auch die Vorjahres-Berlinale nicht: Ein einziger deutscher Film lief im Wettbewerb, und dieser hat es nicht ins Ausland geschafft. Ein Trost war der Film Toni Erdmann, der immerhin einen bleibenden Eindruck hinterlassen konnte.
Aber wie so oft auf der Berlinale sieht es auf den zweiten Blick jedoch anders aus: Wer ein wenig sucht, findet unter den 399 von 300.000 Zuschauern gesehenen Filmen einige funkelnde Juwelen aus deutschen Landen.
Wie erwartet zeigt sich die Berlinale wieder streitbar. Die Berlinale Talents 2017 schmücken sich unübersehbar mit dem jugendlichen Motto „Courage. Against all Odds“ („Mut. Allen Widrigkeiten zum Trotz”). Und nur ein Unikat wie Dieter Kosslick vermag es, Terminator 2 und Wolverine 3 neben den neuesten Arthouse-Filmen aus aller Welt (mit viel post-kolonialer südamerikanischer Kost) laufen zu lassen und ein Statement zu setzen.
Kosslick verdanke ich übrigens auch die einzigartige Überschrift „Brendemühl eröffnet die Berlinale”. In Etienne Comars Debütfilm Django spielt nämlich kein Geringerer als mein spanisch-deutscher Verwandter Àlex Brendemühl mit.
In dem Drama verkörpert Reda Kateb (der gerade auch in Wenders’ Die schönen Tage von Aranjuez zu sehen war) den Musiker Django Reinhardt (1910-1953), den Gründer des sogenannten Gypsy-Swings und Pionier des europäischen Jazz. Als Sinti wurde dieser verfolgt und floh 1943 aus dem von Nazis besetzten Paris. Django, laut Kosslick ein „sehr sensibler, feiner französischer Film“ und eine „ergreifende Überlebensgeschichte“ (Stimme.de), ist ebenfalls die Geschichte eines Menschen, der sich tapfer der Unterdrückung entgegenstellt. Der Bezug zur aktuellen politischen Situation ist nicht von der Hand zu weisen.
Auf eine Formel gebracht, könnte die Botschaft der 17. Berlinale lauten: „Globale Dystopie versus individuelle Utopie“. Das Versagen der großen Systeme Kapitalismus und Kommunismus steht auf der einen Seite, auf der anderen sehen wir visionäre Rebellen wie die Künstler Reinhardt, Beuys, den Kanadier Maud Lewis und Giacometti.
Die neue Dokumentation Beuys von Andres Veiel (Black Box BRD; Wer wenn nicht wir) über den Düsseldorfer Ausnahmekünstler läuft im Wettbewerb. Ein Anwärter für den neuen Berlinale Doc Award oder einen Goldenen Bären, die größte aller Ehren, um die drei von insgesamt 18 deutschen Filmen wetteifern. Veiel möchte die üblichen Pfade der Biografie verlassen und neue Einblicke in das kreative Universum des Künstlers Beuys geben, die weit über die Begriffe „Filz und Fett“ sowie das Zitat „Jeder ist ein Künstler“ hinausgehen. In einer, wie er es ausdrückt, „zwiebelartigen Dramaturgie“ zeichnet er anhand von umfangreichem und bisher noch nicht gezeigtem Filmmaterial ein persönliches und bisherige Porträts überschreitendes Bild eines Mannes und Künstlers und seiner Ideen innerhalb der Kunstrevolution der 1960er-Jahre. Wenn Veiel und sein Produzent Thomas Kufus (Gerhard Richter Painting) halten, was sie versprechen, erwartet uns ein zeitgemäßes Porträt einer radikalen politischen Erneuerung und eines bleibenden künstlerischen Einflusses. Auch hier ist der Verweis auf den momentanen Zustand der Welt unverkennbar. „Es gefällt mir, wenn die Menschen sich komplett anders verhalten, als man es von ihnen erwartet“, erklärte Veiel jüngst in einem Interview mit Filmportal.
Thomas Arslan (Dealer) meldet sich mit Helle Nächte zurück. Arthouse-Fans sind schon sehr gespannt, was der Regisseur der Berliner Schule vier Jahre nach seinem in Kanada gedrehten Film Gold, der sehr unterschiedliche Kritiken bekam, nun abliefert. In Helle Nächte versucht ein Vater, wieder eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen, nachdem die beiden lange Jahre keinen Kontakt zueinander hatten. In der Hoffnung, dass noch nicht alles zu spät ist, begibt er sich mit ihm auf einen Road-Trip nach Norwegen. Kosslick versprach der Berliner Zeitung auch hier „eine sensible, eindringliche und intensive Beziehungsstudie“. Keine großen Stars, kein großer Wirbel – noch nicht. Mehr erfährt man in der Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino, wo Arslans Schüler Cavo Kernich mit seinem Flüchtlingsdrama Mikel vertreten ist.
Der Veteran des Neuen Deutschen Kinos Volker Schlöndorff (Die Blechtrommel), der gerne in Cannes zugegen ist, hat sich entschlossen, sein neuestes Werk Rückkehr nach Montauk im Wettbewerb der Berlinale zu präsentieren. Das Drehbuch hat er gemeinsam mit Colm Tóibín geschrieben, dem Autor des Romans Brooklyn. Schlöndorrfs Kriegsdrama Diplomatie war bei der vergangenen Berlinale zu sehen. In Rückkehr nach Montauk verliebt sich der Schweizer Autor Max (Max Frisch, dargestellt von Stellan Skarsgård) während einer Lesereise durch die USA in eine junge Frau. Erst viele Jahre später kehrt er zurück in die Vereinigten Staaten, wo er hofft, wieder eine Beziehung mit seiner einstigen Geliebten (Nina Hoss) eingehen zu können.
Das Berlinale Special zeigt den mit Vorfreude erwarteten Film Der junge Karl Marx von Raoul Peck mit August Diehl, der die Entstehung des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels nachzeichnet. Laut Ankündigung ist der Film eine Mischung aus historischem Drama und einem intimen Porträt einer von Wettbewerb geprägten Freundschaft. Die offenbar willkürliche Programmplanung zeigt den Film neben Pecks für einen Oscar nominierten Dokumentation über den Autor James Baldwin I Am Not Your Negro. Das Werk ist bei seiner Premiere beim Toronto International Film Festival 2016 mit dem People’s Choice Award ausgezeichnet worden – und wartet mit einem aktuellen Bezug auf, der offenbar mit jedem Tag zunimmt.