Kashmira Wagh
Alter: 37 Jahre
Herkunft: Pune, Indien
Wohnort: Hamburg, Deutschland
Beruf: Business Development, KI-gestützte Kreativarbeit für Google
Kashmiras Leben in Deutschland
Ein Zuhause in einer windigen Stadt
An diesem Tag Ende April, als Kashmira ihre Wurzeln ausbreitet wie die Minzpflanzen ihre auf dem Balkon, herrschen sonnige 20 Grad in Hamburg. „Es ist einer der seltenen Sonnentage“, sagt sie. Hamburg, die Stadt im Norden Deutschlands, die Kashmira seit 2012 ihr Zuhause nennt, ist berüchtigt für Wind und Regen. Doch das kann sie nicht schrecken. „Ich liebe das Leben hier und die Unabhängigkeit, die die Stadt mir bietet. Ich treibe gern Sport, und Hamburg ist perfekt dafür, weil es viele Möglichkeiten zum Fahrradfahren, Wandern und Schwimmen gibt.“ Ihr Viertel St. Pauli nennt sie „lebendig“, ihr gefällt die ganzjährige Feierlaune der Menschen hier.Kashmira zog nach Hamburg, um für Google Projekte zu KI-generierten kreativen Inhalten zu leiten. In den zehn Jahren, die sie bereits in Deutschland lebt, hat sie einiges durchgemacht: Kulturschock, selbstauferlegte Zweifel an ihren Deutschkenntnissen - und als Krönung wäre sie auf ihrer ersten Deutschlandreise in Berlin fast von einer Trambahn überfahren worden.
Beinahe von der Tram überrollt
„Ich war zum ersten Mal in Deutschland, weil ich eine Freundin in Dresden besuchen wollte. Nach der Ankunft in Berlin hatte ich etwas Zeit totzuschlagen, also entschied ich, ein Fahrrad zu mieten, um auf eigene Faust die Stadt zu erkunden.“ Sie wusste, dass sie damit, anders als in Indien, auf der rechten Straßenseite fahren musste. Doch bevor sie sich auch nur orientieren konnte, sah sie schon eine Trambahn auf sich zukommen. Ihr Leben lief noch einmal vor ihr ab, doch sie konnte mit knapper Not entkommen. „Es war eine schreckliche Erfahrung“, erzählt sie lachend.Positiver Kulturschock
Aber Deutschland hat nicht nur erschütternde Nahtoderlebnisse zu bieten. Auf die Frage, ob sie bei ihrem Arbeitsantritt bei Google Deutschland einen Kulturschock erlebte, erzählt Kashmira eine weitere Anekdote, die sie jedoch als „positiven Kulturschock“ einordnet. „Google wies mir eine Kollegin als ‚Arbeitsfreundin‘ zu. Die sollte mir helfen, mich an den Alltag in Deutschland zu gewöhnen. Sie war überaus effizient und bemüht und füllte alle Formulare für meine Wohnortsanmeldung in Hamburg aus. Als ein Mitarbeiter der Agentur, die Google beauftragt hatte, mir mit sämtlichen Behördengängen zu helfen, anrief, war er verblüfft, dass meine Kollegin bereits alles erledigt hatte.“Nach der Eingewöhnungsphase musste Kashmira aufgrund ihrer Stelle im Verkauf viel mit Kunden interagieren. Dank des A2-Kurses, den sie am Goethe-Institut in Pune absolviert hatte, verfügte sie über grundlegende Deutschkenntnisse. Trotzdem war sie sehr nervös, als sie die Sprache tatsächlich anwenden sollte: „Schon der Gedanke daran, etwas so Einfaches zu sagen wie: ‚Schön, Sie kennenzulernen‘, versetzte mich in regelrechte Panik.“ Es dauerte einige Jahre, bis Kashmira ihre anfängliche Angst vollständig überwinden und mit vollem Selbstvertrauen Deutsch sprechen konnte.
Keine Angst, sprich einfach Deutsch!
Daher lautet Kashmiras Rat an Menschen, die nach Deutschland ziehen: „Bitte fangt an, Deutsch zu üben, sobald ihr ankommt. Habt keine Angst vor dem Urteil der Leute und sprecht einfach die Sprache, auch wenn ihr nicht perfekt seid. Das ist der beste Weg, um sie zu lernen.“Kashmira war von Anfang an in die deutsche Arbeitskultur eingebunden, und was ihr besonders daran gefällt, ist die Bedeutung des Feierabends. „Während meiner ersten paar Wochen wollte ich länger im Büro bleiben um weiterzuarbeiten. Aber ich merkte schnell, dass die Menschen hier ihre anderen Verpflichtungen ebenso ernst nehmen wie ihre Arbeit. Ich verstehe inzwischen, wie wichtig das für die Work-Life-Balance ist.“
Heimweh
Tausende Kilometer von der Heimat ist auch Kashmira nicht vor Heimweh gefeit. Trost spendet ihr indisches Essen. Das vor Kurzem in Hamburg eröffnete Restaurant Saravana Bhavan wurde schnell zu einem ihrer Favoriten. Doch vor allem während der indischen Feiertage vermisst sie ihre alte Heimat. „Als mein Mann merkte, wie sehr mir Diwali fehlt, fand er eine Diwali-Feier in Hamburg, die er als Überraschung mit mir besuchte. Dabei lernten wir viele neue Freunde kennen. Es war toll, so in Deutschland wieder Anschluss an meine Kultur zu finden.“Tipps für den perfekten Urlaub
Kashmira hat inzwischen ganz Deutschland bereist. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr dabei ein zweiwöchiger Urlaub im badischen Ort Buchen, wo sie eine Intensiv-Fahrschule absolvierte, um ihren Führerschein zu erlangen. „Ich ging auf lange Spaziergänge in den Wäldern und übte mein Hochdeutsch mit dem Paar, das mir das Fahren beibrachte.“
In Hamburg ist ihr Deutsch unterdessen so perfekt geworden, wie das jedes gebürtigen Norddeutschen. Sie liebt die Schnäppchen auf dem Hamburger Fischmarkt. „Ich habe vor Kurzem herausgefunden, dass man den Fisch viel billiger bekommt, wenn man kurz vor Ende des Markts einkauft,“ erwähnt sie als Zeichen, dass sie inzwischen zur echten Hamburgerin geworden ist.
Neben dem Minztee aus den Pflanzen ihrer Mutter auf ihrem Balkon hat Kashmira ein weiteres Lieblingsgetränk: Auf ihrer ersten Reise nach Dresden lernte sie Federweißer kennen, einen saisonalen vergorenen Traubenmost, der jedes Jahr nur für eine kurze Zeit erhältlich ist. Minztee und Federweißer - das ist für Kashmira die perfekte Balance zwischen Indien und Deutschland.
Schnellfragerunde mit Kashmira
Was ist dein deutsches Lieblingswort?
Mein deutsches Lieblingswort ist Fernweh. Es beschreibt die fast schon schmerzhafte Sehnsucht nach Reisen und fernen Orten.
Wie würdest du Deutschland mit drei Worten beschrieben?
Vielfältig, geordnet und gut vernetzt.
Welche drei Tipps würdest du für einen ersten Besuch in Deutschland geben?
- Erkunde die Stadt mit dem großartigen öffentlichen Nahverkehr.
- An einem sonnigen Tag, gehe Spazieren und genieße das gute Wetter oder miete ein Fahrrad.
- Wenn du im Winter in Deutschland bist, besuche einen Weihnachtsmarkt oder die Sauna. Das ist eine tolle Möglichkeit, um zu entspannen und Energie zu tanken.
Welche kulturelle Eigenheit findest du nach all den Jahren noch immer sonderbar?
Nur Bares ist Wahres. Vielerorts wird nur Bargeld angenommen, stelle also sicher, dass du genug Reisegeld dabei hast.
ÜBER DEN AUTOR
Prathap Nair ist freiberuflicher Autor in Düsseldorf, Deutschland.