„Kein weiterer netter tschechischer Film“
Nicht weniger als ein neues Genre wollten die jungen Macher des Spielfilms „Menandros und Thaïs“ vorlegen. Das Ergebnis ist ein „experimenteller Sandalen-, Liebes- und Actionroadmovie, angesiedelt im Alten Griechenland“ – inspiriert von den Spaghetti-Western der sechziger und siebziger Jahre. So fasst es Anna Tydlitátová zusammen. Die 24-jährige Studentin der Prager Filmhochschule FAMU hat den Film produziert – mit sehr wenig Geld. Wie das geht? „Mit viel Geduld – und guten Freundschaften“, sagt Anna.
Die Filmhandlung beginnt wie ein antikes Drama: Während ihrer Hochzeit mit Menandros (Jakub Gottwald) wird Thaïs (Jessyca R. Hauser) von Piraten entführt. Auf der Suche nach ihr begibt sich der Bräutigam auf eine abenteuerliche Odyssee, auf der ihm ebenso skurrile wie fantastische Hindernisse begegnen. So will es die Vorlage des Films, als die der gleichnamige Roman des österreichisch-tschechischen Schriftstellers und Altphilologen Ondřej Cikán diente. Auch er war maßgeblich an der Verfilmung beteiligt: als Co-Regisseur und Drehbuchautor.
Wäre es bei den Bezügen zu den klassischen Vorlagen geblieben, auf denen Cikáns Roman basiert – man hätte kaum von einem experimentellen Film sprechen können. Doch die Handlung nimmt einen ungeahnten Verlauf. Menandros, gespielt von dem aus der tschechischen Fernsehserie Ordinace v růžové zahradě bekannten Schauspieler Jakub Gottwald, verwandelt sich während seiner Reise in ein blutrünstiges Monster, seinem Pferd wachsen Flügel, eine Hexe verspricht ihn einer anderen Frau, König Xerxes lässt ihn entmannen, und wie der Plot zu Ende geht, wird an dieser Stelle nicht verraten.
Absurd und experimentell
„Ich kann verstehen, dass der Film nicht jedem gefällt“, sagt Anna. „Er passt einfach in keine Kategorie. Wir haben einerseits einen professionellen Schnitt und eine großartige Kamera, und die Hauptrollen haben wir mit talentierten Schauspielern besetzt. Andererseits ist da aber diese absurde, sehr experimentelle Handlung, und den professionellen Schauspielern stehen zudem oft Laienschauspieler zur Seite. Die üblichen Parameter der Filmkritik lassen sich hier nur schwer anwenden. Ein experimenteller Film in Spielfilmlänge in einem normalen Kino – das ist für manche Zuschauer noch zu viel.“
„Extrem gemischte Reaktionen“ hat das junge Filmteam nach der Festival-Premiere beim Prager Febiofest gehört. „Gerade darüber freuen wir uns. Ich bin froh, dass wir ein Experiment gemacht haben, nicht einen weiteren netten tschechischen Film“, sagt Anna.
„Kein Low-Budget, sondern ein No-Budget-Film“
Vier Jahre hat es gedauert, bis der Film in den Verleih gehen konnte. Zwar hat das Team in diesen Jahren auch materielle Förderung erhalten – unter anderem vom Tschechischen Filmfonds und der unabhängigen Produktionsfirma Nutprodukce, bei der Anna jetzt als Junior-Produzentin beschäftigt ist. Knapp war das Geld trotzdem immer. „Das war eigentlich kein Low-Budget-Film, eher ein No-Budget-Film“, sagt die Produzentin. Während der Dreh- und Schnittarbeiten haben alle ohne Aussicht auf ein Honorar mitgewirkt“, so Anna.
Der Motivation der Crew tat das keinen Abbruch. „Wir wollten den Film alle zu Ende bringen. Dabei ging es nicht um Geld, sondern um all die Energie, die wir investiert haben.“ Als Erfolgskonzept benennt Anna auch die engen Freundschaften, auf denen die Crew aufbauen konnte: Bereits in der Vergangenheit hatten Anna sowie der Regisseur Antonín Šilar und Co-Regisseur Ondřej Cikán gemeinsam an Projekten gearbeitet.
„Am Ende war ich froh, dass niemand ertrunken ist“
Anstrengend seien die Dreharbeiten vor allem dann gewesen, wenn sie die Crew physisch bis an die Grenzen ihrer Kräfte brachten. „Es gab Episoden, in denen die Schauspieler in ihren Kostümen aus kurzen Hosen, antiken Röckchen und Sandalen durch den Schnee in den Alpen stapfen mussten. Oder Unterwasserszenen, die wir in drei aufeinanderfolgenden Nächten drehten, weil wir sparen mussten. Am Ende war ich froh, dass niemand ertrunken ist.“
Als Produzentin war Anna nicht nur den Förderern und Partnern gegenüber verantwortlich, sondern auch für alle praktischen Fragen der Filmproduktion. Dazu konnte es auch gehören, spontan Statisten anzuwerben. „Wir hatten insgesamt etwa zwölf Drehtagen in den Alpen und im Alpenvorland. Am Vorabend der Dreharbeiten zu großen Schlachtszenen sind Ondřej und ich durch die Dorfkneipen des nächstgelegenen Ortes gezogen und haben dort Leute überredet, als Statisten in unserem Film aufzutreten.“ Insgesamt rund 300 Darsteller haben auf diese Weise an Menandros und Thaïs mitgewirkt.
Statisten so absurd wie der Film selbst
Der Kontakt mit den freiwilligen Statisten vor Ort gehörte für Anna und die Crew zu den Höhepunkten der Dreharbeiten. „Wir hatten am Ende immer lustige Konstellationen“, erzählt Anna lachend.
„Einer der witzigsten Momente war für uns, als wir in den österreichischen Alpen drehten und plötzlich eine Gruppe Husaren zu uns stieß. Das war eine Gruppe Männer um die 60, die unbedingt mitmachen wollten – mit ihren eigenen Kostümen und ihren sehr speziellen Hüten. Wir haben natürlich Ja gesagt. Beim Edit mussten wir zwar feststellen, dass die Szene mit den Husaren selbst für unsere Verhältnisse zu absurd war und haben entschieden, sie doch rauszuschneiden. Wir haben die motivierten Männer aber in die Danksagung aufgenommen.“
Vom Spielfilm in den Dokumentarbereich
„Diese Filmproduktion war eine Riesenschule für mich“, sagt Anna wenige Wochen, bevor der Film seine Kinopremiere im Prager Kino u Pilotu feiert. Dem Spielfilm will sie zunächst dennoch den Rücken kehren. Als Junior-Produzentin bei Nutprodukce arbeitet sie aktuell an einem Dokumentarprojekt.
„Dokumentationen und öffentlich-rechtliche Medien interessieren mich zur Zeit besonders.“ Das habe auch damit zu tun, dass sie als Filmemacherin eine Verantwortung dafür empfinde, politische und mediale Entwicklungen zu analysieren und zu entschlüsseln. Die aktuelle politische Stimmung in Tschechien bereite ihr Sorge. „Für die Flüchtlingspolitik unserer Regierung schäme ich mich. Ich hoffe, dass ich als Filmstudentin und junge Filmemacherin einen sinnvollen Beitrag leisten kann, damit diejenigen, die in Tschechien Schutz und Asyl suchen, dies auch wirklich bekommen. Am meisten würde ich mir aber wünschen, dass die gesellschaftliche Debatte darüber informierter und kultivierter geführt wird. Darauf müssen wir aber wohl noch warten – und dafür arbeiten.“
Prag: täglich 28.4. – 4.5. 2016, Kino Pilotů, Donská 19, Praha 10, www.kinopilotu.cz
Wien: 2.6. und täglich 4.6. – 8.6. 2016, Burgkino, Opernring 19, 1010 Wien, www.burgkino.at