Berlinale-Blogger 2017
Nur die Kunst lügt nicht?
Von 24 Filmen, die im diesjährigen Hauptwettbewerb und außerhalb davon gezeigt werden, spielen fünf in der Welt der Kunst. Ein Zeichen von Realitätsflucht oder ein Zeichen der Zeit?
Die Hauptfigur in Wilde Maus (Wild Mouse) ist ein Musik-Kritiker, der am Rande des Nervenzusammenbruchs steht. Die Hauptdarstellerin in Félicité (alle Vorführungen sind restlos ausverkauft!) - eine Sängerin aus Kinshasa. Final Portret erzählt von der Freundschaft zwischen Alberto Giacometti und seinem Biografen James Lord, Beuys ist ein dokumentarisches Porträt über den zeitweise skandalumwitterten Joseph Beuys, dessen Kunstprojekte und Konzeptionen heute jedoch aktueller scheinen als vor ein paar Jahrzehnten. In Zeiten von Spannungen und Zukunftsängsten scheint es eine sinnvolle Option zu sein, „in die Kunst zu flüchten”. Kunst ermöglicht die zeitweise Abkehr von Alltag und Wirklichkeit. Sie bietet Einblicke in die Schönheit, die groß geschrieben wird. Und der Raum, in dem sich Menschlichkeit in ihrer geheimnisvollsten, bewegendsten und gar göttlichen Dimension zeigt, erscheint als Ort der Freiheit, vielleicht sogar als heiliger Ort.
Doch diese Annahme ist trügerisch. Kunst ist wie jeder Bereich des menschlichen Lebens Politik und Druck ausgesetzt. Besonders gefährlich ist das, wenn übersensible und zerbrechliche Individuen diesem politschen und gesellschaftlichen Druck ausgesetzt sind. Es scheint daher kein Zufall zu sein, dass zur Eröffnung der 67. Berlinale mit Django von Etienne Comara ein Film über die Kriegsjahre im Leben des Django Reinhardt gezeigt wird, der als einer der herausragendsten Gitarristen aller Zeiten gilt. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte Reinhardt, der ein Sinti war, zu einer besonders gefährdeten Menschengruppe – allein zweimal versuchte er, aus dem besetzten Frankreich zu flüchten. Seine Situation spitzte sich auf tragische Weise zu, als man ihm 1943 ein „einmaliges Angebot” unterbreitete – eine Konzerttour durch Nazi-Deutschland. Kann Kunst in einer solchen Lage ihre Unschuld bewahren? Wo verläuft die Grenze zwischen künstlerischer Freiheit und Propaganda? Und ist das eine scharfe oder eine verschwommene Grenze? Es scheint wichtig zu sein, sich solche Fragen zu stellen – besonders in der heutigen Zeit.