Der Mauerfall in Radio und TV
Soaps und Komödien

Der 25. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 2014 wird wieder gefeiert, nicht nur von Politik und Menschen sondern auch von den Medien. Dabei beleuchten manche deutsche Fernseh- und Hörfunksender das epochale Ereignis aus durchaus ungewohnten Blickwinkeln.
Es gibt diese Mauerfall-Momente, die jeder in Deutschland kennt: Menschen liegen sich vor dem Brandenburger Tor in den Armen, Kolonnen des DDR-Autos Trabant passieren die deutsch-deutsche Grenze, auf der Berliner Mauer wird getanzt und gefeiert. Die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 bereitete den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands. Die berührenden Archivbilder von diesem geschichtsträchtigen Ereignis werden traditionell in den Medien gezeigt – immer dann, wenn sich die Öffnung der Berliner Mauer jährt.
Ein Vierteljahrhundert nachdem die Menschen die Grenzen zwischen DDR- und Bundesrepublik Deutschland erstmals frei passieren konnten, hat sich in Deutschland vieles verändert – politisch wie gesellschaftlich. Noch immer sind zeitgeschichtliche Dokumente ein wichtiger Teil der kollektiven Erinnerung an die euphorische Phase der friedlichen Revolution. Doch der Blick zurück wandelt sich – auch in den Medien. Zehn Jahre zuvor, 2004, hießen die Sendungen zum damaligen Jubiläum noch Fluchtgeschichten, Als die Mauer fiel oder Auf den Spuren der Diktatur. Heute haben öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radiosender neue Formate und Sichtweisen entwickelt.
Radio-Seifenoper und Sechs-Stunden-TV-Dokumentation
Eines der spannendsten Projekte hat der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) gestartet. Der öffentlich-rechtliche Sender, der vorrangig über die ostdeutschen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen berichtet, produzierte anlässlich des Jubiläums eine Radio-Seifenoper. „Wir wollten die Geschichte der friedlichen Revolution nicht zum hundertsten Mal nacherzählen“, sagt Stefan Nölke. Er ist als MDR-Redakteur verantwortlich für Thälmannstraße 89 – so heißt die Soap, die im Hauptteil eine Liebesgeschichte ist, in der es aber auch um das Erinnern geht. Woran denken wir ein Vierteljahrhundert später? Was sind die wichtigen Ereignisse der friedlichen Revolution?Die Soap, die ein Jahr lang in der Mediathek des MDR nachgehört werden kann, kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Eine zentrale Botschaft verkündet sie aber doch: Zumindest die eigene Geschichte ist eine wahre Geschichte. Und auf die sollte sich mehr besonnen werden.
Dieses Fazit ist wichtig, weil die friedliche Revolution bisher vor allem in einem größeren Zusammenhang betrachtet wurde, als politisch-historisches Großereignis. Dabei blieben viele Blickwinkel unbeachtet.
Neue Perspektiven
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) zeigt mit seiner Langzeitdokumentation Die Ostdeutschen neue Perspektiven. „Die DDR ist weg, die Erinnerung bleibt“, heißt es von Produktionsseite. Und um das Verbliebene zu konservieren, lassen die Macher 25 unterschiedliche Personen zu Wort kommen. Ein Bäcker erzählt ebenso seine Mauerfall-Geschichte wie ein Schuldenberater und ein Galerist. In der sechs Stunden dauernden Dokumentation entsteht so ein multiperspektivisches und authentisches Bild auf die friedliche Revolution, auf das Leben in der DDR und im vereinten Deutschland.Diese Herangehensweise, verschiedene Menschen ihre Sicht auf die Ereignisse schildern zu lassen, ist bei den Aktivitäten zum Jubiläum 2014 beliebt: Auch der Film Bornholmer Straße, des Senders Das Erste bietet eine Innensicht, die in diesem Fall sogar nah am Tabubruch liegt. „Wir haben uns getraut, das Thema ‚25 Jahre Mauerfall‘ von einer ganz unerwarteten Perspektive und in einer neuen, komödiantischen Erzählweise anzugehen“, sagt Produzentin Jana Brandt. Der Film schildert die Ereignisse am 9. November 1989 am Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße, dem ersten, der damals geöffnet wurde. Allerdings wird das Geschehen aus der Perspektive eines Grenzoffiziers erzählt, der nun, entgegen seiner früheren Anweisung, aufgrund des Ansturms gezwungen ist, den Übergang zu öffnen.
Bei der Vorpremiere wurde Bornholmer Straße begeistert gefeiert. Der Film habe die Zuschauer emotional so mitgerissen, dass es keine Rolle mehr gespielt habe, in welcher Form bis dahin die Stasi-Organe an den Grenzen mit Menschen umgegangen waren, stellt Brandt fest. Diese Reaktion zeigt auch, dass der Umgang mit dem ernsten Thema mittlerweile lockerer wird, dass Sichtweisen eingenommen werden können, die vor einigen Jahren so noch nicht möglich gewesen wären. „Die zeitliche Distanz erlaubt nicht nur andere Blickwinkel, sondern auch eine radikal andere Erzählweise“, sagt Brandt.
Zeitleiste und Zeitreise
Neben diesen neuen Sichtweisen, den persönlichen Erzählungen, gibt es aber auch 2014 die historischen Momente in Bild und Ton. Ganz pur zum Beispiel beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF): Es zeigt sieben Stunden lang Originalaufnahme vom 9. November 1989 – ohne Kommentar. Der öffentlich-rechtliche Radiosender Deutschlandfunk hat Mauersplitter zusammengetragen – die wichtigsten Momente im Herbst 1989 zum Nachhören. Beim RBB ist die gesamte Geschichte der deutsch-deutschen Grenze im Internet unter Berlin-Mauer.de als interaktive Zeitleiste aufbereitet. Und der MDR ermöglicht es mit seiner „Zeitreise”-App, verschiedene mitteldeutsche Orte zur Wendezeit zu besuchen.Auch diese Angebote, die das umfassende historische Ausmaß der gesellschaftspolitischen Wende zeigen, gehören 25 Jahre später zum Jubiläum dazu. Sie sind wichtig, weil sie zeigen, was die Menschen damals während der friedlichen Revolution geleistet haben. Und das kann nicht oft genug wiederholt werden.