Interviews mit Frauen aus der Gamingindustrie
Interview mit CEO Cornelia Geppert: "Ich bin wohl unter Umständen die erste offizielle Game Designerin Deutschlands"
„GO GO GO Girls!“: Das ist die Botschaft von Deutschlands erster Spielentwicklerin an Mädchen, die sich in der Gaming-Branche durchsetzen wollen. Cornelia Geppert ist Mitbegründerin und kreativer Kopf des Videospielunternehmens Jo-Mei (gegründet 2009).
Ihre Karriere startete als Comiczeichnerin bei einem der größten deutschen Comicunternehmen Mosaik, später (2003) bekam sie ein Stipendium im Bereich Game Design und wurde damit die erste Studentin an der Games Academy Berlin. Internationalen Ruhm erlangte sie mit der Veröffentlichung des Spiels Sea of Solitude (2019), einem Videospiel, das in Zusammenarbeit mit Electronic Arts bzw. Quantic Dream entstand und das aufgrund seiner Thematisierung der menschlichen Gefühle von der Zielgruppe sehr geschätzt wurde.
Drehbuch und Design des Spiels stammen von Geppert, weshalb sie von TED eingeladen wurde, eine Rede über die ‚message‘ des Spiels zu halten; ein TED-Talk, der 2,3 Millionen Mal aufgerufen wurde.
Geppert beweist, dass beruflicher Erfolg nicht vom Geschlecht bestimmt wird, sondern von Talent, Fleiß und Selbstbewusstsein.
Liebe Frau Geppert, können Sie uns kurz etwas über Sie erzählen?
Gerne! Mein Name ist Cornelia Geppert, aber ich werde meistens einfach mit Connie angesprochen. Ich bin ein Küstenkind, d.h. An der Ostseeküste geboren und in einer Fischerfamilie aufgewachsen. Mein Opa und auch mein Vater waren Fischer. Das heißt, ich hatte das Glück in meiner Kindheit und Jugend jeden Tag Strände, Boote, Möwen und das Meer direkt vor der Haustür zu haben.
Mit 17 Jahren bin ich dann nach Berlin gezogen, um als Comic Artist für das größte deutsche Comic, Mosaik, zu zeichnen. Dieses hatte zu DDR Zeiten eine monatliche Auflage von über 1 Million und die derzeitige Auflagenzahl toppt noch heute Spiderman und andere große Comics in Deutschland. Ihr hört es vielleicht schon raus, es war und ist für mich immer noch die größte Ehre, dass mein Einstieg in die Arbeitswelt so beginnen durfte!
Weil ich so ein umtriebiger Mensch bin und gerne Neues ausprobiere, bin ich ein paar Jahre später in die Animation Industrie gewechselt und habe Storyboards und Charaktere designt. Dann hat mir ein Freund von einer neuartigen Schule berichtet die Gamedesign Studiengänge anbot und da er wusste, dass ich seit Kindheitstagen ein riesiger Videospiele Fan war, hat er mir nahegelegt mich doch einfach mal für ein Stipendium dort zu bewerben. Gesagt, getan, erfolgreich angenommen! Ich war dort tatsächlich die erste Frau in der Schule und 22 zu dem Zeitpunkt. Und da diese Schule die erste in Deutschland und eventuell sogar Europa war, die Game Designer ausbildet, bin ich wohl unter Umständen die erste offizielle Game Designerin Deutschlands.
Danach dauerte es nicht allzu lang, bis ich eine eigene Firma gründen wollte, da ich so viele eigene Spielideen hatte. Mit 28, im Jahr 2009, gründete ich dann mit meinem besten Freund unser Studio namens Jo-Mei. Wir entwickelten viele kleinere und größere Spiele für Kunden und Publisher, um uns erstmal einen guten finanziellen Puffer zuzulegen. Und 2016 konnten wir endlich unser bis dato größtes und persönlichstes Spiele Projekt starten, Sea of Solitude. Dieses erschien 2019 und 2021 neu aufgelegt und schaffte es, uns weltweit bekannt zu machen und vollends in der internationalen Spielwelt zu etablieren. Wir hatten nicht nur Glück, die Publisher-Riesen Electronic Arts und später für den Director's Cut, Quantic Dream, zu gewinnen; sondern die internationale Presse berichtete viel über Sea of Solitude und ich wurde sogar eingeladen, einen TED Talk über das Spiel zu führen.
Jetzt sitzen wir bereits seit einiger Zeit an unserem neuen Projekt und ich kann es kaum erwarten, endlich mehr darüber erzählen zu können!
Wieso haben Sie sich für die Gaming-Industrie entschieden?
Ich war seit Kindheitstagen ein riesiger Spielefan. Ich weiß noch, kurz nach dem Mauerfall (ich wuchs in der DDR auf), kaufte mein Vater für meine Schwester und mich eine Atari Konsole, eine Nintendo Konsole und dann später für uns beide jeweils einen Computer. Ich war damals 8 oder 9 Jahre, als ich mein erstes Spiel auf der Atari Konsole spielte. Fische angeln!
Das war der erste zarte Start für meine große Liebe zu Games. Endgültig entfacht wurde es aber während meiner Zeit als Comic Artist für das Mosaik als das Videospiel Shenmue erschien, was quasi eine ganze Stadt in Japan der 80er Jahre nach baute und man dort durch die Straßen ziehen musste um die Mörder seines toten Vaters zu finden. Das hat mich damals komplett weggepustet und ich fing an davon zu träumen, selbst Spiele zu entwickeln. Leider war es damals vergleichbar damit, Astronaut oder Ninja (Zwei echt komische Beispiele, aber ihr versteht hoffentlich, was ich meine!) werden zu wollen; es schien absolut unmöglich. Man wusste nicht mal, wie man das überhaupt angehen sollte.
Hatten Sie zu Beginn Ihrer Karriere Mentorinnen oder Frauen in der Branche, die Sie inspiriert haben?
In der Comic-Branche, in der ich meine Karriere mit 17 startete, gab es einen absoluten deutschen Superstar namens Lona Rietschel. Sie hatte die Charaktere des Mosaik Comics designt und leitete quasi das Team. Eine absolute Powerfrau und Inspiration.
In der Spielebranche gab es das für mich lange nicht, bis ich mit Anfang 30 von Amy Hennig hörte, die als Video Game Director eine der absolut herausragendsten, kreativsten und erfolgreichsten Persönlichkeiten der weltweiten Spielebranche ist, unabhängig vom Geschlecht.
Ich muss hierzu auch noch einmal sagen, dass es mir immer etwas schwer fällt, adäquat zu antworten, wenn ich in Interviews gefragt werde, ob ich weibliche Vorbilder habe. Für mich und viele andere kreative Menschen spielt das Geschlecht keine Rolle, wenn es um Vorbilder geht. Inspiration und Projektion sind für mich persönlich und aus der kreativen Warte aus gesehen, absolut geschlechtsneutral.
Seit der Pandemie sind wir eine Remote Firma. In 2021 haben wir durch die Pandemie bedingt unsere Studioräume aufgegeben und wir merkten bald, dass Remote Arbeiten ein absoluter Luxus ist und uns gleichzeitig auch noch effizienter macht. So konnte ich dieses Jahr zum Beispiel mehrere Monate in einem anderen Land leben und trotzdem wie gehabt unseren Arbeitsalltag gestalten. Das war vor der Pandemie für mich undenkbar, um ehrlich zu sein. Arbeiten, ohne morgens zur Arbeit und ins Büro fahren zu müssen? Dieser Gedanke kam nicht mal auf! Es fühlt sich immer noch etwas wie Luxus an, das Remote Arbeiten, obwohl ich mittlerweile so viele Game Studios kenne, die das sogar schon vor der Pandemie so machten.
Also, zu meinem Arbeitstag; Ich wache morgens auf, setze Kaffee auf, checke meine E-Mails, schmeiße einen freundliches “Guten Morgen!” in unseren Arbeitschat und dann startet der Arbeitstag wenig später offiziell mit unserem täglichen Meeting, via Chat oder Video Call. Das ist ein Mix aus allgemeinen Gesprächen über die neuesten Spiele, die wir zocken oder andere private Dinge. Dann startet das Arbeitsmeeting und wir updaten uns über die aktuelle Arbeit, was wir gemacht haben und was wir machen werden. Es werden zukünftige Meetings geplant und relevante Themen behandelt.
Grundsätzlich gliedern sich unsere Spieleentwicklungen in verschiedene Phasen. Am Anfang treffen sich mein Geschäftspartner Boris und ich uns häufig und lange, um uns die ersten Konzepte zu einem neuen Spiel zu überlegen! Das ist natürlich sehr aufregend und wir machen das häufig an schönen Urlaubsorten. Wir liegen also faul am Strand am Mittelmeer rum und brainstormen neue Ideen. Ich denke diese Phase ist die tollste, obwohl andere Phasen der Spieleentwicklung auch großartig sind! Aus diesen kreativen Meetings entstehen dann handfeste Dokumente und erste Konzeptzeichnungen von mir, die das gesamte Spiel und deren Details abreißen.
Mit Diesen starten wir dann in die Vorproduktion. Hier wird das komplette Spiel ausgeblockt. Das bedeutet sehr grob zusammengebaut, sodass man es durchspielen kann und eine erste Idee für den Umfang und das Spielgefühl kriegt. Während dieser Zeit machen wir regelmäßig Meetings, besprechen mit den Mitarbeitern die Ideen, verteilen Aufgaben, schätzen den Arbeitsaufwand ein, zeigen uns gegenseitig unsere Arbeiten und holen Feedback ein.
Ich leite die meisten kreativen Belange wie zum Beispiel die Art, das Schreiben, das Leveldesign und so weiter. Wichtig ist mir immer, dass wenn Mitarbeiter sich in anderen Bereichen als ihren Kernaufgaben einbringen möchten, ihnen das so gut es geht zu ermöglichen. Häufig spüren unsere Mitarbeiter es sehr gut, wenn sie zu anderen Aspekten etwas Positives beitragen können!
Das ist im Allgemeinen für mich auch der herausfordernste Part, einzuschätzen, welche Beiträge und Ideen (sei es von Mitarbeitern oder Publishern) unser Spiel voranbringen und welche eher nicht. Ich bin der sogenannte Vision Keeper. Da heißt, ich habe meistens die Grundidee zum Spiel und habe auch das große Ganze des Projekts im Auge. Ich muss aufpassen, dass diese Vision im Laufe der Produktion nicht verloren geht oder verwaschen wird. Das ist für mich immer mit Abstand die größte Herausforderung, da ja irgendwie jeder immer eine Meinung zu dem Projekt hat und man sich unter Umständen auch selbst in die falsche Richtung beeinflusst, zum Beispiel durch den Konsum anderer Games oder kreativer Dinge im Allgemeinen.
Ehrlich gesagt ist mein “Job” einfach nur ein Traum für mich. Auch heute noch habe ich es fast täglich, dass ich denke, WOW, ich darf tatsächlich jeden Tag kreativ sein, meine eigenen spinnerten Ideen zu voll ausgewachsenen Videospielen umsetzen und kriege sogar Geld dafür. Ich hatte irgendwie unendliches Glück, diesen Luxus jeden Tag leben zu können!
Ach, ich mag so gut wie alle Arten von Spielen. Nur zu hektische Plattformer sind mir nix. Aber zum Beispiel spiele ich gerade sehr viel Voice of Cards, was fast wie ein Mix aus D&D und Kartenspiel daher kommt. Rundenbasierte Kämpfe in einer fantastischen Welt. Außerdem spiele ich gerade noch Ace Attorney Chronicles, wo man einen jungen Anwalt spielt, der mysteriöse Fälle zu lösen hat. Mein absolutes Lieblingsspiel ist aber Elden Ring!
Ich habe schon weit über 300 Stunden darin versenkt. Man streift als Kämpfer durch eine riesige Welt und schlachtet alles ab, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist! Meistens riesige Monster und Drachen. Was ich immer wieder merke ist, dass ich anscheinend sehr Japan-affin bin, ohne es bewusst zu forcieren. Alle meine Lieblingsspiele, durch alle Jahre hinweg, waren meist aus Japan. Alle oben genannten sind es zufällig auch.
Oh, um ein nicht japanisches Spiel zu nennen, Stray hat mir sehr gut gefallen! Es kam auch gerade erst raus. Man spielt eine Katze in einer postapokalyptischen Welt. So gut gemacht und grafisch einfach der Wahnsinn. Oh, eins noch, ich habe mir gerade das neue Monkey Island gekauft. Diese Serie hat damals bei mir als Kind mit die Liebe zu Video Games entfacht und der Original Designer war auch wieder federführend bei dem neuesten Spiel dabei. Ich bin gespannt!
Könnten Sie sich mit irgendeiner weiblichen Figur identifizieren,wenn ja, mit wem?
Hmm, bei "Wolfenstein: The New Colossus" ist der supportive Charakter, die Ehefrau namens Anya. Sie ist 37 und hat mich damals beeindruckt, da sie in meinem Alter war und auch die Persönlichkeit recht ähnlich ist. Sie wurde sehr natürlich und altersentsprechend dargestellt. Im Allgemeinen mag ich es sehr gerne, wenn die Protagonisten im Spiel eher meinem eigenen Alter entsprechen. Gerne mehr davon!
Haben Sie sich jemals in dieser Branche diskriminiert gefühlt?
Nur ein einziges Mal, von dem Chef eines deutschen Spielestudios. Ich kannte ihn damals nicht, war aber selber schon eine bekannte Größe in der Industrie und Chefin meines eigenen Studios. Als wir von einer Branchenparty zur nächsten unterwegs waren, hatte ich ein Taxi bekommen und er nicht, deshalb lud ich ihn ein mit zu kommen. Das nahm er an. Im Taxi war er dann unglaublich arrogant und tat so, als wäre ich ein niederes Wesen, weil ich eine junge Frau war. Am Ziel angekommen, stieg er aus ohne ein Wort und verschwand. Nochmal zur Erinnerung, es war mein Taxi und ich habe ihn für eine Fahrt dazu eingeladen, um ihm zu helfen. Gott sei Dank ist dieser Mann eher eine Ausnahme in Deutschland und ich habe viel Negatives über ihn von anderen Branchen Mitgliedern gehört.
Ansonsten war es für mich meistens sogar ein Vorteil, weiblich zu sein. Dadurch dass es lange recht ungewöhnlich war, als Frau in der Branche zu arbeiten, wurde ich zum Beispiel diesbezüglich bevorzugt interviewt, wenn man auf Conventions oder ähnlichem unterwegs war.
Was möchten Sie einer neuen Generation von Frauen in der Gaming-Branche hinterlassen? Haben Sie eine Botschaft für Mädchen, die eine Karriere in der Gaming-Branche starten möchten?
Ich freue mich sehr auf eure Spiele und hoffe, dass es bald noch viel mehr international erfolgreiche Frauen geführte Videospiele Firmen geben wird! Go Go GO Mädels!