Veranstaltungsreihe
Off To Take Care

Eine Collage mit Bildern aus Filmen, die vielfach medizinisches Personal zeigen.
Off To Take Care © Annett Busch

Celebrating the Many Facets of Care Work Through Film

Über fünf Tage hinweg versammelt das Mini-Festival Off To Take Care dokumentarische, fiktionale, experimentelle, internationale Filme, Momentaufnahmen aus fünf Dekaden, lokal und universal, um gemeinsame über das Thema care zu reflektieren.
Ein dichtes Filmprogramm will Fragen aufwerfen und anregen, mit und durch das Filmemachen neu darüber nachzudenken, was care als Haltung, Arbeit, Methode, Narrativ bedeuten und bewirken kann. Weniger um care-Arbeit zu repräsentieren, sondern um Leute zusammen zu bringen die das tun, sich kümmern, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen und um sehr verschiedene Dinge. Die Kuratorinnen Annett Busch und Marie-Hélène Gutberlet werden die ganze Zeit über anwesend sein, und wir laden Sie herzlich dazu ein, so oft wie möglich vorbeizuschauen, um die Gesprächs-Fäden aufzunehmen und weiterzuspinnen. Neben dem spontanen Austausch an den ersten Tagen wird es nach dem Programm am Samstag, den 18. November im Goethe-Institut, die Gelegenheit geben, die Gespräche bei einem Glas aufzugreifen sowie nach dem letzten Programm am Sonntag, den 19. November bei einer informellen Diskussion für alle im Studio des ICA.

Off to Take Care wurde von Annett Busch und Marie-Hélène Gutberlet als Women on Aeroplanes kuratiert. 

Wir freuen uns, dass die Teilnehmer des Waiting Times Project während des gesamten Festivals ihre Antworten mitteilen und an unseren Diskussionen über die Filme teilnehmen werden.

Das vom Wellcome Trust geförderte Waiting Times Project beleuchtet die Beziehung zwischen Zeit und Pflege und erforscht, wie gelebte Erfahrungen, Darstellungen und Geschichten von verzögerter und behinderter Zeit die Erfahrungen von Pflege, einschließlich Gesundheitsversorgung, formen und schaffen.

Alle Filme werden mit englischen Untertiteln gezeigt. 

Wir danken dem ICA für die Präsentation von Heimkinder am 19. November.


Links zu den fünf Programmen finden Sie weiter unten.

Off to Take Care 

Von care zu sprechen bedeutet, sich auf weitläufiges Terrain zu begeben. Vor allem im anglophonen Diskurs. Care als Begriff der in verschiedene Richtungen und Tätigkeitsbereiche ausstrahlt und seine Doppeldeutigkeit durch Redewendungen schon in sich trägt — who cares? — stellt zugleich ein Übersetzungsproblem dar. Das Spannungsverhältnis von Zuwendung und Abwendung, aber auch von Arbeit, Aufmerksamkeit, manueller und intellektueller Tätigkeit, das im englischen, care, so beiläufig mitschwingen kann, wird im Deutschen mit unterschiedlichen Bezeichnungen unmissverständlich aufgefächert, und oft mit moralischem Unterton. Kümmern, Pflegen, Versorgen, Sorgfalt, Betreuen, Fürsorge. Entsprechend ändert sich der Diskurs und was darin zur Sprache kommt. Etwa die Arbeit von Pflegekräften und die Arbeit von Filmemacher*innen zusammen zu denken und zusammenhängend anzusprechen. Ein sorgfältig reflektierter Umgang mit Aufnahmetechnik oder eine zugewandte, aber unaufdringliche Kamera könnten ein cinema of care auszeichnen.

Was bei der Übersetzung verloren geht, ist die Idee, dass care eine Haltung, eine Methode und in diesem Sinne ein politisches Projekt sein kann, um Diskurs, Arbeitskämpfe und Narrative, Ästhetiken und Ökonomie im Verhältnis zueinander und eben nicht getrennt voneinander zu besprechen. Nur so lässt sich aufzeigen, dass care, das sich-Kümmern nicht nur eine meist unter- oder unbezahlte Arbeit ist, die die Dinge am Laufen und zusammenhält, sondern sich als Qualitätsmerkmal auszeichnet. Eine Arbeitsweise, die auf care basiert, die Herstellung von Produkten, Filmen, Texten, Forschung mit inbegriffen, die sorgfältig, genau und weitsichtig ausgeübt wird, braucht Zeit. Eine Zeit, die sich in einem Wirtschaftssystem, das auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, ökonomisch nicht rechnet. Um den Stellenwert und die Notwendigkeit von care Arbeit zu verstehen, müssen wir unser Wertesystem womöglich vom Kopf auf die Füße stellen. Der Kinosaal ist dafür ein guter Ort.

 

Annett Busch ist Wissenschaftlerin-Kuratorin, Redakteurin, Autorin und Übersetzerin und ist mit der Kunsthochschule Trondheim/NTNU affiliiert. Ihr Interesse gilt radikalen Formen des Filmemachens, der Filmkritik und widerständigen Methoden. Sie war u.a. Mitkuratorin der Ausstellung  Tell It to the Stones: The Work of J. M. Straub and D. Huillet (2017, mit Tobias Hering), Mitherausgeberin von Ousmane Sembène: Interviews (2008, mit Max Annas) und Frieda Grafe: 30 Filme (2013, mit Max Annas und Henriette Gunkel). Ihr Fokus liegt auch auf mutigen Künstlerinnen, Administratorinnen, Philosophinnen und Kämpferinnen. Sie ist Co-Kuratorin von Women on Aeroplanes (seit 2017, mit MH Gutberlet und Magda Lipska) und Mitherausgeberin des dazugehörigen Inflight Magazine. Sie hat sich auch mit katalytischen historischen Momenten und deren Überbleibseln beschäftigt, wie in dem Band und der Ausstellung After Year Zero (mit Anselm Franke); und sie hat sich auf die Politiken und Kulturen der Zeitschriftenproduktion konzentriert, wie in Electronic Textures (u.a. mit Kodwo Eshun und Michael C. Vazquez).

Marie-Hélène Gutberlet arbeitet in und außerhalb institutioneller Rahmen. Für viele Jahre war sie in verschiedenen Kontexten der filmwissenschaftlichen Lehre und als unabhängige Kuratorin und Autorin aktiv. Seit 2020 ist sie Professorin für Film an der Hochschule für Gestaltung Offenbach (Germany) und arbeitet nach wie vor in Projekten mit anderen zusammen — so im Festival- und Ausstellungsprojekt Cours, cours, camarade, le vieux monde est derrière toi—The Cinema of Med Hondo (2017-2019, mit Brigitta Kuster und Enoka Ayemba, inkl. dreier Publikationen), Women on Aeroplanes (mit Annett Busch, http://woa.kein.org/), und seit 2022 Die Kunst der Gegenuntersuchung (mit Felix Trautmann and Franziska Wildt, #kunstdergegenuntersuchung).