This Ain‘t California
Bretter, die die Welt bedeuten
Sommer, Sonne, ein paar coole Jungs auf Skateboards – im Hintergrund ist aber nicht der Pazifische Ozean, sondern der Berliner Fernsehturm auf dem Alexanderplatz zu sehen. Ein Bild aus den 1980ern, das ist unschwer an den Klamotten der Leute zu erkennen. Aber Skaten in der DDR? Kaum zu glauben, und doch waren sie da und kurvten auf ihren „Rollbrettern“, wie es im DDR-Sprachgebrauch hieß, inmitten sozialistischer Prachtbauten über den Asphalt, zeigten in Ost-Berlin am liebsten auf dem Alex, was sie an Tricks drauf hatten. Die Autorin hat sie damals selber gesehen und das eigentlich schon vergessen, bis sie This Ain‘t California von Marten Persiel sah, der im Februar auf der diesjährigen Berlinale uraufgeführt wurde und dort schnell als Geheimtipp gehandelt wurde.
Freiheit auf Rollen
Drei Freunde bilden den Mittelpunkt dieser ungewöhnlichen Geschichte, die in sieben Kapiteln plus Epilog vom Leben in der späten DDR und ihrer kleinen, aber umso aufregenderen Skater-Szene erzählt. Tragende Figur ist Denis, genannt „Panik“, der – so erzählt es zumindest der Film – nach der Wende Soldat wurde und bei einem Bundeswehreinsatz in Afghanistan ums Leben kam. Seine Beerdigung ist der traurige Anlass, dass sich nach Jahren die alten Freunde von einst wieder treffen und sich erinnern: an ihren ehemals besten Kumpel und designierten Anführer sowie an ihre ziemlich unbeschwerte Jugend im Ost-Berlin der 1980er-Jahre, die jedoch mit Denis‘ Inhaftierung kurz vor der Wende endete.
Angeregt durch Vorbilder aus dem Westen bauen sich die drei Jungs Denis, Nico und Dirk zunächst in Magdeburg-Olvenstedt ihre ersten eigenen Skateboards und fahren drauflos. Das ziellose Herumfahren und Spaßhaben ist dabei das Wichtigste. Ein bisschen Freiheit auf Rollen in einem sonst autoritären Überwachungsstaat. Besonders für Denis, den sein Vater zum Leistungsschwimmer machen will, ist das Skaten Ausgleich zum rigiden Trainingsalltag. Aber erst Jahre später, nach dem Umzug der Jungs in die DDR-Hauptstadt, wo auch die Staatssicherheit auf die unangepassten Jugendlichen aufmerksam wird, wird aus Denis der charismatische „Panik“, einer, der alles ausprobiert und keine Gefahr scheut, ein Skate-Punk ohne Band. So jedenfalls inszeniert Persiel seinen äußerst ansehnlichen Hauptprotagonisten und lässt den freundlich berlinernden Erzähler das alles launig kommentieren.
Wenig Doku, viel Fiction
This Ain‘t California ist ein mitreißender Film, ohne Frage. Und dennoch hat er seit seiner Premiere für einigen Wirbel gesorgt, wurde dem Regisseur doch – bei aller Begeisterung – auch Etikettenschwindel und bewusste Täuschung des Publikums vorgeworfen. Schließlich verkaufte der Filmemacher sein Werk von Beginn an als „Dokumentation“. Und mit dieser Genrebezeichnung lief der Film nicht nur auf der Berlinale, sondern auch auf vielen anderen Filmfestivals und heimste wichtige Preise und Auszeichnungen ein.
Rein äußerlich trifft dies mit seinem Mix aus vermeintlichen Archivbildern, Super-8-Filmschnipseln, Animationsszenen, Interviews und einer Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt, auf den ersten Blick auch zu. Tatsächlich ist aber ein Großteil des Films – von der Rahmenhandlung bis zur alten DDR-Geschichte, von Nachrichtenbildern bis Zeitzeugeninterviews – nachinszeniert, wovon das Publikum im Kino jedoch nichts erfährt. Im Gegenteil, Marten Persiel hat sich viel Mühe dabei gegeben, die Illusion, man sehe einen Dokumentarfilm, zu erschaffen und aufrechtzuerhalten. So ist etwa das Leben der drei Skater-Freunde mit viel Liebe zum Detail in verwaschener Super-8-ORWO-Color-Optik in Szene gesetzt worden. Originales Super-8-Material? Fake, zumindest das, in dem Denis und seine Kumpel zu sehen sind.
So konnte es auch passieren, dass der totgeglaubte „Panik“ eines Tages gesund und munter mit einem Skateboard unterm Arm neben der Autorin in der U-Bahn steht. Ein Schauspieler also, der im normalen Leben Kai Hillebrand heißt. Die lockere Erzählstimme – im Film gehört sie Denis‘ bestem Freund Nico – gehört dem Synchronsprecher David Nathan, der unter anderem Johnny Depp und Christian Bale seine Stimme leiht. Und die einzige weibliche Protagonistin, Hexe, wird von der Musikerin Tina „Trillian“ Bartel verkörpert. Und somit ist auch die Gegenwartshandlung konstruiert – wenn es keinen toten Denis gibt, kann er auch nicht beerdigt werden.
Authentisch, aber wie?
Nachinszenierungen – sogenannte Reenactments – sind im Dokumentarfilm durchaus gebräuchlich und an sich nichts Schlimmes, sofern sie für das Publikum als solche erkennbar sind. Doch die Macher von This Ain‘t California haben ihren äußerst laxen Umgang mit der Authentizität von Dokumenten oder deren „Neuschaffung“ sehr lange nicht zugegeben, was Kritiker zu Recht anmerkten, sich deswegen hinters Licht geführt fühlten und dem Film vorwerfen, ein bestimmtes Geschichtsbild zu rekonstruieren. Schließlich wird Denis mit seiner Beobachtung durch die Stasi und seine Inhaftierung zum Opfer des DDR-Staats stilisiert. Inzwischen haben Marten Persiel und sein Team sich dazu bekannt, dass This Ain‘t California kein klassischer Dokumentarfilm ist, sondern größtenteils wie ein Spielfilm inszeniert wurde.
Andererseits kann man argumentieren, gelingt es Regisseur Persiel erst wegen seines filmischen Vorgehens, das Lebensgefühl der DDR-Skater genau wiederzugeben. Einer, der es wissen muss, ist Marco Sladek, der früher selbst auf einem Skateboard durch Ost-Berlin bretterte. „Erfunden ist in dem Film gar nichts“, verteidigt er den Film. „Das war unser Leben. Wir waren halt ein bisschen anders als die anderen und haben unser Leben in vollen Zügen genossen. Beschönigt oder dazuerfunden ist da nichts.“ Wiederholt betont er im Gespräch, dass die Geschichte wahr sei. Zur Figur des Denis/Panik, zu dem er gewisse biografische Parallelen aufweist, mag er sich aber nur ungern äußern. Auch er war als Kind sportlich aktiv, wurde später Skater und war nach der Wende als Bundeswehrsoldat in Afghanistan. Wahrscheinlich ist Denis alias „Panik“ die Essenz aus mehreren Biografien, denn Regisseur Persiel hat bei der Recherche für den Film Interviews mit vielen Zeitzeugen, unter anderem auch mit Marko, geführt. Auf den Film ist Sladek sehr stolz: „Mich nimmt das auch nach mehrmaligem Sehen emotional noch ganz schön mit. Vor allem, wenn man die alten Aufnahmen vom Alexanderplatz sieht.“
Jung sein, Spaß haben
Aber nicht nur diese Aufnahmen machen den Film zu einem Erlebnis. Er zeigt – „Endlich!“ möchte man rufen – eine ganz andere DDR, die auch Freiräume bot, wenn man sie sich zu schaffen wusste. Dass das ausgerechnet einem Westdeutschen aus Hannover gelingt, ist dabei fast schon unwichtig. Zwar versuchten die DDR-Funktionäre auch das Skaten für sich zu vereinnahmen, indem sie organisierte Trainingsgruppen bildeten. Der einzige Grund, dort mitzumachen, war aber nur die Möglichkeit, im Winter in der Halle zu trainieren. Schließlich wollte man zur Weltmeisterschaft in Prag und dort Gleichgesinnte aus aller Welt und aus der Bundesrepublik kennenlernen. Das ist aber nur ein Aspekt der Geschichte von einer großen Freundschaft dreier Jungs, die die Wende nicht überlebt hat.
Nach eigenen Aussagen wollte Persiel einen Film über Liebe, Tod und Leidenschaft machen, und das ist ihm zweifellos gelungen. Auch wenn er, was die Machart und die Materiallage betrifft, zunächst ordentlich geflunkert hat, ist This Ain‘t California ein guter Film mit einer tollen Geschichte, die ganz undogmatisch das jugendliche Lebensgefühl der späten DDR transportiert und zeigt, dass sich dieses zuweilen kaum vom Rest der Welt unterschied. Wer in den 1980er-Jahren jung war, kann sich in This Ain‘t California genauso wiederfinden wie junge Leute von heute – und das macht die eigentliche Qualität des Films aus.
This Ain't California, Deutschland 2012, Regie: Marten Persiel, Buch: Marten Persiel, Ira Wedel, mit Kai Hillebrand, Titus Dittmann, Christian Rothenhagen, Mirko Mielke, Torsten Schubert, Kai Hillebrand u.a., ab 12, 90 min, Kinostart: 16. August 2012 bei Farbfilm
In Zusammenarbeit mit fluter.de, dem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung |