© kocmoc
Revolution in der Steinzeit
Vor 20.000 Jahren sind alle Menschen Jäger und Sammler. Vor 5000 Jahren sind es nur noch zehn Prozent – die anderen sind sesshafte Bauern und Viehzüchter. Wie kommt es zu dieser Veränderung?
Die Landwirtschaft entsteht vor etwa 11.000 Jahren im sogenannten „fruchtbaren Halbmond“ – einem Gebiet, das vom heutigen Irak bis nach Syrien reicht. Auch dort wird es vor etwa 15.000 Jahren langsam wärmer und auf den zuvor kargen Steppen wachsen großkörnige Wildgräser. Die Jäger und Sammler können häufiger an einem Ort bleiben. Doch nicht immer ist das Klima so mild. Die Menschen beginnen, die besten Gräser gezielt auszuwählen und anzubauen, um sich auch in schlechteren Zeiten gut ernähren zu können. Die Bauern wohnen an einem Ort. Sie können Vorräte anlegen und größere Familien ernähren.
Vor ca. 8000 Jahren kommt die Landwirtschaft mit Bauern aus Anatolien nach Europa. Sie treffen dort auf Jäger und Sammler und leben meistens nebeneinander. Vor 4800 Jahren folgt eine zweite Einwanderungswelle: Viehzüchter mit großen Rinderherden kommen aus den Steppen des Ostens. Sie sind den Einheimischen kulturell und technisch weit überlegen.
Es ist genug Platz für alle da!
Vor 8000 Jahren treffen in Europa anatolische Bauern auf einheimische Jäger und Sammler. Die Bauern betreiben Ackerbau, haben aber noch kaum Milchvieh. Die beiden Gruppen leben mindestens 2000 Jahre nebeneinander her. Keiner hat großes Interesse, wie die jeweils anderen zu leben: Die Jäger und Sammler sind sehr gut ernährt und gesund, zum Beispiel haben ihre Zähne keine Karies – sie kennen ja kein Getreide, das beim Kauen zu Zucker wird. Sie bekommen aber nur wenige Kinder, da diese viele Jahre gestillt werden müssen. Um ihr Überleben zu sichern, benötigen die Jäger und Sammler nur etwa zwei bis vier Stunden am Tag. Sie haben also sehr viel „Freizeit“.
Die Bauernfamilien müssen dagegen den ganzen Tag hart arbeiten. Aber sie können viel größere Familien ernähren und bekommen deutlich mehr Kinder. Sie leben in Siedlungen und haben Besitz. Würden sie weniger arbeiten, könnten sie ihre großen Familien nicht ernähren. Gibt es doch einmal Konflikte, weichen die Jäger und Sammler in Gebiete aus, die für die Bauern wertlos sind. Platz gibt es in den großen Wäldern genug.
Die Erfindung der Landwirtschaft
Bereits vor 12.000 bis 14.000 Jahren sammeln Jäger und Sammler in der Gegend des heutigen Israel und Jordanien Wildgetreide. Daraus stellen sie Mehl her. Als es vor 13.000 Jahren zu einem Kälteeinbruch mit wenig Regen kommt, geht das Nahrungsangebot zurück. Vermutlich fangen die Menschen deshalb an, Getreide mit besonders „guten“ Eigenschaften auszuwählen und gezielt anzubauen. Schon vor rund 10.500 Jahren züchten sie Emmer, einen Vorläufer des heutigen Weizens. Emmer hat festsitzende Ähren, so fallen die losen Körner bei der Ernte nicht mehr auf den Boden – eine Eigenschaft, die für den Bauern nützlich ist, für ein Wildgetreide aber unsinnig wäre. Auch Gerste gibt es schon sehr lange: Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena vergleichen zusammen mit einem internationalen Forschungsteam 6000 Jahre alten Gerstensamen aus der Nähe des Toten Meeres mit heutigen lokalen Sorten. Sie stellen genetisch kaum einen Unterschied fest. Die Züchtung des Getreides war also schon in der Steinzeit weitgehend abgeschlossen. © nature genetics, DOI: 101038/ng.311
Ein mehr als 6000 Jahre altes Gerstenkorn – gefunden in einer Höhle in der Nähe des Toten Meeres.
Wandel durch Migration und Ideentransfer
Durch Genanalysen wissen wir heute, dass die Landwirtschaft vor etwa 8000 Jahren durch die Einwanderung anatolischer Bauern nach Europa kommt. Doch wer sind diese Menschen und woher kennen sie die Landwirtschaft? Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler*innen bis zu 15.000 Jahre alte prähistorische Skelette von Einwohnern Anatoliens untersucht. Das Ergebnis: Die anatolischen Bauern sind direkte Nachkommen dortiger Jäger und Sammler – ihr Genpool bleibt über mehr als 7000 Jahre lang stabil. In diesem Fall hat also die lokale Bevölkerung neue Ideen und Kulturtechniken übernommen und ihren Lebensstil geändert.
Neue Umwelt – neues Aussehen
Nach dem Ende der letzten Kaltzeit vor 18.000 Jahren leben in Zentraleuropa für die nächsten Jahrtausende Jäger und Sammler mit dunkler Haut und blauen Augen. Diese Menschen essen Fisch und Fleisch und nehmen dadurch viel Vitamin D auf. Die Bauern, die vor 8000 Jahren aus Anatolien nach Europa einwandern, ernähren sich dagegen vor allem von Pflanzen und haben deshalb einen Mangel an Vitamin D. Der menschliche Körper kann dieses Vitamin auch selber bilden – aber nur, wenn genügend UV-Licht die Haut durchdringt. Das ist in nördlichen Breiten jedoch nur bei heller Haut der Fall. So wird helle Haut bei den Bauern zu einem evolutionären Vorteil. Zumal der starke UV-Schutz dunkler Haut, die sich in Afrika entwickelt hatte, hier nicht mehr so wichtig ist.
Doch warum bleiben die blauen Augen erhalten? Sie haben keinen praktischen Vorteil. Vielleicht handelt es sich um ein frühes Schönheitsideal und Menschen mit blauen Augen sind als Partner beliebter?
Überraschende Folgen der neuen Ernährung
Die Laute der menschlichen Sprache sind äußerst vielfältig. Lange wird angenommen, dass schon bei der Entwicklung des Homo sapiens vor ungefähr 300.000 Jahren alle Laute entstehen. Doch eine neue Studie zeigt, dass sich Laute wie "f" und "v" erst vor relativ kurzer Zeit entwickeln – als Folge einer neuen Zahnstellung! Jäger und Sammler haben aufgrund der harten und zähen Nahrung einen „Kopfbiss“. Dabei stoßen die Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers genau aufeinander. Mit der zunehmenden Verbreitung weicher Nahrung setzt sich dagegen ein leichter „Überbiss“ durch. Die oberen Schneidezähne stehen jetzt leicht über die unteren Zähne hinaus. Erst diese Zahnstellung ermöglicht die Bildung neuer Laute, die heute in der Hälfte aller Sprachen der Welt vorhanden sind. Bei diesen Lauten berühren die oberen Schneidezähne die Unterlippe, wie bei der Aussprache von "f".
© Tímea Bodogán
Die Art der Nahrung beeinflusst die Zahnstellung – und die Sprache (links: Kopfbiss, rechts: Überbiss).
Die Milch macht den Unterschied
Bei Säugetieren können eigentlich nur die Kinder Milch verdauen. Sie spalten den Milchzucker (Laktose) mithilfe des Enzyms Laktase auf und können ihn so verwerten. Im Erwachsenenalter endet die Produktion des Enzyms – der Genuss von Milch führt dann zu ernsthaften Verdauungsproblemen. Vor 4800 Jahren bringen die Einwanderer aus der Steppe große Rinderherden nach Europa. Den Viehzüchtern steht eine gute zusätzliche Nahrungsquelle zur Verfügung: Obwohl auch sie keine Milch vertragen, können sie diese nutzen. Denn sie haben Kulturtechniken entwickelt, mit denen sie die Milch zu laktosefreien Produkten wie Kefir, Joghurt oder Käse verarbeiten.
Später kommt der evolutionäre Zufall hinzu: Bei einigen Menschen verändert sich das Gen, das die Produktion des Enzyms Laktase beim Heranwachsen beendet. Auch als Erwachsene können sie nun Milch trinken. In Zentraleuropa breitet sich die Mutation für diese „Laktosetoleranz“ mit der Weidewirtschaft aus – und zwar in atemberaubendem Tempo! Heute vertragen etwa 85 Prozent der Einwohner*innen in Deutschland Milch, in China dagegen nur etwa fünf Prozent.
Was Zähne erzählen
Wann und wo beginnt der Mensch, Milch in seinen Speiseplan aufzunehmen und systematisch Milchprodukte zu erzeugen? Das möchte Christina Warinner, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, herausfinden. Sie untersucht dafür den Zahnstein uralter Zähne. In der versteinerten Plaque findet sie sowohl Bakterien-DNA als auch Milchproteine. Besonders interessant ist ein Molkeprotein (beta-Lactoglobulin). Es kommt zum Beispiel in der Milch von Schafen, Kühen und Ziegen vor – jedoch nicht in menschlicher Muttermilch. Seine Aminosäuresequenz unterscheidet sich von Tierart zu Tierart. So können die Forscher*innen sogar erkennen, welche Art von Milch wann und wo verarbeitet wird.
© Christina Warinner / Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Jena
Jahrhunderte alter Zahnstein erzählt viel über die Ernährung unserer Vorfahren.
Es gibt nichts umsonst
Die Landwirtschaft bringt den Menschen viele Vorteile, der neue Lebensstil hat aber auch seinen Preis: Das Zeitalter der Infektionskrankheiten beginnt! Große Gruppen leben eng beieinander und haben Kontakt zu Haustieren, aber auch zu Parasiten wie Flöhen und Ratten.
Paläogenetiker*innen kennen heute mehrere fast 5000 Jahre alte Pest-Erreger. Aber woher kommt die Krankheit? Bringen die Steppenbewohner die Pest mit ihren Pferden nach Zentraleuropa oder gibt es die Krankheit schon dort vorher? Das ist schwierig zu beantworten. Denn für den Zeitraum vor 5500 bis 4800 Jahren gibt es nur sehr wenige Skelettfunde in Europa – vielleicht, weil die Pest damals schon wütet und die Menschen ihre Toten verbrennen? Wandern die Steppenbewohner in menschenleere Räume ein? Dafür spricht, dass es kaum Nachweise für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den in Europa lebenden Bauern und den Hirten gibt.
Die Schattenseite der Revolution
Der Übergang von der Jäger-Sammler-Kultur zu Landwirtschaft und Viehhaltung begünstigt die Entstehung neuer Krankheitserreger – das vermuten Forscher*innen schon lange. Im Jahr 2019 können sie es erstmals nachweisen: In einer groß angelegten Untersuchung von menschlichen Überresten, die bis zu 6500 Jahre alt sind, kann das Erbgut von mehrere Jahrtausende alten Salmonella-Stämmen rekonstruiert werden. Die in den Knochen der Landwirte und Viehzüchter gefundenen Salmonellen sind Vorläufer des Bakterienstamms Paratyphi C – ein Stamm, der nur Menschen infiziert und typhusähnliche Symptome verursacht. Die historischen Salmonellen hingegen sind wahrscheinlich noch nicht so spezialisiert und infizieren Menschen ebenso wie Tiere.
© Mediscan / Alamy Stock Foto
Am Beispiel von Salmonellen weisen Forscher*innen erstmals nach, dass das enge Zusammenleben von Bauern und Tieren zu neuen Krankheiten führt.
Vor ca. 8000 Jahren kommt die Landwirtschaft mit Bauern aus Anatolien nach Europa. Sie treffen dort auf Jäger und Sammler und leben meistens nebeneinander. Vor 4800 Jahren folgt eine zweite Einwanderungswelle: Viehzüchter mit großen Rinderherden kommen aus den Steppen des Ostens. Sie sind den Einheimischen kulturell und technisch weit überlegen.
Es ist genug Platz für alle da!
Vor 8000 Jahren treffen in Europa anatolische Bauern auf einheimische Jäger und Sammler. Die Bauern betreiben Ackerbau, haben aber noch kaum Milchvieh. Die beiden Gruppen leben mindestens 2000 Jahre nebeneinander her. Keiner hat großes Interesse, wie die jeweils anderen zu leben: Die Jäger und Sammler sind sehr gut ernährt und gesund, zum Beispiel haben ihre Zähne keine Karies – sie kennen ja kein Getreide, das beim Kauen zu Zucker wird. Sie bekommen aber nur wenige Kinder, da diese viele Jahre gestillt werden müssen. Um ihr Überleben zu sichern, benötigen die Jäger und Sammler nur etwa zwei bis vier Stunden am Tag. Sie haben also sehr viel „Freizeit“.
Die Bauernfamilien müssen dagegen den ganzen Tag hart arbeiten. Aber sie können viel größere Familien ernähren und bekommen deutlich mehr Kinder. Sie leben in Siedlungen und haben Besitz. Würden sie weniger arbeiten, könnten sie ihre großen Familien nicht ernähren. Gibt es doch einmal Konflikte, weichen die Jäger und Sammler in Gebiete aus, die für die Bauern wertlos sind. Platz gibt es in den großen Wäldern genug.
Die Erfindung der Landwirtschaft
Bereits vor 12.000 bis 14.000 Jahren sammeln Jäger und Sammler in der Gegend des heutigen Israel und Jordanien Wildgetreide. Daraus stellen sie Mehl her. Als es vor 13.000 Jahren zu einem Kälteeinbruch mit wenig Regen kommt, geht das Nahrungsangebot zurück. Vermutlich fangen die Menschen deshalb an, Getreide mit besonders „guten“ Eigenschaften auszuwählen und gezielt anzubauen. Schon vor rund 10.500 Jahren züchten sie Emmer, einen Vorläufer des heutigen Weizens. Emmer hat festsitzende Ähren, so fallen die losen Körner bei der Ernte nicht mehr auf den Boden – eine Eigenschaft, die für den Bauern nützlich ist, für ein Wildgetreide aber unsinnig wäre. Auch Gerste gibt es schon sehr lange: Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena vergleichen zusammen mit einem internationalen Forschungsteam 6000 Jahre alten Gerstensamen aus der Nähe des Toten Meeres mit heutigen lokalen Sorten. Sie stellen genetisch kaum einen Unterschied fest. Die Züchtung des Getreides war also schon in der Steinzeit weitgehend abgeschlossen. © nature genetics, DOI: 101038/ng.311
Ein mehr als 6000 Jahre altes Gerstenkorn – gefunden in einer Höhle in der Nähe des Toten Meeres.
Wandel durch Migration und Ideentransfer
Durch Genanalysen wissen wir heute, dass die Landwirtschaft vor etwa 8000 Jahren durch die Einwanderung anatolischer Bauern nach Europa kommt. Doch wer sind diese Menschen und woher kennen sie die Landwirtschaft? Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler*innen bis zu 15.000 Jahre alte prähistorische Skelette von Einwohnern Anatoliens untersucht. Das Ergebnis: Die anatolischen Bauern sind direkte Nachkommen dortiger Jäger und Sammler – ihr Genpool bleibt über mehr als 7000 Jahre lang stabil. In diesem Fall hat also die lokale Bevölkerung neue Ideen und Kulturtechniken übernommen und ihren Lebensstil geändert.
Neue Umwelt – neues Aussehen
Nach dem Ende der letzten Kaltzeit vor 18.000 Jahren leben in Zentraleuropa für die nächsten Jahrtausende Jäger und Sammler mit dunkler Haut und blauen Augen. Diese Menschen essen Fisch und Fleisch und nehmen dadurch viel Vitamin D auf. Die Bauern, die vor 8000 Jahren aus Anatolien nach Europa einwandern, ernähren sich dagegen vor allem von Pflanzen und haben deshalb einen Mangel an Vitamin D. Der menschliche Körper kann dieses Vitamin auch selber bilden – aber nur, wenn genügend UV-Licht die Haut durchdringt. Das ist in nördlichen Breiten jedoch nur bei heller Haut der Fall. So wird helle Haut bei den Bauern zu einem evolutionären Vorteil. Zumal der starke UV-Schutz dunkler Haut, die sich in Afrika entwickelt hatte, hier nicht mehr so wichtig ist.
Doch warum bleiben die blauen Augen erhalten? Sie haben keinen praktischen Vorteil. Vielleicht handelt es sich um ein frühes Schönheitsideal und Menschen mit blauen Augen sind als Partner beliebter?
Überraschende Folgen der neuen Ernährung
Die Laute der menschlichen Sprache sind äußerst vielfältig. Lange wird angenommen, dass schon bei der Entwicklung des Homo sapiens vor ungefähr 300.000 Jahren alle Laute entstehen. Doch eine neue Studie zeigt, dass sich Laute wie "f" und "v" erst vor relativ kurzer Zeit entwickeln – als Folge einer neuen Zahnstellung! Jäger und Sammler haben aufgrund der harten und zähen Nahrung einen „Kopfbiss“. Dabei stoßen die Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers genau aufeinander. Mit der zunehmenden Verbreitung weicher Nahrung setzt sich dagegen ein leichter „Überbiss“ durch. Die oberen Schneidezähne stehen jetzt leicht über die unteren Zähne hinaus. Erst diese Zahnstellung ermöglicht die Bildung neuer Laute, die heute in der Hälfte aller Sprachen der Welt vorhanden sind. Bei diesen Lauten berühren die oberen Schneidezähne die Unterlippe, wie bei der Aussprache von "f".
© Tímea Bodogán
Die Art der Nahrung beeinflusst die Zahnstellung – und die Sprache (links: Kopfbiss, rechts: Überbiss).
Die Milch macht den Unterschied
Bei Säugetieren können eigentlich nur die Kinder Milch verdauen. Sie spalten den Milchzucker (Laktose) mithilfe des Enzyms Laktase auf und können ihn so verwerten. Im Erwachsenenalter endet die Produktion des Enzyms – der Genuss von Milch führt dann zu ernsthaften Verdauungsproblemen. Vor 4800 Jahren bringen die Einwanderer aus der Steppe große Rinderherden nach Europa. Den Viehzüchtern steht eine gute zusätzliche Nahrungsquelle zur Verfügung: Obwohl auch sie keine Milch vertragen, können sie diese nutzen. Denn sie haben Kulturtechniken entwickelt, mit denen sie die Milch zu laktosefreien Produkten wie Kefir, Joghurt oder Käse verarbeiten.
Später kommt der evolutionäre Zufall hinzu: Bei einigen Menschen verändert sich das Gen, das die Produktion des Enzyms Laktase beim Heranwachsen beendet. Auch als Erwachsene können sie nun Milch trinken. In Zentraleuropa breitet sich die Mutation für diese „Laktosetoleranz“ mit der Weidewirtschaft aus – und zwar in atemberaubendem Tempo! Heute vertragen etwa 85 Prozent der Einwohner*innen in Deutschland Milch, in China dagegen nur etwa fünf Prozent.
Was Zähne erzählen
Wann und wo beginnt der Mensch, Milch in seinen Speiseplan aufzunehmen und systematisch Milchprodukte zu erzeugen? Das möchte Christina Warinner, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, herausfinden. Sie untersucht dafür den Zahnstein uralter Zähne. In der versteinerten Plaque findet sie sowohl Bakterien-DNA als auch Milchproteine. Besonders interessant ist ein Molkeprotein (beta-Lactoglobulin). Es kommt zum Beispiel in der Milch von Schafen, Kühen und Ziegen vor – jedoch nicht in menschlicher Muttermilch. Seine Aminosäuresequenz unterscheidet sich von Tierart zu Tierart. So können die Forscher*innen sogar erkennen, welche Art von Milch wann und wo verarbeitet wird.
© Christina Warinner / Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Jena
Jahrhunderte alter Zahnstein erzählt viel über die Ernährung unserer Vorfahren.
Es gibt nichts umsonst
Die Landwirtschaft bringt den Menschen viele Vorteile, der neue Lebensstil hat aber auch seinen Preis: Das Zeitalter der Infektionskrankheiten beginnt! Große Gruppen leben eng beieinander und haben Kontakt zu Haustieren, aber auch zu Parasiten wie Flöhen und Ratten.
Paläogenetiker*innen kennen heute mehrere fast 5000 Jahre alte Pest-Erreger. Aber woher kommt die Krankheit? Bringen die Steppenbewohner die Pest mit ihren Pferden nach Zentraleuropa oder gibt es die Krankheit schon dort vorher? Das ist schwierig zu beantworten. Denn für den Zeitraum vor 5500 bis 4800 Jahren gibt es nur sehr wenige Skelettfunde in Europa – vielleicht, weil die Pest damals schon wütet und die Menschen ihre Toten verbrennen? Wandern die Steppenbewohner in menschenleere Räume ein? Dafür spricht, dass es kaum Nachweise für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den in Europa lebenden Bauern und den Hirten gibt.
Die Schattenseite der Revolution
Der Übergang von der Jäger-Sammler-Kultur zu Landwirtschaft und Viehhaltung begünstigt die Entstehung neuer Krankheitserreger – das vermuten Forscher*innen schon lange. Im Jahr 2019 können sie es erstmals nachweisen: In einer groß angelegten Untersuchung von menschlichen Überresten, die bis zu 6500 Jahre alt sind, kann das Erbgut von mehrere Jahrtausende alten Salmonella-Stämmen rekonstruiert werden. Die in den Knochen der Landwirte und Viehzüchter gefundenen Salmonellen sind Vorläufer des Bakterienstamms Paratyphi C – ein Stamm, der nur Menschen infiziert und typhusähnliche Symptome verursacht. Die historischen Salmonellen hingegen sind wahrscheinlich noch nicht so spezialisiert und infizieren Menschen ebenso wie Tiere.
© Mediscan / Alamy Stock Foto
Am Beispiel von Salmonellen weisen Forscher*innen erstmals nach, dass das enge Zusammenleben von Bauern und Tieren zu neuen Krankheiten führt.
Kooperationspartner
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© Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried / Volker Staiger (Ausschnitt; Bearbeitung durch: kocmoc)