Festival Magnetic Fields
Elektronische Klänge zwischen Wüstenpalast und Peripherie

Willow performt auf der Hauptbühne
Willow performt auf der Hauptbühne | © Natalie Mayroth

Ende Dezember lud das Musikfestival ‚Magnetic Fields’ Besucher aus aller Welt ein, um im indischen Rajasthan drei Tage zwischen Wüste und Palast in Techno, EDM und Ambient ein- und abzutauchen.

28.3036 Grad Nord, 75.2853 Grad Ost liegt das Mahal Alsisar in Rajasthans historischer Wüstenregion Shekhawati. Hinter dem elefantenhohen Eingangstor verwandelt sich das Herrenhaus, gebaut aus hellem Sandstein, an einem Wochenende im Dezember in ein elektrisierendes Musikfestival, das vor allem Großstädter in seinen Bann zieht.
 
Der Winter ist im Norden des Landes angebrochen – und die Luftqualität in den Städten so schlecht wie selten im Jahr – es ist die Zeit, in der knapp 3000 Menschen – Musikliebhaber aus Delhi, Mumbai, Bangalore, Kolkata und ein paar Hundert von überall aus der Welt – nach Alsisar kommen. Sie entfliehen Smog, Lärm und dem Trubel der Millionenstädte.
 
Hypnotischen Visuals bewegen sich über knapp 400 Jahre altes Gemäuer, Bässe schwingen in den mit Rajput-Bögen verzierten Palastinnenhöfen und die stickige Luft wird für 72 Stunden gegen Techno, EDM und Ambient getauscht. In den nächsten Tagen folgen sie ihren eigenen Regeln, in der Welt von Magnetic Fields, über die der Schirmherr Abhimanyu Singh Alsisar, Besitzer des Mahals, wacht.

Musikalisches Commitment

Vor gut fünf Jahren entstand die Idee zu Magnetic Fields und ist seitdem gewachsen. „Wir haben uns einen Ort weit außerhalb der Stadt (Delhi) gesucht, weil wir wollten, dass nur die Leute kommen, die der Musik gegenüber ein Commitment haben. Eines, das vier Stunden vom nächsten Flughafen entfernt ist und drei Tage lang andauert“, erklärt Munbir Chawla, der vor sechs Jahren mit seiner Frau Sarah von London nach Indien, der Heimat seiner Eltern, zog. Seitdem betreibt das Paar den Musikblog und das Label ‚Wild City’. Zusammen mit dem ‚Prinz von Alsisar’, den Designern von WeThePPL und zwei weiteren Partnern riefen sie das Festival im Luxushotel ins Leben.
 
Musik von indischen wie internationalen Acts ist auf verschiedenen Bühnen zu hören: in Palastkulisse, auf der Dachterrasse zum Sonnenuntergang, im Hip Hop-Garten, auf dem Festivalgelände unter Sandboden, im Jazz Club oder in manchen Zelten, die sich in Privatpartys verwandeln.
Wer nach dem Tanzen noch genügend Energie hat, kann am Nachmittag an einem der Yoga-Workshops teilnehmen, auf Schatzsuche gehen oder das 5.000-Einwohner-Dorf Alsisar erkunden. Geschlafen wird in den Suiten des Alsisar Mahals, außerhalb der Palastmauern in Festival-Beduinenzelten oder in etwas preiswerteren Zimmern in einem an der Dorfstraße gelegenen alten, mit Fresken verzierten Villen namens ‚Havelis’.
 
  • Zwischen Wüste und Palast: ‚Magnetic Fields’ © Natalie Mayroth
    Zwischen Wüste und Palast: ‚Magnetic Fields’
  • Haveli in der Nähe des Alsisar Mahals © Natalie Mayroth
    Haveli in der Nähe des Alsisar Mahals
  • Beduinen-Zelte auf dem Campingplatz © Natalie Mayroth
    Beduinen-Zelte auf dem Campingplatz
  • Alsisar Mahal in der Nacht © Natalie Mayroth
    Alsisar Mahal in der Nacht
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Indisch-internationales Line-up

Die Mischung aus indischen und internationalen KünstlerInnen ist vielseitig. Aus Berlin kommt die Band Say Yes Dog und She’s Drunk alias David Monnin angereist; die Headliner aus UK: Four Tet, Ben UFO, Special Request und Willow. Doch besonders stark sind neben dem Willow-SET, der Disko-House-Sound der Produzentin Jayda G, die zwischen Vancouver und Berlin pendelt und der Sound, der indisch-stämmigen Live-Acts Sandunes am Keybord, Madame Gandhi mit einer Mischung aus Pop und Rap und der Produzentin Tarana Marwah alias Komorebi, die zwei Mal auf der Bühne steht. „Es ist wichtig zu einer Bewegung beizutragen“, sagt sie. „Indien bittet um eine Musikkultur, eine Identität, außerhalb Bollywoods – und ich habe das Gefühl zu einer Zukunft dieser Szene beizutragen.“
  Die indische Produzentin Komorebi auf der Bühne Die indische Produzentin Komorebi auf der Bühne | © Natalie Mayroth Politisch, ohne direkt Kritik zu äußern, ist der Beitrag des britisch-indischen Musik-Videoprojekts ‚Different Trains 1947’, das die Teilung Indiens vor 70 Jahren audiovisualisiert. Die britische Kolonialherrschaft war beendet, doch im Zuge dessen wurden etwa 20 Millionen Menschen vertrieben und deportiert – der entsprechende Zug ‚different train’ entschied, in welchem Land sie künftig leben sollten. Ein bewegendes Thema, das von Actress, Jack Barnett, Jivraj Singh, Sandunes (Sanaya Ardeshir) und der Sängerin Priya Purushothaman bewegend umgesetzt wurde.

Different Trains 1947-Artist Sandunes alias Sanaya Ardeshir Different Trains 1947-Artist Sandunes alias Sanaya Ardeshir | © Natalie Mayroth Die königliche Rajput-Atomsphäre lassen Klänge aus dem ländlichen Nordindien, die auf der Puqaar-Terrasse mit Musikern aus Rajasthan und Gujarat zu hören sind, aufleben. Sie spielen laute und scharfe Töne auf der Doppelrohrblattflötte ‚Shehnai’, trommeln, streichen Saiten und singen klagend dazu.

Zum sphärisch-ruhigen Live-Set des Headliners Kieran Hebden, bekannt als Four Tet, ist von der Bühne bis zum Publikum über die Palastwände alles in blaues Licht getaucht und sirenenartige Musik schwebt mit der Live-Version von ‘Two Thousand and Sventeen’ über dem Palast. Bei seinem DJ-Set spielt er Songs von der indischen Sängerin Lata Mangeshkar, die Begeisterung auslösen. Und auch bei seinem vierten Auftritt auf der Afterparty in Delhi wird das Publikum nicht müde, ihn zu sehen.
 
Zu den Klängen von Magnetic Fields wird nicht nur im Palast getanzt. Auch die Einheimischen lauschen auf ihren Dächern und vor den Toren des Palastes. Plötzlich ist Leben in die einstige Kaufmannssiedlung zurückgekehrt, Verwandtschaft angereist. Sie helfen mit Privatunterkünften oder temporären Kiosken aus.

Und die elektromagnetischen Wechselwirkungen – Anziehungs- und Abstoßungskräfte – die der Name verspricht, sind allerorten zu spüren: zwischen Feiernden und Arbeitenden; zwischen Bands und Techno-Acts; zwischen der Wüsten-Oase zum Sonnenaufgang und der Verließ-Kellerbar nachts. Trotz des fünfjährigen Bestehens bleibt es ein Clash der Subkulturen.