Zauberei mit Löwen
Der Film „Masaryk“ erzählt nicht nur über eine traumatische Episode der tschechischen Geschichte, sondern auch über einen Mann, der sich mit der Bürde seines großen Namens arrangiert hat. Aber hat „Masarayk“ die zwölf Tschechischen Löwen verdient, dank derer zum erfolgreichsten Film in der Geschichte dieses Filmpreises avancierte?
Jan Masaryk war ein Mann mit einem kontroversen Leben – und einem kontroversen Tod. Er war bekannt für seine gespaltene Persönlichkeit. Einerseits ein bescheidener, in sich gekehrter Mensch und tschechoslowakischer Diplomat, galt er andererseits als Bohème und Frauenliebhaber. Seine Leiche wurde im Jahr 1948 in Prag unter den Fenstern des Palais Czernin gefunden, wo er als Außenminister der Nachkriegstschechoslowakei sein Büro hatte. Bis heute ist unklar, ob er selbst gesprungen ist, oder ob dabei Genossen der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, die erst kurz zuvor die Macht an sich gerissen hatten, nachgeholfen haben.
Wenn ein tschechischer Film in ausländische Kinos kommt, gibt es drei Möglichkeiten, wovon er wohl handelt. Die Zwischenkriegszeit, endend mit dem Münchner „Verrat“, die Besatzung durch die Nazis oder die kommunistische Herrschaft zwischen Machtergreifung und Normalisierung. Wir Tschechen gehen wohl davon aus, dass sich westlich von Karlsbad irgendwer für die blauen Flecken interessiert, welche die historischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts bei uns hinterlassen haben. Wer im Fall von Masaryk auf die erste Möglichkeit getippt hat (das verlorene München), bekommt einen Punkt. Das Thema des Abkommens, das den Fall der tschechischen Grenzgebiete an Hitlerdeutschland besiegelte Umarmung verursachte, durchwebt den ganzen Film.
Nach wahren Begebenheiten?
Regisseur Julius Ševčík brachte seine beruflichen Erfahrungen aus Übersee in das Projekt ein. Ševčík selbst erklärte in einem Interview, im Film gehe es ihm vor allem um gespannte Emotionen und Gefälligkeit – ob das nun die Schauspielerei, das Bild an sich, den Schnitt oder die Begleitmusik betrifft. Was die Regie angeht, erfüllt Masaryk diesen Anspruch. Der Film erzeugt in spannenden Szenen starke Emotionen, vor allem auch dank der Ausstattung, die im Gegensatz zu anderen tschechischen Produktionen der letzten Jahre wirklich bis zur Perfektion getrieben wurde. Die Investition sowohl von Arbeit als auch von Geld sieht man dem Film an. Das Budget von rund zwei Millionen Euro ist für tschechische Verhältnisse überdurchschnittlich.
Direkt zu Beginn erscheint die berühmte Infotafel: Alles, was wir gleich auf der Leinwand sehen werden, sei historisch belegt und wahr. Der Film hat also eigentlich eine Bildungsfunktion, er wirft ein so genaues Schlaglicht auf die historischen Ereignisse, dass es als Schüler unmöglich ist, am folgenden Tag durch die Geschichtsprüfung zu fallen. Um der Persönlichkeit Jan Masaryks so nah wie möglich zu kommen, führten die Filmemacher jedoch (trotz der Ankündigung zu Beginn) ein klischeehaftes Konstrukt ein. Sitzungen mit einem Psychiater in Amerika, bei dem der gescheiterte Diplomat Masaryk kurz nach dem Münchner Abkommen Heilung suchte.
Laut historischer Quellen war Jan Masaryk tatsächlich in einer ähnlichen Behandlung –allerdings bereits 25 Jahre früher. So leugnen die Filmemacher die eingangs behauptete Wahrheitstreue schon kurz nach dem der Vorhang sich geöffnet hat. Ich persönlich habe kein Problem mit der Form posthum hinzuerfundener Äußerungen, die in regelmäßigen Abständen die wirkliche Handlung ablösen, wenn sie dem Publikum das Verhalten und die Motive der Protagonisten nahebringen und erklären. Aber dann kann eben auch keine Rede mehr von wahren Begebenheiten sein. Punkt.
Hymne und Meer
In der ersten Einstellung sehen wir den bekannten Schauspieler Karel Roden in der Rolle Jan Masaryks, wie er auf dem Klavier die tschechische Hymne spielt, in Begleitung eines brausenden Meeres. Aus Britannien reist Masaryk dann nach Prag, wo er eine ausgelassene Party besucht. Verkatert lauscht er am folgenden Tag den wahrscheinlich letzten Worten seines kranken Vaters, dessen Tod in einer unruhigen Zeit die ganze Nation berührt. Damals beschäftigte die Tschechoslowakei das Problem mit drei Millionen Sudentendeutschen. Nach jahrhundertelangem friedlichem Zusammenleben mit den Tschechen drängten Vertreter der deutschen Minderheit auf eine Zugehörigkeit zum Deutschen Reich. Masaryk reist nach London, wo er dafür werben soll, Hitlerdeutschland nicht nachzugeben und die territoriale Integrität der Tschechoslowakei zu wahren.
Er trifft dort auf die Ignoranz sowohl des britischen Premierministers Neville Chamberlain, als auch des französischen Außenministers Édouard Daladier. Beide fürchten, ein Eingreifen ihrer Länder gegen Deutschland könnte einen neuen Weltkrieg hervorrufen. Bei einem illegalen Boxkampf wettet Masaryk mit dem französischen Diplomaten auf den Sieger. „Es gewinnt der andere, er ist schneller“, sagt Masaryk – und gewinnt die Wette. Es ist eine Metapher auf die zögerliche Haltung Frankreichs gegenüber der Politik Nazideutschlands.
Schließlich sieht es so aus, als gelänge es Masaryk doch noch etwas auszuhandeln, jedoch – so nimmt er es wahr – fällt man ihm ausgerechnet aus der Heimat in den Rücken, wo Präsident Edvard Beneš ebenfalls angesichts der drohenden Kriegsgefahr zurückschreckt. So geht das Sudetenland an Deutschland, ohne dass auch nur ein einziger Schuss abgegeben wurde.
Das alles wird unterbrochen von fiktiven Szenen aus der psychiatrischen Klinik in Amerika, wo Masaryk sich verdächtig auf dem Fenstersims eine Zigarette anzündet. Damit deuten die Filmemacher an, dass die Ursache für seinen Tod zehn Jahre später bis heute noch strittig ist.
Dialoge wie aus dem Schulbuch
Der Film ist handwerklich gut gedreht und unterhaltsam. Zwei grundlegende – und meiner Meinung nach entscheidende – Elemente sind jedoch misslungen. Zum einen ist das die schöne zeitgenössische Musik. Sie erklingt aber praktisch pausenlos, ist maßlos übertrieben eingesetzt, wodurch sie nervt. Zum anderen sind das sie Dialoge.
Es wirkt ein wenig so, als habe der Drehbuchautor einige Absätze aus Wikipedia kopiert und die einzelnen Sätze den verschiedenen Hauptfiguren zugeteilt. Der Zuschauer erfährt ausschließlich bekannte historische Fakten oder einfache klischeehafte Weisheiten, krampfhaft überall dort eingefügt, wo es nichts zu sagen gibt (oder gerade keine Musik läuft). Solch schlecht geschriebene, steife und leblose Dialoge schaden dem Film von allem leider am meisten.
Der Film ist dennoch der erfolgreichste in der Geschichte der Tschechischen Löwen, des größten tschechischen Filmpreises. Es kam hier allerdings zu einem kontroversen Schachzug des Vertreibers, der die schwache Konkurrenz des vergangenen Jahres ausnutzte und den Film bereits in der letzten Woche des Jahres 2016 für geschlossene Gesellschaften in Kinos zeigte. So konnte Masaryk ins Rennen um die diesjährigen Filmpreise gehen und gewann mit Abstand alles, was zu gewinnen war – ohne dass ihn die Öffentlichkeit vor der Preisverleihung zu Gesicht bekommen hätte.
Es ist bedauerlich, dass ein Film mit einem solch anziehenden Namen und Thema nicht das ist, was er sein will. Er ist weder ein nach amerikanischen Vorbildern gedrehter Film, der das tragische Schicksals eines Menschen und seiner Zeit einfängt. Noch ist er ein historischer Einblick in die Ursachen des Zweiten Weltkriegs, der tiefer gehen würde als die oberflächlichen Kenntnisse eines Mittelschülers. Streckenweise wirkt er holprig, selbstmitleidig und weinerlich. Wieviele solcher – oft langweiliger – Filme müssen noch entstehen, nur damit wir Tschechen der Welt immer wieder aufs Neue zeigen können, was uns in den vergangenen Jahrzehnten alles widerfahren ist? Obwohl Masaryk in dieser Reihe überdurchschnittlich ist, bleibt er dennoch genau ein solcher Film, der nur solange im Gedächtnis bleibt, bis sich jemand des Stoffes auf andere Weise annimmt.
Übersetzung: Patrick Hamouz