Gespräch mit Andreas Jandl
Sensibles Übersetzen benötigt Ausweichstrategien
Andreas Jandl reflektiert seine eigene Positionierung und Rolle als Übersetzer, der zahlreiche afrikanische Autor*innen übersetzt hat. Besonders ausführlich geht er dabei auf die Verwendung rassistischer Begriffe in David Diops „Reise ohne Wiederkehr“ ein.
Anna von Rath und Justine Coquel im Gespräch mit Andreas Jandl
„In meiner Übersetzerzeit seit 2000 habe ich mir ein Repertoire an Ausweichstrategien zurechtgelegt, wie ich bestimmte Sachen umgehen kann, ohne dass der Text leidet,“ erzählt uns Andreas Jandl sehr ehrlich bei einem Gespräch in Berlin in Bezug auf seinen Umgang mit sensiblen Begrifflichkeiten, auf die er in Texten von afrikanischen oder indigenen Autor*innen gestoßen ist. Jandl hat lange in Montreal gelebt und kam über die Arbeit am Theater zum Übersetzen. Er übersetzte zunächst Dramatik, kanadische Stücke, und dann Stücke aus anderen französisch- und englischsprachigen Regionen. 2004 nahm er am Goldschmidt-Programm für Literaturübersetzer*innen teil, um sich weiterzubilden und dann auch mal Bücher in die Finger zu bekommen. Mittlerweile ist er 2. Vorsitzender des Verbands deutschsprachiger Übersetzer*innen literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ).
Das erste englischsprachige Buch, das Jandl übersetzt hat, war Maaza Mengistes Beneath the Lion’s Gaze/Unter den Augen des Löwen, das 2012 in der AfrikAWunderhorn Reihe erschien. Seitdem hat Jandl einige weitere afrikanische Autor*innen übersetzt, darunter Scholastique Mukasonga und David Diop, um den es später noch ausführlicher gehen wird. Jandl hat viele Gefühle und Gedanken dazu, als weißer Europäer afrikanische Autor*innen zu übersetzen. Seine erste Reaktion ist eine gewisse Befangenheit aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungswelten und einhergehenden Machtdimensionen. Doch versteht er gerade die AfrikAWunderhorn Reihe, die 2010 ihren Anfang nahm, als Bemühung, die Literatur von afrikanischen Autor*innen anzuerkennen und sichtbarer zu machen. Jandl sagt: „Damals hatte ich ein ganz gutes Gefühl, bei einem Projekt mitzuarbeiten, das eine Vitrine ist, Wertschätzung bedeutet, und vielleicht sogar eine Art Aufbruch.“ Doch auch hier gilt es laut Jandl abzuwägen, mit welcher Haltung diese Sichtbarkeit durch Übersetzer*innen und Verlage hergestellt wird – so etwas kann selbstlos geschehen oder in Richtung white saviourism tendieren. Durch dieses Gedankendickicht trägt Jandl eine positive Grundeinstellung: „Ich würde sagen, Übersetzer können gute Verbündete sein, um gegen Rassismus zu kämpfen.“
Für die meisten Übersetzungsprojekte müssen sich Übersetzer*innen in neue Themen eindenken und sich eine gewisse inhaltliche Expertise aneignen – sei es nun Segeln, Pflanzenkunde oder Möbelbau. Rassismus hingegen ist als Überthema bei allen Übersetzungen relevant, ganz unabhängig von der Textgattung. Neben der Aneignung inhaltlicher Expertise sollten Übersetzer*innen möglichst früh in ihrer Laufbahn auch lernen, Rassismen als solche wahrzunehmen. In diesem Sinne betrachtet Jandl das Übersetzen als eine große Lernchance: „Wenn weiße Männer Schwarze Frauen übersetzen, bekommen sie Einsicht in andere Welten. Dieses sehr enge Lesen, das für das Übersetzen nötig ist, kann im Kopf schon einiges bewegen.“ Wobei die Frage bleibt, ob es im Sinne der Autor*innen und der Qualität des übersetzten Textes ist, wenn sie zum Lernobjekt der Übersetzer*innen gemacht werden.
In den letzten Jahren wurde vielfach hitzig darüber debattiert, wer wen übersetzen darf oder soll. Jandl beobachtet, dass sich innerhalb der Übersetzer*innen-Community zwei Schulen gebildet haben: Die einen sprechen ein Plädoyer für möglichst viele Ähnlichkeiten zwischen Autor*innen und Übersetzer*innen aus. Die anderen behaupten, es sei Teil der Kunst, dass sich alle in alle hineinversetzen könnten. Jandl selbst würde sich irgendwo in der Mitte positionieren: „Es ist natürlich sinnvoll mit den Lebensrealitäten, die in der Literatur gespiegelt werden, vertraut zu sein, so dass man Dinge nachvollziehen kann. Und trotzdem würde ich sagen, wenn eine literarische Stimme zu mir spricht, dann ist es völlig egal, woher ich komme – für diese Arbeit am Text.“ Jandl hat eine nützliche Idee, wie dieses Problem gelöst werden könnte: „In einer idealen Welt gäbe es anonymisierte Probeübersetzungen.“ Statt essentialisierender Identitätsdebatten stünden dann die Sensibilität beim Textverständnis sowie das sprachliche Geschick beim Ausdruck im Fokus.
Bisher ist es in Deutschland häufig so, dass Übersetzer*innen von Lektor*innen für Projekte angefragt werden, weil sie sich kennen, weil sie ihnen empfohlen wurden oder weil sie schon thematisch/regional ähnliche Texte übersetzt haben. Außerdem werden gerne die gleichen Übersetzer*innen für die Folgetitel „ihrer“ Autor*innen angefragt. Zu Jandls Autoren gehört u.a. der französisch-senegalesische Autor David Diop. 2020 erschien zunächst seine Übersetzung Nachts ist unser Blut schwarz im Aufbau Verlag, 2022 folgte Reise ohne Wiederkehr. Letzteres entpuppte sich als besondere Herausforderung für Jandl.
Reise ohne Wiederkehr basiert auf einer historischen Vorlage: Der französische Botaniker Michel Adanson reiste im 18. Jahrhundert in das heutige Senegal und verfasste einen Reisebericht über seine Erfahrungen. Adanson wollte Flora und Fauna beschreiben und von der lokalen Bevölkerung erzählen. Andere Europäer vor Ort – größtenteils Männer, die in den Versklavungshandel involviert waren – interessierten sich weniger für lokales Wissen, aber Adanson war fasziniert von den botanischen Kenntnissen der Menschen, die er traf. Trotzdem war er ein europäischer Mann seiner Zeit, was Diop im Roman durch Adansons Vorurteile und Sprache verdeutlicht. Auf fast jeder Seite des Buches sah Jandl sich mit dem französischen N-Wort konfrontiert.
Diop, ein Schwarzer Autor, der diesen Text erst vor kurzem verfasst hat, wählte den heutzutage eindeutig rassistischen Begriff ganz bewusst. In einem E-Mail-Austausch erklärte er Jandl, dass der Begriff auf Französisch in dem historischen Kontext seiner Geschichte gängig und nicht wertend gemeint war. Jandl sagt: „Diop ist Spezialist für das 18. Jahrhundert und ich habe mich ganz auf ihn verlassen.“ Er recherchierte, welche Begriffe im gleichen historischen Kontext in Deutschland auftauchten und es schien so, als wäre das N-Wort als regulärer beschreibender Begriff verwendet worden. Jandl merkt selbstkritisch an: „Aber es war vielleicht nicht fundiert genug, der Aussage des Autors blind zu folgen, da der Begriff in Deutschland eine andere Geschichte hat.“ Nach der Veröffentlichung von Reise ohne Wiederkehr las Jandl das Buch Rassistisches Erbe: Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen, in dem Susan Arndt eindrücklich erklärt, dass zumindest das deutsche N-Wort immer abwertend gemeint war.
Schon bei der Veröffentlichung schien dem Aufbau Verlag die Brisanz der Wortwahl im Deutschen klar gewesen zu sein. Deshalb gibt es im Buch ein Vorwort, das die Begriffsentscheidung erläutert, und auf der Verlagswebsite ein Interview mit Diop, in dem er noch einmal auf die Begriffsgeschichte des französischen Begriffs eingeht.
Eine richtig gute Lösung, das bewusst gesetzte französische N-Wort des Autors im Deutschen wiederzugeben, scheint es nicht zu geben. Jandl sagt: „Ich würde den Begriff jetzt vielleicht im Original lassen und dann kursiv setzen. Das Verfahren stammt aus dem Essay und wird bei fiktionalen Texten immer üblicher.“ Insgesamt hat er seit der Veröffentlichung einiges dazugelernt, er würde das Vorwort heute anders schreiben, er hätte ausführlicher mit dem Autor gesprochen (z.B. über seine Ziele mit dem Text, seine imaginierte Leser*innenschaft) oder vielleicht, nach endlosem Zaudern und großem Bedauern, menschlichem wie literarischem, begleitet von existenziellen Ängsten, den Auftrag gar nicht angenommen. Ein sensibler Umgang mit Sprache und mit den Ausgangstexten bedeutet für Übersetzer*innen häufig, wie Jandl uns gleich zu Beginn des Gesprächs sagte, ein Repertoire an Ausweichstrategien zu entwickeln.