Berlinale-Blogger 2017
In einer Welt, die aus den Fugen gerät
Zwei Filme laufen zur Eröffnung der Sektion Perspektive Deutsches Kino, die das Thema Identitäten behandeln: „Gabi“ und „Back For Good“. In beiden Fällen geht es um die Identität von Frauen.
Angie kommt gerade aus der Entziehungskur. Für die hatte sie sich nur entschieden, weil man ihr versprochen hatte, sie könne an einer Promi-Show teilnehmen – es ist ja bekannt, dass ein frisch von seiner Sucht geheilter TV-Star auf seinem neuen Lebensabschnitt Werbepotenzial hat. Schnell stellt sich allerdings heraus, dass das mit dem Fernseh-Comeback nicht so einfach wird. Angie wechselt daraufhin die Entwürfe ihrer selbst wie andere Leute ihre Kleidung – auf der Suche nach dem Image, das für den Programmproduzenten am attraktivsten ist (und macht dabei selbst vor ihrer sexuellen Orientierung nicht Halt).
Noch interessanter – weil noch surrealistischer – stellt sich die Geschichte von Gabi dar, dargestellt von der fantastischen Gisa Flake. Das Mädchen betreibt zusammen mit einem geschwätzigen Mitarbeiter, der sich nicht traut, sich von seiner Verlobten zu trennen, eine Baufirma. Deshalb spielt er Gabi der Reihe nach Versionen der Trennung vor, wobei er sie bittet, jedes Mal anders zu reagieren. Interessanterweise überträgt das Mädchen diese Praktiken in sein echtes Leben. Bei jedem Treffen mit ihrem untreuen Freund oder mit der unsensiblen Schwester „spult sie das Gespräch zurück”.
Erst freut sie sich über das Geschenk von ihrer Schwester, einen Augenblick später ist es ihr egal, bis sie ihr schließlich die Hölle heiß macht, dass die ganze Last der Pflege des kranken Vaters auf ihren Schultern lastet. Ihr Umfeld reagiert perplex und weiß nicht, was zu tun ist in einer Welt, die aus den Fugen gerät.
Interessanter noch aber ist die Lage der Protagonistin. Einerseits helfen die unterschiedlichen Spielarten des gleichen Gesprächs Gabi dabei, endlich das zum Ausdruck zu bringen, was sie wirklich denkt und fühlt. Andererseits kann sie jederzeit ihren Standpunkt zurücknehmen und durch einen anderen ersetzen. Die Unruhe bleibt. Welche Version ist die echte? Und existiert überhaupt so etwas wie eine „echte Version”? – Die echte Version nicht nur des Gesprächs, sondern auch ihrer selbst.