Berlinale-Blogger 2017
Fast wie Trance: „Ghost in the Mountains“
Ein Wanderarbeiter kehrt in seine Heimat zurück, eine gottverlassene Gegend gespickt mit ruinenhaften Gebäuden und einsam wirkenden Straßen. Ein Ort, der eher wie eine Geisterstadt wirkt denn als eine Heimat.
Heng Yangs Ghost in the Mountains ist ein visuell eindrucksvolles und erzählerisch mitreißendes Werk, das wie ein meditativer Prozess anmutet. Lao Liu hat über Jahrzehnte in den großen Städten der Ostküste gearbeitet und kehrt nun kurzentschlossen in sein Heimatdorf zurück. Dieser Ort gehört inzwischen den Alten und Jugendlichen. Er raucht kette, trinkt regelmäßig mit seinen alten Freunden, besucht das Grab eines alten Bekannten und trifft sich mit seiner ersten Liebe, die gerade Hochzeitspläne mit einem älteren Mann im Süden macht. Das Umfeld wirkt gleichsam realistisch und wie eine andere Welt. Während wir Lao Liu auf seinem Besuch begleiten, werden wir durch verlassene Ruinen geführt, vorbei an pittoresken Seen, in die Tiefen von Höhlen mitten in den Bergen und zu den Bars des Ortes, vor denen sich leere Bierflaschen stapeln. Heng Yang nutzt vorwiegend Totale und Halbtotale und vermeidet es so, den Charakteren und Objekten zu nahe zu kommen. Stattdessen bekommen die Szenen den Anschein einer Theaterbühne und die Charaktere scheinen sich kontrapunktisch zu verhalten. Der Blick der Kamera schweift mit großer Ruhe und kreiert zeitweise Panoramabilder, die das Blickfeld über die Leinwand hinaus erweitern. Auch von den Themen des Films wie Kriminalität, Gewalt, Ehebruch oder Tod lässt sich Ghost in the Mountains nicht zu schnellen Bildern verführen. Jeder Schnitt ist mit Bedacht und mit künstlerischen Pinselstrichen zusammengestellt und erlaubt uns so das Eintauchen in den meditativen Prozess.
Die konzentrische und parallele narrative Struktur trägt ebenfalls zu diesem meditativen Gefühl bei. Ob Lao Liu und seine Freunde die Zukunft der jungen Kleinkriminellen dieses Dorfes repräsentieren könnten, stellt sich die Frage, oder sind die Teenager eher ihre Vergangenheit und gewissermaßen Reinkarnationen von ihnen? Durch diese gewollte Ambiguität und die fließenden Übergänge, regt der Film zum Nachdenken an und stellt Fragen in den Raum, macht aber keine Anstalten diese zu beantworten.
Besonders haben es mir die „Zen-Momente“ des Films angetan: Vor einem blätterlosen Baum stehen sich zwei Stühle gegenüber; zwei Personen stehen auf einer Veranda und geben dem Raum klare geometrische Linien. Mit solchen clever orchestrierten Szenen illustriert der Film das chinesische Sprichwort „Hebe etwas Schweres mit der gleichen Leichtigkeit wie etwas Leichtes.“ Es bereitet Unbehagen zu sehen, wie das regionale Wohlstandsgefälle zur Normalität wird, oder wie völlig grundlos Verbrechen begangen werden, und doch bleibt dem Film eine große Leichtigkeit, mit der er absurden Momenten etwas Humorvolles verleiht und die ländlichen Ruinen von der Natur zurückerobert werden.