New Nature Vitrines ist eine Untersuchung all dessen, was jenseits der menschlichen Vorstellung von „Natur“ liegt - unfassbar, ehrfurchtslos, monströs.
Wir wissen immer noch nicht ein tausendstel eines Prozents von dem, was die Natur für uns bereit hält.
Das Programm versammelt audiovisuelle und Sound-Arbeiten zeitgenössischer Künstler*innen, Filmschaffender, Technolog*innen und Wissenschaftler*innen, wobei Geschichten und Perspektiven im Vordergrund stehen, die den inhärenten Anthropozentrismus von Bildern hinterfragen, häufig indem sie die Codes und Konventionen von Naturfilmen aufgreifen oder sie ganz untergraben.
Die in Deutschland, Kanada, Mexiko und den USA ansässigen Künstler*innen schlagen komplizierte Soundscapes, sich in der Luft befindende und mikroskopische Perspektiven sowie Bilder vor, die von Flechten, Schmutz, Fell und Bakterien geprägt sind. Ihre Arbeiten graben komplexe biologische Systeme, Interspezien und Computersysteme aus, die sich alle in einem ständigen Zustand des Werdens befinden, mit Realitäten jenseits unseres Bewusstseins interagieren und eigenwillige Neuerfindungen unserer Beziehung zur natürlichen Welt hervorrufen.
Die Arbeiten werden vom 16. November bis 6. Dezember im Goethe-Institut Montreal sowie in den Vitrinen von ausgewählten Ausstellungsräumen in drei verschiedenen Berliner Stadtteilen – Berlin Weekly (Mitte), feldfünf (Kreuzberg) und goeben berlin (Schöneberg) – sowie im Goethe Institut New York (15. Dezember 2020 bis 8. Januar 2021) präsentiert.
Die Platzierung in Fenstern quer durch die Stadt verteilt nutzt die Einschränkungen dieses von COVID dominierten Jahres, um dezentrale und unerwartete, emotionale und instinktive Begegnungen mit der Natur auf alltäglichen Fassaden unserer Städte darzustellen.
Die Film- und Videoarbeiten sind bei allen Ausstellungorten von außen zu sehen. In Berlin wird Stereo-Sync-Audio über die Smartphones der Besucher*innen zugänglich gemacht. Mehr Informationen hier: www.newnature.live
Ausgewählte Arbeiten von Jenna Sutela werden zusätzlich bei feldfünf gezeigt; bei goeben berlin wird Joan Jonas’ “Waltz” separat zu den Arbeiten in der Vitrine präsentiert.
Zeitplan und Ausstellungsräume
Montreal Goethe-Institut Montreal, 16. bis 30. November
Berlin
Berlin Weekly, 16. bis 22. November
feldfünf, 23. bis 29. November
goeben berlin, 30. November bis 6. Dezember
New York Goethe-Institut New York, 15. Dezember 2020 bis 8. Januar 2021
New Nature Vitrines ist ein Programm des Goethe-Instituts Montreal, kuratiert von Samara Chadwick and Sandra Teitge, und produziert von Retune - Creative Technology Platform.
New Nature ist eine Reihe von Begegnungen im Laufe des Jahres 2020 zwischen zeitgenössischen Künstler*innen, Filmemacher*innen, VR-Gestalter*innen, Technolog*innen und Klimawissenschaftler*innen aus Deutschland, Kanada, Mexiko und den USA. Es handelt sich um eine Initiative des Goethe-Instituts Montreal und wird mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland realisiert. Zu den Partnern gehören das National Film Board of Canada, das Centre Phi, das Milieux Institute der Concordia University, XR Hub Bavaria, das Museum of the Moving Image – Science on Screen sowie UnionDocs Center for Documentary Art, Massive Science und Retune-Creative Technology Platform.
Die Werke
Lisa Jackson Lichen
Die oftmals wenig beachteten Flechten spielen eine wichtige Rolle in Lisa Jacksons mystischem Film. Er legt uns nahe, von Organismen zu lernen, die in einer derartig dynamischen Spannung mit ihrer Umgebung leben.
Parallele I eröffnet eine kleine Stilgeschichte der Computergrafik. Die ersten Spiele in den 1980er Jahren kannten nur horizontale oder waagerechte Striche. Diese Abstraktion wurde als Mangel empfunden und heute herrscht eine am Fotorealismus orientierte Darstellungsweise vor.
Explore a post-human environment where several abandoned experiments to sustain life: beehives in incubators, 3D models of bodies, plant and insect colonies lie empty. The work is set in a liminal time after a climate disaster destroyed life. The work dwells on systems theory, climate care, digital consciousness and data mining.
(stones make birds make stones)
Als Antwort auf die Installation “A stone that thinks of Enceladus” von Martha Tuttle zeigen diese StyleGAN-Manipulationen Fotos von Steinen, die versuchen, Vögel wieder zusammenzusetzen. Zu hören sind Aufnahmen von einer Mündung des Hudson River, das Plätschern eines Flusses zu Füßen eines Dichters, das Brummton-Phänomen, eine elektrische Jakobsleiter, die Gesangprobe eines Muschelschalen-Sextetts, Passagen von Harfenspiel aus einer früheren Arbeit sowie die Stimme der Künstlerin.
Auf unterschiedlichen Bildebenen verflechtet der Essayfilm Europium die koloniale Vergangenheit Papua Neu Guineas und den Fetischkult mit Plänen zum hochtechnologischen Rohstoffabbau in den Tiefen der Bismarck See und den profanen alltäglichen Konsumgütern. Die einzelnen Bilder und Narrative verwebt der Film um das Seltene Erden Element Europium, das nach dem europäischen Kontinent benannt und in der Bismarck See gefördert werden soll, um das Material für eine brillante Farbbilddarstellung bei Smartphone Displays und anderen Flat Screens zu liefern oder durch seine natürlich fluoreszierende Eigenschaft, die Echtheit der Euro-Banknote zu garantieren. Diese scheinbar profane Tatsache beschreibt der Film als eine Rückkehr und Wiederholung der Geschichte und verweist dabei nicht nur auf die Komplexität der menschlichen Kultur, ihrer Ökonomien und Tauschsysteme – er lässt in scheinbar so profanen und alltäglichen Dingen wie Flat- Screens die unsichtbaren Geister der Vergangenheit sichtbar werden.
Parallele III fragt nach den Grenzen der Spielwelten und nach der Beschaffenheit der Objekte. Es zeigt sich, dass viele Spielwelten die Form einer Scheibe haben, die im Universum schwebt. Eine Erinnerung an vorhellenische Weltvorstellungen. Die Welten-Scheiben haben eine Rampe vorne und einen Prospekt hinten, wie Theaterbühnen. Und die Dinge in diesen Spielen haben kein Für-sich-sein. Jede ihrer Eigenschaften muss gesondert konstruiert und ihnen zugewiesen werden.
Die Videoarbeit reflektiert das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt und befragt die Genrekonventionen des klassischen Naturfilms. So wird der für Naturdokumentationen verbotene Blick des Tieres in die Kamera geradezu angestrebt und das Tier als Teil und Gegenüber des Rezipienten etabliert. Was als Natur- und Landschaftsdokumentation beginnt, wandelt sich zu einem experimentellen Essayfilm, der zwischen den Genregrenzen changiert und deren vorhersehbare Narration unterläuft. Eine vertraute Umwelt bekommt befremdliche Züge und mäandert zwischen Stillstand und Bewegung, Realismus und Hypnose, Natürlichkeit und Künstlichkeit.
Colectivo Los Ingrávidos Estanque Lunar (Lunar Pond)
Lunar Pond ist Teil einer audiovisuellen Serie über Mondzyklen und Rhythmen und der Versuch, die mythische Präsens der aztekischen Mondgöttin Coyolxauhqui zu evozieren, zu integrieren und zu entwickeln, um and die von Erosion gezeichnete Landschaft unserer Zeit zu erinnern.
Sasha Litvintseva, Beny Wagner A Demonstration
A Demonstration ist ein Monsterfilm ohne Monster. Er wurde inspiriert von Monster-Taxonomien, wie sie die europäische Wissenschaft der Frühen Neuzeit entwarf.
Ein Riss zieht sich durch das Bild. Hydraulikzangen und Bohrer bereiten die Fasern des Kapitals auf die große industrielle Tortur vor. Die Schichten beginnen aufzubrechen und schwarze Löcher hervorzubringen. Es findet eine Schlacht statt um die Frage: Wer hat die Erde gestohlen?
Aljumaine Gayle / Ladan Siad The Inhumanities
Inhumanities ist ein Projektionsmapping-Video, das anhand von technologischer Abstraktion die ökologischen Reaktionen schwarzer Feministinnen auf die Narrativen des Anthropozäns untersucht. Mittels Abstraktion stellen diese Videos die Frage, wie der Mensch durch die Natur (und umgekehrt) zum Heilen des Planeten eingesetzt wird.
Cooper Battersby, Emily Vey Duke The Infernal Grove
Die Geschichte geht so: Wir lieben etwas, nehmen es und bringen es an einen anderen Ort, damit es näher bei uns ist und wir es anschauen können. Und dann bringen wir es um. Wir haben einen Film über seinen Tod gedreht, damit wir das immer wieder ansehen können, schneller, langsamer und rückwärts.
Nam-Gut (der mikrobielle Abbau von Sprache) präsentiert einen selbstgebauten Computer, der von einer symbiotischen Bakterien- und Hefekultur betrieben wird und eine neue Art von Sprache erzeugt. Inspiriert von einer antiken sumerischen Beschwörungsformel wird ein Text über Kodierungsregeln und das Darmhirn verarbeitet mithilfe von Tee, Zucker, Acetobacter, Zuckerhefen, Brettanomyces-Hefen, Lactobacillus, Pediokokken, Gluconacetobacter kombuchae, Zygosaccharomyces kombuchaensis und Jumbo-Milchsäurebakterien.
Jonas' Performancekunst ist eine Hommage an das französische Freilichttheater des 18. Jahrhunderts, das Mythologie ebenso wie spontane Ereignisse in sein Narrativ einbaut.
Jenna Sutela nimiia cétiï
„nimiia cétiï“ (2018) ist eine audiovisuelle Arbeit von Jenna Sutela, die maschinelles Lernen und die Bewegungen des Bacillus subtilis natto verwendet, um eine neue geschriebene und gesprochene Sprache zu entwickeln. Die Maschine fungiert bei diesem Projekt als Medium, das Nachrichten von Einheiten kanalisiert, die normalerweise nicht sprechen können.