Deutsch-Griechische Filmdialoge über die Vergangenheit und die Zukunft
HISTORY PROJECTED
Geschichte, aber als Projektion
Filmvorführungen in Zusammenarbeit mit Ethnofest
Im Laufe des Jahres 2024 stellen wir eine Reihe von griechischen und deutschen Kurz- und Langfilmen vor. Und präsentieren so ein breites Spektrum von Dialekten und Dialektiken, unterschiedlichsten Zugriffen auf die gemeinsame Geschichte, Mikroerzählungen und ein so schräges wie polyphones Stimmengewirr, außerdem Studien zur Mythologie und Rollenspiele mit den Masken der nationalen Identität. Es entstehen Puzzles aus Fragmenten, die im Archiv geborgen wurden, während die Distanz zu den historischen Quellen durch entweder laute oder unsichtbare künstlerische Gesten überbrückt wird. So eröffnen sich überraschende und grenzüberschreitende Lesarten des Gesehenen. Das Vergangene wird in die Gegenwart geholt und auf die Zukunft projiziert. Es ist die Sprache des Kinos, die die Geschichte zur Sensation, einem Instinkt und zur kollektiven Erfahrung macht.
Episode 3: Geschichte im Sommer
Vathikofto, Ioanna Kryona, 2021, 21΄
(Auf Griechisch mit englischen Untertiteln)
Sonnenallee, Leander Haußmann, 1999, 101΄
(Auf Deutsch mit griechischen und englischen Untertiteln)
Sogar in ihrer dunkelsten Stunde: Die menschliche Geschichte ist in einem immerwährenden Sommer gefangen, und nichts Neues ist zu finden unter der brennenden Sonne. Gleichzeitig richtet sich die Geschichte – auch wenn nichts neu ist und alles auf Vergangenes und Bekanntes zurückgreift – notwendigerweise an die Jugend – und damit an die Agenten der Zukunft. Zum verlängerten Ende der wärmsten Jahreszeit präsentiert diese Sondervorführung zwei Filme, in denen die unerträgliche Leichtigkeit des Jungseins zum Ausdruck kommt. Sie erinnern uns daran, wie wichtig es ist, sich unbekannte Klänge anzueignen, bis man seine eigene Stimme gefunden hat, und in unbekannten Empfindungen zu wühlen, um die gewohnten menschlichen Realitäten zu erschüttern.
Unfreiwillig verbringen Anna und Eleni ihren Sommer in Berlin. An einem Samstagabend schlendern sie mit einem leeren Koffer herum. Sie beginnen zu singen. Bald werden sie mit den unvorhersehbaren, explosiven Folgen eines einzigen, falsch verstandenen Liedtextes konfrontiert.
In Sonnenallee wird ein Blick zurück in die DDR gewagt – nicht weinerlich, sondern offensiv sentimental und reichlich überzogen. Es geht um junge Leute, verbotene Songs und Tänze und um die große Liebe, die alles verändert. Der 17-jährige Micha lebt in der Sonnenallee, deren längerer Teil in Neukölln (also im Westen), das kurze Ende aber in Treptow (also im Osten der geteilten Stadt liegt). Micha träumt davon, ein großer Popstar zu werden. Politik ist ihm eher egal – er ist weder für das DDR-System noch wirklich dagegen. Allerdings will er die ganze gesellschaftliche Organisation ‚von innen‘ her aufmischen. Dann gibt es da noch Michaels existenzialistisch angehauchten Freund Mario und den gemeinsamen Kumpel Wuschel, der durch eine Rolling-Stones-Platte in Gefahr gerät, einen Westonkel, der Nylons schmuggelt, und einen Nachbarn, der für die Stasi spitzelt – oder doch nicht? Sicher weiß Michael nur, dass er in Miriam verliebt ist: die wunderbare, unerreichbare Miriam. Für sie würde er alles tun.
Ioanna Kryona studierte Filmwissenschaft und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin. 2015 stellte sie ihren ersten Kurzfilm Postheimat fertig, der auf dem Drama International Short Film Festival uraufgeführt und am Athens International Film Festival gezeigt wurde. Ihr dritter Kurzfilm Vathikofto erhielt eine Produktionsförderung durch den öffentlich-rechtlichen Sender ERT und eine Fertigstellungsförderung durch das Greek Film Centre. Ihr erstes Spielfilmprojekt Basalt, das sich in der Entwicklung befindet, erhielt eine Treatment-Förderung durch das Griechische Filmzentrum und war Teil der MFI SCRIPT2FILM WORKSHOPS 2020/2021. Ioanna Kryona hat Arbeitserfahrung als Programmgestalterin, da sie als Head of Programming bei Hellas Filmbox Berlin tätig war. 2019-2020 wurde sie als Teilnehmerin des NEXT WAVE Programms der Deutschen Filmakademie (DFFB) für Filmschaffende ausgewählt. 2022 beteiligte sie sich mit ihrem ersten Serienprojekt am Regie-Workshop der Filmakademie München, 2023 war sie Stipendiatin des Oxbelly Episodic für Serienautoren, das vom Faliro House organisiert wird.
Leander Haußmann ist ein deutscher Theater- und Filmregisseur. Der Sohn des Schauspielers Ezard Haußmann und der Kostümbildnerin Doris Haußmann wurde in Quedlinburg geboren und besuchte die Theaterschule Ernst Busch in Berlin. Haußmann war Theaterdirektor des Schauspielhauses Bochum. Außerdem schrieb und spielte er in mehreren Theaterstücken (1995-2000) und hatte eine Rolle in dem Detlev Buck-Film Jailbirds (1996). Der Spielfilm-Durchbruch gelang ihm mit Sonnenallee (1999). Sein zweiter Spielfilm, Herr Lehmann, folgte 2003.