Bestandserhalt
Bibliothekar auf Dienstreisen in Ostasien
Gefördert vom Goethe-Institut finden seit 2008 zunächst in China, dann auch in anderen Ländern Ostasiens verschiedene Qualifizierungsprogramme zur Erhaltung von Kulturerbe und Restaurierung von Druckschriften statt, bei denen deutsche Experten und Fachleute aus den ostasiatischen Ländern zusammentreffen. Reinhard Feldmann von der Universitäts- und Landesbibliothek Münster war von Anfang an dabei und berichtet in einer Reportage über seine Erfahrungen vor Ort.
Es mag auf den ersten Blick seltsam anmuten, dass ein deutscher Bibliothekar und Bestandserhaltungsexperte nach China und in andere ostasiatische Länder reist, um Vorträge zur Erhaltung von Dokumenten auf Papier (vulgo „Handschriften“ oder „Bücher“ genannt) zu halten und Schulungen zu diesen Themen zu organisieren.
Schließlich weist die Erfindung und Verbreitung des Papiers untrüglich nach Ostasien: Dort wird es in China im Jahre 105 nach Christus vom Hofeunuchen Tsai-Lun erfunden. Drei Jahrhunderte später finden wir Papier im kulturell hochentwickelten Korea, um 600 ist es erstmals in Japan belegt. Danach findet es seinen Weg über die innerasiatischen und arabischen Handelswege zunächst in den arabisch-islamischen Kulturraum an die Universitäten von Bagdad, Damaskus und Kairo, bevor es über Spanien, Katalonien und Norditalien erstmals 1390 nach Deutschland kommt (Papiermühle Stromer in Nürnberg).
Reisen bildet
Soll man also als Deutscher „Eulen nach Athen tragen“ bzw. „Papier nach China tragen“? Es gibt gute Gründe, dies nicht zu tun und es gibt noch mehr gute Gründe, dies zu tun. Zum einen kann es nie schaden, andere Sichten auf Dinge vorzunehmen, Gemeinsames und Trennendes zu erkennen und gegebenenfalls zu überwinden. Vor allem aber können wir mittlerweile auch von China lernen, denn es wird (im Gegensatz zu Deutschland) sehr deutlich gesehen, dass Bildung eines der wichtigen Momente in der Entwicklung einer Gesellschaft ist und dass Bibliotheken darin eine zentrale Rolle spielen. Entsprechend gut sind auch viele Einrichtungen dotiert und es werden mit erstaunlicher Schnelle neue Bildungseinrichtungen und Bibliotheken ausgebaut – wissenschaftliche wie öffentliche. Für den westlichen Blick interessant ist zudem, dass von ideologischer Einflussnahme (jedenfalls nach außen hin) nichts mehr zu spüren ist. Innerhalb kürzester Zeit wurde eine bibliothekarische Infrastruktur geschaffen, die den Vergleich mit westlichen Einrichtungen nicht zu scheuen braucht - im Gegenteil.
Guangzhou (Kanton) – Tor zum Westen
Das Verhältnis Chinas zum Westen und umgekehrt war nicht immer von Zuneigung geprägt. Gerade über die große Hafenstadt Kanton erfolgte im 19. Jahrhundert mit den Opiumkriegen die gewaltsame Öffnung des chinesischen Marktes für die aufstrebenden europäischen Mächte. Doch besinnt man sich in jüngerer Zeit in China auch auf die positiven Seiten des damaligen „Austausches“, entstanden in jener Zeit auch zahlreiche westlich geprägte Ausbildungsstätten und Bibliotheken.Die hier vorzustellenden Projekte begannen im Jahre 2008 an der Sun Yat-Sen University Guangzhou (dem ehemaligen Kanton) mit einem zweitägigen Workshop "Bestandserhaltung und Digitalisierung", eher theoretisch angelegt als Einstieg in das Thema. Es folgten dann in den nächsten Jahren eine Serie von Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Bestandserhaltung mit dem Schwerpunkt auf der Einzelrestaurierung, aber auch auf den Rahmenbedingungen (zum Beispiel Klima und Lagerung oder boxing). Dabei standen folgende Themen auf der Agenda: westliche Papierrestaurierungsmethoden, Reparaturtechniken, Restaurierung von Gewebebänden, Halblederbänden, Grundlagen der Einbandtechnik und Lederbearbeitung, Bearbeitung und Restaurierung von Heftung, Vorsatz und Kapital. All dies bezog sich natürlich auf „western books“, wie die Abteilung für historische Bestände nichtchinesischer Provenienz dort heißt, vorwiegend also Literatur in englischer, deutscher und französischer Sprache vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Und diese Tradition des Austausches über Seminare, Schulen, Bildungsstätten und Bibliotheken wird als wichtig erkannt und geschätzt – was vor allen Dingen die materiellen Hinterlassenschaften in den Bibliotheken angeht.
Für die chinesischen Handschriften und Drucke ist gut gesorgt, denn die Bibliothek besitzt eine modern ausgestattete Restaurierungswerkstatt und Personal mit einschlägigen Erfahrungen im Umgang mit chinesischen Materialien. Große Unsicherheit bestand bis dato in der Behandlung der europäischen Drucke. Gerade für die europäischen Einbände gab es in China bislang kein kundiges Personal. Die Sammlung ist zwar heute gut untergebracht und klimatisch optimal gelagert,war jedoch, vermutlich durch unsachgemäße Lagerung in früheren Zeiten, stark in Mitleidenschaft gezogen: Das Papier teilweise brüchig, viele Drucke mit Fraßspuren von Insekten oder früherem Schimmelbefall. Abhilfe tat also dringend Not.
Hinzu kam der Wunsch der dynamischen Bibliotheksleitung, an der Sun Yat-Sen Universität (einer der bedeutendsten Universitäten des Landes und zudem im ehrgeizigen und ökonomisch prosperierenden Süden Chinas gelegen) die örtliche Restaurierungswerkstatt zu einem Kompetenzzentrum der Region Südchina auszubauen. Dies konnte geschehen, ja mehr noch: Seit dem Jahr 2010 ist die Restaurierungswerkstatt der Sun Yat-Sen Universität zum „National Conservation Centre“ durch die Nationalbibliothek Chinas akkreditiert und erhält den Auftrag, als einziges Bestandserhaltungszentrum in China, landesweite Schulungen zur Erhaltung westlichen Schrifttums zu organisieren. Daneben betreibt man natürlich weiterhin das Geschäft der Restaurierung chinesischen Materials. Aufgrund der unterschiedlichen Entwicklung der Druckprozesse in China und Deutschland stellen sich für das chinesische Material auch gewisse Vorteile beim Restaurieren ein. Da in China die Blätter in der Regel einseitig bedruckt werden, kann im Falle einer Schädigung sehr viel häufiger mit rückseitigen Kaschierungen restauriert werden.
Ostasien ist vielfältig
Ebenso wenig wie man kulturell und historisch von „Europa“ sprechen kann, kann man von „Ostasien“ sprechen, auch wenn wir manchmal geneigt sind, alle Länder dieser Region in einen Topf zu werfen. Doch alle haben ihre eigenen Kulturen, Gebräuche und Überlieferungen. Daher sollen nach der ausführlichen Schilderung der Arbeiten in Guangzhou die anderen Länder zumindest kurz in den Blick gerückt werden.Von der „Lösung der Lamafrage“ zur stabilsten Demokratie der Region: Die Mongolei im Wandel
Die alte Kulturregion Mongolei hat eine schwere Geschichte hinter sich: Bis 1911 stand das Land unter der Mandschu-Herrschaft. 1911 erfolgte nach dem Zusammenbruch dieser Herrschaft eine erste Unabhängigkeitserklärung, unterstützt von Russland, welches damit seinen Einfluss in der Region stärken wollte. Nach dem Zusammenbruch Russlands 1917 nutzt China das Machtvakuum und besetzt die Mongolei. Die Chinesen ihrerseits werden von dem deutschbaltischen, ehemaligen zaristischen Offizier Roman von Ungern-Sternberg vertrieben, dieser jedoch wenig später von den kommunistischen Revolutionären exekutiert. 1921 erfolgt dann die erneute Unabhängigkeitserklärung, vor allem aber die Stabilisierung der Revolutionsstrukturen nach sowjetischem Vorbild. Nach dem Tode des Bogd Khan, des geistlichen Oberhauptes der Mongolei im Jahre 1924 erfolgt dann die Proklamation der Volksrepublik (wiederum in enger Anbindung an die Sowjetunion). Diese sollte bis 1990 Bestand haben.Doch noch halten sich viele alte Strukturen, vor allem das Mönchtum ist noch eine starke, wenn nicht gar die stärkste Kraft in diesem Land. In den Jahren ab 1936 verfolgt der sowjetische Diktator Stalin dann die „Lösung der Lamafrage“ – eine zynische Umschreibung für die Liquidation von mehreren zehntausend Mönchen und der Aufhebung fast aller Klöster. Neben die physische Vernichtung der Mönche traten die systematische Zerstörung von Klostergut (vor allem der liturgischen Geräte) und der Bibliotheken, denn in diesen spiegelten sich ja die verhassten und „reaktionären“ Gedanken der als Theokratie empfundenen Mönchskultur. Ein immenser Verlust somit, eine intellektuelle Letalität. In Gesprächen wurde mir häufig geschildert, wie mühsam man nach 1990 seine eigene Schriftkultur wieder erlernen musste, z.B. durch aufwendige Studien in Indien oder in Tibet. Doch es gab auch zahlreiche Bücher (Bibliotheken ist sicher zu viel gesagt), die erhalten blieben bzw. gerettet werden konnten, durch Verstecken, durch Verbringen in abgelegene Gehöfte oder Ruinen, sogar durch Vergraben (wobei die Kenntnisse über die Orte der Verstecke vom Vater auf den Sohn tradiert wurden).
Nach dem ersten Einführungsseminar konnten mehrere spezialisierte Seminare in Ulaanbaatar und in den Klöstern des Landes durchgeführt werden. Hierzu entstanden auch zahlreiche Anleitungen und Empfehlungen für die künftigen Betreuer vor Ort. Auch konnte ein Gastaufenthalt des Lamas und Bibliothekars am Gandankloster in Ulaanbaatar in deutschen Restaurierungswerkstätten vermittelt werden.
Kulturell geeint – politisch getrennt: Die beiden koreanischen Staaten
Auf einer Informationsreise durch Südkorea, bei der ich Bibliotheken, Restaurierungswerkstätten und Ausbildungseinrichtungen für Bestandserhaltung besuchte, wurde mir auch der Wunsch übermittelt, Seminare zur Bestandserhaltung an der Großen Studienhalle des Volkes in Pyongyang (das entspricht in etwa der Nationalbibliothek) abzuhalten und die Kollegen dort zu beraten, und insbesondere neue Technologien, die man sich von Deutschland versprach, zu erläutern. Hierbei war vor allem an optoelektronische Messgeräte, aber auch an Massenentsäuerung oder an Klimatisierungstechnik gedacht. Aber auch der vage Wunsch, die Restaurierungswerkstatt auszubauen und zu modernisieren, stand im Raum.
Doch all dies war zunächst leichter gesagt als getan. Zwar liegt Seoul nur etwa 150 Kilometer von Pyongyang entfernt, doch die Grenze zwischen beiden Staaten ist seit dem Ende des Bürgerkrieges im Jahre 1953 (der vom Norden bis heute als „Sieg“ gefeiert wird) undurchlässiger als es selbst die Berliner Mauer oder der „antifaschistische Schutzwall“ 1961-1989 war. Dennoch wurden insgesamt drei Besuche und Seminare durch das engagierte Wirken der Abteilung Bibliothek und Information des Goethe Instituts Ostasien in Seoul möglich gemacht. Dass dies mit viel Aufwand und mancherlei Rückschlagen verbunden war, wird nicht verwundern. Die einzig mögliche An- und Abreise mit dem Flugzeug via Peking war da noch das Geringste. Der nicht vorhandene Telefon- oder Internetzugang in Nordkorea wog da schon schwerer.
Doch „vor Ort“, in der Bibliothek selbst war die Atmosphäre gut: Freundliche Kolleginnen und Kollegen, manchmal skeptische Kader, erstaunlich gut Informierte (später merkte ich, dass man heimlich ins Netz kam oder als Kader Zugriff hatte). Doch waren auch die Defizite zu bemerken, vor allem aufgrund der Abgeschnittenheit von der übrigen Welt. Dennoch konnten interessante Gespräche geführt und eine theoretische und praktische Erstschulung in Bestandserhaltung durchgeführt werden. Die geplante Modernisierung bzw. Neueinrichtung der Restaurierungswerkstatt der Großen Studienhalle des Volkes in Pyongyang stagniert jedoch leider im Moment wegen der politischen Großwetterlage und wegen eines Exportstops von Industriewaren nach Nordkorea - leider ein unschönes Beispiel dafür, wie politische Verhältnisse die praktische Arbeit von Bibliothekaren und Restauratoren massiv beeinflussen können.
Verständigungsprobleme und wie man sie löst
Der Verfasser fand es immer schon faszinierend, wie Dolmetscher auf Konferenzen mit Begriffen jonglieren. Allerdings stießen diese oftmals auch an Grenzen: Perfekt im allgemeinen Sprachgebrauch daherkommend, aber mitunter sehr unsicher in der Fachterminologie. Daher wurden die Vorträge in der Regel vorher eingeschickt und die Präsentationen bilingual aufbereitet. Dennoch blieben (vor allem, wenn es zeitlich knapp wurde) manche Wünsche offen. Aber wer weiß auch schon, was „Massenentsäuerung im Lösemitteltränkverfahren“ auf mongolisch, „Holzdeckeleinband“ auf chinesisch oder „Albertina-Kompresse“ auf koreanisch bedeuten?
Es erschien daher naheliegend und konsequent, die während der Seminare auftauchenden Verständigungsschwierigkeiten zum Anlass zu nehmen, das gemeinsam erarbeitete und nicht selten mit Hilfe von Abbildungen, Zeichnungen, praktischen Demonstrationen oder Umschreibungen gewonnene Vokabular nach und nach aufzuschreiben, zusammenzufassen und zu strukturieren. Dies geschah zunächst durch die deutschen und chinesischen Restauratorinnen und Restauratoren in den Sprachen dieser beiden alten Kulturnationen selbst, erweitert um die „Lingua franca“ des 20. und 21. Jahrhunderts. Später hinzu kamen die koreanische, mongolische und japanische Sprache. Zunächst in kleiner Auflage als Druckversion, existiert mittlerweile eine zweite Auflage als Druckversion mit allen sechs Sprachen, außerdem mehrere elektronische Versionen.
Glossar Papierrestaurierung
Das Glossar Papierrestaurierung enthält über 500 Fachbegriffe in englischer, deutscher, chinesischer, koreanischer, mongolischer und japanischer Sprache. Diese beziehen sich auf drei Hauptaspekte: Zum einen den Aufbau des Buches, dann das Material und die Werkzeuge zum Restaurieren, schließlich Buchbinderei und Restaurierung. Natürlich fehlen einzelne Begriffe in einzelnen Sprachen, nämlich dann, wenn keine Übersetzung bekannt ist. Eine Suche ist sowohl systematisch nach Fachgruppen als auch alphabetisch möglich. Der Glossar ist als iBook, als EPUB und als PDF zum Download auf den Seiten des Goethe-Instituts Hongkong verfügbar.