A) Unser Thema für die
bangaloREsidency
Wir trafen in Bangalore ein mit diversen Ideen für künstlerische Forschung zu “Magie” – sowohl als uralte kulturelle Praxis & wechselseitige Projektionsfläche zwischen Indien & “dem Westen”, wie auch als Tool, um den sich rapide verändernden urbanen Charakter der Stadt zu untersuchen.
© matthaei&pfeifer
Einer der populärsten indischen Bühnenmagier des 20. Jahrhunderts war PC Sorcar: Durch seine Shows, die weltweit tourten, wurde die Gleichsetzung von “Magie = indisch” tief in der westlichen Popkultur verankert (eine Entwicklung, die im Orientalismus des 19. Jahrhundert ihren Anfang genommen hatte).
Als cleverer Showprofi erkannte PC Sorcar die Chance des noch neuen Mediums Fernsehen & nutzte seinen ersten Auftritt in der britischen BBC zu einem fulminanten Durchbruch: Seine live übertragene Show wurde “unerwartet” wegen Stromausfall abgebrochen, gerade als er die Lady durchsägt hatte – unter der darauf einsetzenden Lawine von Anrufen besorgter & aufgebrachter Zuschauer*innen brach das Telefonsystem der BBC zusammen. Nach diesem Abend war PC Sorcar auch im Westen auf einen Schlag quasi über Nacht berühmt.
Dementsprechend begeistert waren wir, als wir uns schon kurz nach unserer Ankunft in Bangalore auf der Bühne eines Magiers wiederfanden - mit einem der Enkel des großen Meisters! Das Setting entpuppte sich als eigenartiges Reenactment der berühmten Shows seines Großvaters – wobei nicht nur die Kulissen & Requisiten unterm grellen Licht, sondern auch einige der routinierten Mitarbeiter*innen bei näherem Hinschauen aussahen, als ob auch sie schon mit dem früheren Meister weit gereist wären… Die wild zusammengewürfelte Playlist plärrte knapp unterhalb der Schmerzgrenze aus den Boxen in den halbleeren Zuschauerraum – & wir schauten als willige Versuchskaninchen in die Gesichter der etwas verwirrten Kinder & ihrer nostalgischen Großeltern.
Doch ja: Auch PC Sorcar Junior konnte ALLE unsere Gedanken lesen! Das "Water of India" hörte nie auf zu fließen und die Lady wurde tatsächlich halbiert (oder in viele weitere Stücke geschnitten).
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Während unserer
bangaloREsidency recherchierten und realisierten wir eine Reihe von ortsbezogenen Interventionen zu urbanen magischen Praktiken; wir führten Interviews mit Bangalorians vielfältiger sozialer Hintergründe, die individuellen und kollektiven Perspektiven auf die Performanz des urbanen Alltags ihre Stimmen verliehen. "Magie" verstanden als Set an Fähigkeiten & Praktiken, die Wirklichkeiten schaffen & scheinbar Unmögliches realisieren. Diese Beschäftigung führten wir parallel mit den Studierenden von Srishti
forschend & performativ fort.
B) Die Zusammenarbeit mit unserem Host, der Srishti School of Art Design & Technology
Als landesweit anerkannte Ausbildungsstätte zieht Srishti gut ausgebildete und engagierte Studierende an (die meisten von ihnen aus ökonomisch besser gestellten Familien). Während des “Interim”-Programms, das im Winter stattfindet, können die Student*innen vierwöchige fächerübergreifende Workshops, sog. "Studios" besuchen, geleitet von indischen & internationalen Künstler*innen, die hierfür eingeladen werden.
Wir haben also mit einem breiten Spektrum von Studierenden gearbeitet, sowohl aus diversen indischen Regionen, wie auch aus unterschiedlichsten Fächerrichtungen (Interface, Grafik, Textil etc.). Dadurch wurde auch unser eigenes Verständnis von diversen gesellschaftlichen Themen & Fragen des Alltags noch mal erweitert, wie auch durch die Begegnungen mit anderen Lehrenden, viele von ihnen Künstler*innen aus Bangalore.
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Meena, die Leiterin des Srishti-Interimsprogramms, brachte uns mit Paul in Kontakt - ein unglaublich kompetenter, kreativer, sachkundiger, unkomplizierter Forscher, Künstler & Experte auf so vielen Gebieten, der uns neben seiner Forschung für seine PhD Thesis bei der Durchführung unseres Workshopprogramms unterstützte & unsere gesamte Zeit in Bangalore um so vieles bereicherte.
Nachdem wir mit den Studierenden etablieren konnten, daß wir keine Erfüllung von klar vorgegebenen Aufgaben erwarteten, sondern sie zu gemeinsamer Forschung an den von uns vorbereiteten Themen einluden, waren sie sehr motiviert & wir hatten eine ebenso spielerische wie produktive Zusammenarbeit zu “magischen” Praktiken im öffentlichen Raum.
Am Ende des Interim-Programms stand eine große Gruppenausstellung aller Workshops im “Metro Art Center”, einem Open-Air-Kulturort unter der Hochbahn im Zentrum der Stadt. Sehr quirlig & nicht die übliche White Box.
C) Ein paar Gedanken zur Residency mit Srishti
Als Künstlerduo haben wir in vielen Projekten mit Kollegen und Menschen aus allen Lebensbereichen in diversen Städten & Ländern gearbeitet. Die Residency bei Srishti war im Vergleich dazu etwas Besonderes: Während der ersten Hälfte hatten wir einige Zeit für uns allein, was gut war. So hatten wir Gelegenheit, uns mit den anderen Künstler*innen der
bangaloREsidency auszutauschen und unser eigenes künstlerisches Projekt zu starten. Was naturgemäß etwas an Zeit braucht, sich zu orientieren & mit Menschen in Kontakt zu treten. Die zweite Hälfte gestaltete sich völlig anders: Eine sehr intensive Zeit mit Vollzeitunterricht, täglichen Workshop-Sessions & den Vorbereitungen für eine Gruppenausstellung, die unsere gesamte Zeit in Anspruch nahm.
Im Nachhinein überlegten wir, ob wir nicht auch weniger Zeit mit den Studierenden hätten verbringen können. Hinzu kam, dass Srishti öfters kurzfristig mit ziemlich direkten Forderungen & Erwartungen für ihren eigenen Output an uns herantrat – was manchmal irritierte, da wir unser professionelles Engagement auf freiwilliger Basis in ihrem Betrieb zur Verfügung stellten.
Unsere Einstellung war jedoch auch in Stresssituationen, dass wir vor allem die Verantwortung übernommen hatten, einen Workshop für die Studierenden durchzuführen, der für sie in einem offenen, inspirierenden Umfeld sinnvoll und bereichernd wäre und dafür bedurfte es eben dieser zusätzlichen Arbeit.
D) Ein paar praktische Tipps
Unterbringung: Wir waren von Srishti in einer Wohnung in Malleshwaram untergebracht, was für uns toll war. Malleshwaram ist einer der “älteren” Stadtteile, eher ruhig, aber immer noch mit zahlreichen Restaurants und Geschäften ausgestattet, ursprünglich von kleineren Wohnhäusern geprägt, die inzwischen häufig mehrstöckigen Appartementhäusern Platz machen mussten. Es gibt von Srishti auch noch Wohnungen näher am Campus – damit spart man sich dorthin mindestens 1 Stunde Fahrzeit, ist ebenso weit von der Stadt entfernt, bzw. deutlich länger noch, je nachdem, wohin man möchte.
Die Wohnung hat 3 kleine Schlafzimmer, Gemeinschaftsküche und Wohnzimmer; wir teilten sie uns mit Catarina aus Portugal und Laura aus UK, die ebenfalls Studios bei Srishti leiteten. Dazu kommt ein schöner Balkon, auf dem man den Affen in den Bäumen zuschauen kann oder einen der religiösen Umzüge beobachten, wenn sie wie eine Mini-Love-Parade durch die Straße ziehen.
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Fortbewegung & Forschung in der Stadt
Um ehrlich zu sein: Ja, wir haben den Verkehr unterschätzt! & wie viel Zeit man braucht, um von einem Ort zum anderen zu gelangen... Die Stadt frißt einem manchmal hinterrücks die Tage auf, bevor man es richtig gemerkt hat. Auch dies eines der magischen Phänomene: Ganze Tage verschwinden zwischen Metro, Bussen, OLAs (Rikscha-Mopeds). Egal, in welchem Viertel man wohnt & auch wenn Bangalore im Vergleich zu Neu-Delhi oder Mumbai noch als ruhig gilt: Der Verkehr ist eine Macht, mit der man lernen muß zu rechnen. Manchmal brauchten wir 1,5 Stunden, um zu Srishti zu gelangen, dasselbe retour. Und für einen Termin am Goethe-Institut verließen wir 2 Stunden vorher das Haus, um halbwegs pünktlich anzukommen. Natürlich gewöhnt man sich daran, jede Fahrt selbst ist immer voller eigener Eindrücke & Bilder & wir genossen unsere Tage. Einfacher Tipp: Mehr Zeit einplanen, um andere Stadtviertel & Künstlerszenen zu erkunden.
Umso größer unser Respekt & unsere Bewunderung für all die multidisziplinären Macher*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen, Forscher*innen und Familienorganisator*innen, die wir kennenlernen durften! Während wir es manchmal nach dem Unterrichten gerade noch geschafft haben, 1 Interview am Tag zu führen oder 1 Show zu sehen & es schon längst aufgegeben hatten, im Stop & Go-Verkehr Mails schreiben zu wollen, fragten wir uns: Wann & wo finden sie die Zeit & den Freiraum, um kreativ zu werden, Diskurse auf brilliante Weise zu verknüpfen & noch überraschende Ideen für den nächsten Tag zu entwickeln? Wohl ein weiterer Trick, den wir noch nicht herausgefunden haben.
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E) Kudos!
Wir sind sehr dankbar und glücklich, derartig viele inspirierende Menschen getroffen zu haben, ihre Veranstaltungen, Shows und Diskussionen besuchen zu können; sowohl die indischen und internationalen Künstlerkolleg*innen bei Srishti wie auch die anderen Künstler*innen der
bangaloREsidency & deren Host-Institutionen. Viele künstlerische Arbeiten, die wir in Bangalore sehen konnten, hatten eine starke politische Ausrichtung & die Reise zur Kochi-Biennale am Ende der
bangaloREsidency war sicherlich ein Höhepunkt und bot uns allen noch mal Gelegenheit, tiefer in aktuelle künstlerische Praktiken und Diskurse einzutauchen.
Nicht zuletzt gilt unser besonderer Dank dem gesamten Goethe-Team – Max, Maureen, Nandita & Claus, sowie allen Mitarbeiter*innen. Ihr unermüdliches & liebevolles Engagement, die sachkundige Vorbereitung & Betreuung während der Zeit in Bangalore waren wunderbar & unglaublich hilfreich, um uns gleich von Anbeginn an unterstützt & begleitet zu fühlen. Ohne euch wäre diese Zeit nicht so inspirierend & produktiv gewesen. Großen Dank dafür!
- matthaei&pfeifer
URBAN MAGIC
bangaloREsidency 2018