Berlinale-Blogger 2017
„Psychedelisches Märchen“
Mit „Headbang Lullaby“ setzt Hicham Lasri seine surreale Interpretation der Geschichte Marokkos fort.
Als der marokkanische Regisseur Hicham Lasri den Film Starve the Dog auf der vergangenen Berlinale zeigte, wurde der Film in einigen Zeitungsberichten und Kritiken als Vollendung von Lasris Trilogie über die politische Geschichte Marokkos beschrieben, im Anschluss an seine beiden Filme They Are the Dogs und The Sea is Behind. Jetzt kehrt der aktivste marokkanische Regisseur jetzt mit einem Film zur Berlinale zurück, von dem er versichert, er sei nicht einfach ein weiterer Teil dieser Trilogie, sondern dass er vielmehr den andauernde cinematographische Weg eines Regisseurs zeige, den Geschichte und Politik in gleichem Maße beschäftigen.
Headbang Lullaby ist der Titel des neuen Filmes, der in der Reihe Panorama Spezial gezeigt wird und in dem Lasri dieses Mal in die Mitte der 1980er Jahre zurückkehrt, genauer gesagt, zu jenem Tag, der auf den überraschenden Sieg der marokkanischen Nationalmannschaft über das portugiesische Team bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1986 folgte. Ein Sicherheitsoffizier wird beauftragt, eine Brücke zu sichern, die zwei Dörfer voneinander trennt, falls König Hassan II. diese Brücke passieren wolle.
Auf theoretischer Ebene können wir die Brücke als Handlungsort mit der Idee der Zwischenregion oder der nie endenden Transformationsphasen verbinden, in der die arabischen Völker für lange Jahre zu bleiben gezwungen sind, in Erwartung eines Tagesanbruchs, der nicht kommt und unterbrochen von Momenten der Rebellion, die schnell verfliegt (wie die Demonstrationen von 1981, mit denen der Film beginnt), oder Stunden des Feierns, die von negativen Gefühlen befreien wie die Feierlichkeiten nach den siegreichen Fußballspielen.
Es würde aber weder dem Regisseur noch dem Leser gerecht, den Film Headbang Lullaby oder irgendeine andere Arbeit von Hisham Lasri nur in einem theoretischen Kontext zu sehen, der versucht Symbole interpretieren und Bedeutungen einzelner Filmbestandteile zu übersetzen. Die Wahrheit ist, dass man Lasri viel eher als modernen visuellen Künstler beschreiben kann denn als Regisseur im klassischen Sinne. Sein cinematographisches Schaffen macht es unmöglich, den Film nur als Erzählung zu betrachten.
Der Film ist bei Lasri eine umfassende Ausdrucksform. Seine Filme sind facettenreich und er vermischt in ihnen Realität mit Surrealität. Mit Tonaufnahme in oft radikaler Aufnahmetechnik schafft er so eine Gruppe aufeinanderfolgender Szenen, die in gewisser Weise ein Grundnarrativ darstellen: Im neuen Film ist es die Geschichte des Offiziers und der Brücke. Aber dieses Narrativ bleibt nur eine Dimension eines mehrdimensionalen Werkes.
In Headbang Lullaby erreicht Lasri einen Höhepunkt, der es ihm ermöglicht das zu zeichnen, was die offizielle Website der Berlinale als „psychedelisches Märchen“ beschreibt. Er erschafft durch die Perspektive auf den Offizier auf der Brücke und dessen Begegnung mit den Dorfbewohnern in Form karikierter Persönlichkeiten eine in vielen Momenten amüsante Komödie, die dem Zuschauer stets die Sicherheit gibt, dass das, was er sieht, fiktiv ist. Aber durch die Verbindung mit der Realität ist es eine dokumentarische Fiktion; so, als teilte er uns im vierten Film in Folge mit, dass die Realität selbst oft einer irrealen Logik folgt.