Forschung
Welche Umweltauswirkungen hat die Überwachung per Hubschrauber?
Der Himmel über Los Angeles hat das weltweit dichteste Netz von Hubschrauberüberwachung. Die Abteilung Luftüberwachung der Polizei von Los Angeles (LAPD) ist über den ärmsten Stadtvierteln ständig präsent. Die grellen Scheinwerfer und der Rotorlärm halten die Anwohner nachts wach und erzeugen eine Atmosphäre von Dominanz und Kontrolle. Die „Riesenvögel“ sind seit langem ein Dorn im Auge von Gruppen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen und versuchen, Polizeibrutalität und Polizeiüberwachung in Südkalifornien zu beenden. In einer Zeit, in der die Forderung laut geworden ist, der Polizei die Finanzierung zu entziehen, werden die Hubschrauber erneut kritisch unter die Lupe genommen. Als Embleme aufgeblähter Polizeidienststellen stechen sie im Budget der Stadt genauso hervor wie im nächtlichen Stadtbild von LA.
Von Léon Dische-Becker
Vor diesem Hintergrund versucht eine Gruppe interdisziplinärer Künstler*innen, die materiellen, ökologischen und menschlichen Kosten dieser ständigen Überwachung aus der Luft zu erfassen. Die LA Birdwatchers – bestehend aus der Künstlerin Suzanne Kite, dem Technologiekünstler Ladan Mohamed Siad, dem Designer Aljumaine Gayle, dem Anthropologen Nick Shapiro von der University of California in Los Angeles, und der Kartografin Michelle Servin – bedienen sich einer Kombination aus Datenerhebungsmethoden, um sich einen Überblick über die Hubschrauberabteilung des LAPD zu verschaffen. Das Ziel dieses Hybridprojektes aus Kunst und Wissenschaft ist es, die Lärmbelastung, die Konzentrationszonen sowie die unverhältnismäßigen Auswirkungen dieser Überwachung aus der Luft für den Klimawandel zu erfassen. „Massive Science“ hat zwei Mitglieder des Projekts befragt, wie sie genau planen, die Überwacher zu überwachen.
Leon Dische Becker: Beginnen wir ganz am Anfang. Was hat Sie inspiriert, die Auswirkungen von Polizeihubschraubern auf Menschen und Umwelt zu untersuchen und ein hybrides Forschungsprojekt aus Kunst und Wissenschaft daraus zu machen?
Suzanne Kite: Die Proteste hatten in Los Angeles gerade angefangen [als wir die Idee zu diesem Projekt hatten] und der Hubschrauberlärm war brutal. Im Rahmen des New Nature-Projekts des Goethe-Instituts nahmen wir zu jener Zeit an einem Zoom-Marathon teil und wurden dabei dauernd vom Hubschrauberlärm unterbrochen. Man konnte die Hubschrauber über unsere Mikrofone hören. Als sich die Situation in LA dann mehr und mehr zuspitzte, fand ich es schwer, zuhause zu bleiben. So nahm ich zu den Protesten Filmkameras [zur Gegenüberwachung] mit. Ich wusste, dass ich auf meinem Computer zuhause genug Rechnerleistung hatte, um binnen sehr kurzer Zeit eine Menge Daten zu sammeln. Ich wollte zu den Bemühungen beitragen, der Polizei von Los Angeles die Finanzierung zu entziehen, und je länger ich mir die Hubschrauber ansah, desto mehr wurde mir bewusst, dass sie eine enorme Geldverschwendung sind. Mit wurde auch klar, dass sie unterhalb der von der US- Bundesluftfahrtbehörde FAA vorgeschriebenen Flughöhe fliegen. Deswegen erzeugen sie auch einen solchen Lärm.
SK: Hubschrauber verwandeln den städtischen Raum in Gefängnisse. Ich habe es während der Proteste gegen die Pipeline [in der Standing Rock Reservation] erlebt, wie Hubschrauber Grenzen ziehen und die Bewegung von Menschen aus der Luft lenken. Das ist im Übrigen auch die Art und Weise, wie die Polizei Demonstranten oder Obdachlose in Los Angeles lenkt. Alle diese Praktiken sind eng mit Klimaproblemen verflochten. Wir betrachten unser Projekt nur als einen kleinen künstlerisch-wissenschaftlichen Beitrag in einem Meer von sehr ernsthaften langfristigen Koalitionen und Bemühungen, aber es hilft mir, mehr zu erfahren über das, was sich vor Ort abspielt, sowie über die verschiedenen Bemühungen, der Polizei die Finanzierung zu entziehen.
Wie werden Sie die Daten sammeln und aufbereiten? Und welche Rolle spielt die Datensammlung in Ihrem Projekt?
SK: Sie stellt die Ausgangsbasis dar. Wir haben versucht, so viele Informationen wie möglich zu sammeln in den Wochen, als die Proteste ihren Höhepunkt erreichten. Zu jener Zeit flogen sogar noch mehr Hubschrauber also sonst über der Stadt. In jener Zeit stellte die Polizei von Los Angeles ihre Präsenz bewusst zur Schau, damit sie im nächsten Jahr mehr Budget verlangen kann. Die künstlerische Herausforderung besteht darin, diese Daten greifbar zu machen. Wie gestaltet man dies für die Menschen so real wie möglich?
NS: Wir arbeiten mit verschiedenen Datenquellen. Während der Proteste hat Kite die Funkkommunikation der Helikopter und die Gespräche der Piloten untereinander mit angehört. Sie hat eine Art Gegenüberwachung praktiziert und Videoaufzeichnungen zusammengetragen. Damit fing unsere Untersuchung an. Das LAPD verfügt über 19 Hubschrauber, der Los Angeles County Sheriff hat vier, Pasadena und El Monte haben zusammen ebenfalls vier und dann gibt es noch einen Hubschrauber, der von verschiedenen Behörden genutzt wird. Wir werden in der Lage sein zu berechnen, was diese 20-stündigen Patrouillenflüge jeden Tag kosten und auf der Basis des Kraftstoffverbrauchs auch, wie viel Kohlendioxid sie erzeugen. Außerdem haben wir Flugnavigationsdaten verwendet, die Geschwindigkeit, Flughöhe und Geopositionierung erfassen, damit wir sehen können, welche Stadtviertel überproportional überwacht und mit Lärm durch die Luftpatrouillen belastet werden.
Sie versuchen nicht nur die Umweltauswirkungen von Polizeiarbeit zu messen, sondern auch, die Grenzen dieser Art von Umweltkritik auszutesten. Wie passt das zusammen?
NS: Ich denke, wir möchten die Definition von Umweltauswirkungen erweitern. Darunter fällt nicht nur der ökologische Klima-Fußabdruck, sondern auch, wie Menschen ihre Umwelt erleben. Unser Projekt geht von der Hypothese aus, dass ein Großteil der Lärmbelastung, die die Hubschrauber erzeugen, stark konzentriert ist auf Viertel, die von Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe bewohnt werden. Diese sind bestenfalls verärgert und schlimmstenfalls terrorisiert vom Lärm der Rotorblätter, die die ganze Nacht lang über ihnen die Luft durchschneiden. Wir planen räumliche Analysen, um herauszufinden, welche Stadtviertel Tag und Nacht am stärksten betroffen sind. Außerdem sind wir gespannt zu sehen, wie sich die Flugrouten während der Proteste verändert haben.
SK: Sie können jetzt gerade erleben, wo sich die beiden patrouillierenden LAPD-Hubschrauber befinden. Einer ist südlich der University of South California (USC), in einem Viertel mit vermutlich starker Polizeipräsenz. Er dreht eine Runde nach der anderen auf der Suche nach jemandem und verbrennt dabei Kraftstoff.
NS: Wir erkennen schon, dass diese Art der Umweltkritik Grenzen hat. Wenn die 19 Hubschrauber in Los Angeles durch eine Predator-Drohne ersetzt werden, reduziert das den ökologischen Fußabdruck, aber bringt es eine echte Verbesserung im Leben der Menschen? Polizeihubschrauber helfen uns sicherlich dabei, die verflochtene Geschichte von Autos, Klima, Rassismus und Überwachung aus der Luft zu verstehen. Die Geschichte des Polizeihubschraubers in LA ist eng mit der Überwachung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe verbunden. Diese Art der Überwachung wurde das erste Mal routinemäßig bei Patrouillen im Jahr 1965 während der Watts-Unruhen und danach eingesetzt, aber die Polizei hat Hubschrauber schon ein Jahrzehnt zuvor bei der Verkehrsüberwachung verwendet. Es war die Erfindung des Verbrennungsmotors und die Mobilität durch Kraftfahrzeuge, die den Weg geebnet hat für die Militarisierung der Polizeiarbeit und in ihrem Zuge für die polizeiliche Überwachung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe. Der Übergang auf öffentliche Verkehrsmittel hat nicht nur Vorteile für den Klimaschutz, sondern auch für weniger Polizeiüberwachung, sei es auf dem Erdboden oder aus der Luft.
SK: Umweltkritik wird häufig losgelöst von den unmittelbaren Erfahrungen der Menschen geübt. Als ich mich mit Polizeiarbeit aus der Perspektive der indigenen Einwohner beschäftigt habe, mit dem Polizeieinsatz auf umstrittenem Land – und in diesem Zusammenhang mit den Umweltvergehen und der physischen Gewalt, die an den indigenen Einwohnern begangen wurde, insbesondere an Frauen – da wurde mir klar, dass dies hundertprozentig die gleichen Themen sind. Unser Projekt ist eine Art Statement, dass man die menschlichen — und im Übrigen auch die nicht-menschlichen — Auswirkungen nicht ignorieren darf. Hubschrauber sind nur ein kleiner Teil des Polizeibudgets, aber sie sprechen ein sehr viel größeres Problem an.
Wie wollen Sie die menschlichen Auswirkungen dieser ständigen Überwachung von Gemeinschaften darstellen?
SK: Wir denken über Möglichkeiten nach, wie wir den Lärmterror einfangen können. Künstlerische Installationen und Kunst auf dem Bildschirm wären wirklich ausdrucksvolle Techniken, um so etwas zu kommunizieren. Als ich während der Proteste die Funkgespräche der Polizei mitangehört habe, fand ich, dass die Piloten nicht so geredet haben, als ob sie Staatsdiener sind und die Menschen unter ihnen Bürger. Sie waren aggressiv. Und ich denke, darin spiegelt sich die Kultur des Los Angeles Police Department wider. Die andauernden Ermittlungen über das LAPD, die Gangs innerhalb des LAPD, das alles ist nur ein kleiner Ausschnitt des darunterliegenden kulturellen Problems. Mein Traumziel ist, dass unser Projekt dabei hilft, der Hubschrauberüberwachung die Finanzierung zu entziehen und sie möglicherweise sogar beendet, damit diese ständige Überwachung aufhört.
Wie wurden Sie persönlich auf dieses Problem aufmerksam und wie kam es zu Ihrem eigenen Engagement?
SK: Neben meinen persönlichen Erfahrungen – ich war als Teenager zu Fuß in LA unterwegs und habe Dinge getan, die man als Teenager eben tut und hatte dadurch auch mit dem LAPD zu tun – war ich wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Indigenous Protocol and Artificial Intelligence Working Group und in dieser Rolle an ihrem Positionspapier beteiligt. Ich bin stets daran interessiert, mein künstlerisches Schaffen mit weiter reichenden Forschungsfragen zu verbinden. Künstliche Intelligenz ist ein Riesenthema und nur ein winziger Teil davon ist Datenerhebung und die Verwendung von Daten gegen Menschen.
Ich weiß, Ihre Planung befindet sich derzeit im Frühstadium. Aber wie stellen Sie sich das endgültige Kunstwerk vor?
SK: Mein Traum wäre eine riesige Videoinstallation, richtig aufwändig, gut finanziert und gut besucht von einer riesigen Menschenmenge. Idealerweise würden wir den Lärm von Hubschraubern mit Lautsprechern auf der West Side projizieren und Phantom-Helikopter über Beverly Hills projizieren. Aber ich denke, nur als Webseite wird es auch schön.