Eine Ehe nach 35 Jahren
Helena Třeštíková hat ein Ehepaar über 35 Jahre lang mit der Kamera begleitet. In ihrem Film erlebt man gemeinsam mit den Protagonisten die Szenen einer Ehe: Liebe, Freude, Kinder, Ambitionen, Streit, Gewalt, Trauer, Probleme. Aber auch, dass man das alles irgendwie bewältigen kann.
Die Regisseurin Helena Třeštíková gehört zur ersten Riege im europäischen Dokumentarfilm. Schon vor ihren jüngsten Erfolgen begann sie Anfang der 80er Jahre mit sechs Ehepaaren zu drehen. Das Langzeitexperiment veröffentlichte sie 1987 als Manželské etudy (Eheetüden), die sowohl Publikum als auch Kritiker überzeugten. Bis heute führt Třeštíková die Dreharbeiten mit allen sechs Paaren fort, obwohl sich vier von ihnen mittlerweile getrennt haben. In den Jahren 2005 und 2006 kamen die Manželské etudy po dvaceti letech (Eheetüden nach 20 Jahren) heraus und nun der erste abendfüllende Film über eines der sechs Paare.
Kampf um Identität
Václav Strnad und Ivana Strnadová sind beide studierte Architekten, beide sehr fleißig und kreativ. Václav stürzt sich nach der Wende in den Aufbau eines Unternehmens, das Möbel produziert und verkauft. Ivana hingegen ist voll eingespannt mit der Erziehung der fünf Kinder. Aus dem Eheleben wird ein sisyphusgleicher Kampf um das Überleben, um die Wahrung der eigenen Identität. Die Strnads sind eben keine „ganz normale Familie“, was schon die Anzahl ihrer Kinder belegt. Sie durchleben verschiedenste Krisen, diese jedoch gehäufter und drastischer als üblich. Ob nun bedingt durch Václavs Naivität als Unternehmer, oder Ivanas Depressionen, die ihre Erkenntnis begleiten, wie viele ihrer persönlichen Ambitionen sie für Kindererziehung und Haushalt geopfert hat. Die Karrieremöglichkeiten und -ziele driften bei beiden Eheleuten allmählich auseinander, unter anderem auch wegen der Geschlechterrollen, die ihnen die damalige Zeit zugewiesen hat. In dieser Hinsicht ist der Film für Feministinnen schwer verdaulich.
Interessant ist es auch, die Veränderung des politischen Klimas zu verfolgen. So eröffnet sich nach dem Fall des Kommunismus zwar die Chance auf unternehmerischen Erfolg, aber ebenso steigen das Risiko und die Unsicherheit. Die historischen Umstände werden nur in Details angedeutet, etwa wenn im Fernseher über den Gewinn der Eishockeyweltmeisterschaft 1985 durch das tschechoslowakische Team berichtet wird, oder wenn kurz ein Wahlkampfplakat aus dem Jahr 1999 zu sehen ist, das auf ironische Art eine vielversprechende Zukunft unserer Kinder verheißt.
Es gibt Bilder von Warteschlangen beim Weihnachtsbaumverkauf noch vor 1989 und Probleme mit Ämtern, die bis in die Zeit nach der Samtenen Revolution andauern. Wie schwierig es war, in den 80er Jahren eine Genehmigung zum Verkauf selbstgemalter Bilder zu bekommen, berichtet die unermüdlich kreative Ivana. Ihre Bilder musste sie letztlich dennoch als „Souvenirs“ deklarieren, um sie verkaufen zu können. In den 90er Jahren ist es dann Václav, der mit seinem Business und einer Kombination aus Fleiß und der Sehnsucht nach Erfolg auf Hindernisse stößt.
Die Zeiten ändern sich
Der rund 100-minütige Film über 35 Ehejahre der Strnads besteht aus drei Teilen. Der erste ist noch in schwarz-weiß gedreht und zeigt die Hochzeit, die nachfolgende Renovierung der Wohnung und die Vorbereitungen auf das gemeinsame Leben. „Wir heiraten, und wissen selbst nicht warum“, sagt der frischgebackene Ehemann Václav mit einem breiten Lächeln in die Kamera. In den Augen der Frischverheirateten spiegeln sich Liebe und Erwartungen. Es folgt die Geburt des ersten Sohnes, der Studienabschluss, Václavs Wehrdienst und nach fünf Jahren die Geburt des zweiten Kindes. Es sieht nicht so aus, als würden sich die Eheleute den Kopf zerbrechen über ihr Leben. Der zweite Teil nach einem Zeitsprung ans Ende der 90er Jahre ist schon „bunter“. Die Familie wächst um weitere zwei Söhne und eine Tochter, und die Familie zieht um in ein größeres Haus. Václav kauft ein Neorenaissancegebäude in Prag und macht sich an dessen Umbau zu einem großen Möbelgeschäft. Die Zeiten ändern sich jedoch und das Geschäft läuft nicht so, wie er gehofft hatte. Hinzu kommen Probleme mit den Kindern, deren Entwicklung nicht den Ansprüchen der Eltern genügt. Der dritte Teil des Films ist inhaltlich am dichtesten. Es kommt zur Ehekrise und es droht gar der Zerfall der ganzen Familie. Dies ist der einzige Moment, in dem einer der Ehepartner, Ivana, sich Filmaufnahmen verweigert.
„Ich werde nicht noch mehr Besitz anhäufen, hier und da mache ich sogar was kaputt“, sagt Václav, der nach einem Vorfall im Garten, der auch die Polizei auf den Plan rief, einen Sicherheitsabstand zu seiner Frau einhalten muss. Es scheint, als seien die Dreharbeiten beendet. Doch dem bieten zwei bereits erwachsene Söhne die Stirn. Sie beobachten die ganze Situation mit Übersicht und die Eltern, deren Ehe sich im Stadium der Pubertät befindet, müssen sich nun gefallen lassen, dass ihre früher dämonisierten Nachkommen sie geradezu auslachen.
„Jetzt ist es soweit, nun sind sie es, die durchdrehen“, sagt gänzlich unaufgeregt der zweitälteste Sohn Martin, bei dem es eine Weile aussah, als würde er auf die schiefe Bahn geraten – immer wieder klaute er seinen Eltern etwas und manchmal verschwand er einfach für mehrere Tage in der Wildnis. Aber auch er hat Unternehmergeist und Handfertigkeit geerbt, die ihn schließlich wieder zurück in die Spur gebracht haben. Sein nie nachlassendes und leicht bizarres Lachen erhellt die düstere Atmosphäre der Ehekrise und gibt dem Film eine Note Humor. „Auf den Drogen bin ich nicht hängengeblieben, also alles entspannt“, fügt er hinzu. Auch die Krise überwinden die Strnads schließlich. Im Verlauf des Films bricht Václav einige Male vor der Kamera in Tränen aus, wofür er von seiner Frau gerüffelt wird: „So bist du normalerweise nicht!“ Nie aber hören wir davon, dass einer den anderen weniger gern hätte.
Authentizität und Offenheit
Die Methode Helena Třeštíkovás besteht aus Beobachtung und Geduld. Ins Leben der Strnads greift sie nicht ein außer mit ihrer Anwesenheit. Sie hört allen Familienmitgliedern zu, auch wenn manche von ihnen sich etwas genieren und sich nicht einfach so vor die Kamera setzen. Der ganze Film ist nicht unbedingt ein handwerklich einwandfreies audiovisuelles Erlebnis. Helena Třeštíková wird oft eine gewisse Passivität gepaart mit einer Langeweile im filmischen Erzählen vorgeworfen. Ihr geht es vor allem um ein behutsames Verstehen und Dokumentieren der Ehe und der Familie als Ganzes. Die Authentizität und Offenheit aller Familienmitglieder mischt sich mit dem gefühlvollen Zugang der Filmemacherin. Sie hält nicht nur das Leben der beiden Eheleute fest, sondern auch das der im Laufe der Zeit heranwachsenden Kinder.
Das Dokument Strnadovi ist angenehm nostalgisch, liebevoll und ergreifend und enthält Depression und Humor. Der Film zeigt alltägliche Momente und welch große Rolle diese im Leben und in den Erinnerungen spielen. Über die dramatischeren Momente wiederum sagt er uns, dass man sie immer irgendwie überstehen kann. Auch mit fünf Kindern (und einem Hund).
Übersetzung: Patrick Hamouz