Clemens J. Setz
Echt jetzt?
20 Geschichten, zwischen 33 Seiten und zwölf Zeilen lang, hat Clemens J. Setz in seinem neuen Buch aneinandergereiht. Die Themen könnten unterschiedlicher nicht sein. Aber eines haben die Erzählungen gemeinsam: Sie sind intensiv.
Von Swantje Schütz
Die Geschichten des österreichischen Autors Clemens J. Setz in
Der Trost runder Dinge sind kaum zu glauben. Das heißt aber nicht, dass sie unwahrscheinlich sind. Schließlich existiert sehr viel Irrsinn auf dieser Welt. Es könnte ihn schon geben, den von Angstattacken befallenen Vater, der sich wünscht, sein Sohn hätte auch seine Krankheit, damit dieser ihn, den Vater, endlich verstehen könne. Den Vater, der sich nicht traut, seine Armbanduhr anzufassen: „Sie war kalt, unerträglich glatt und voller Krankheitskeime. Warum sich nicht gleich die Haltegriffe einer Straßenbahn um den Hals binden!“ Den ernst anmutenden Geschichten fehlt es jedenfalls nicht an einem gewissen Humor.
Wie auch diese Stelle zeigt, an der sich besagter Vater die Zukunft seines Sohnes im Jahr 2061 vorstellt: „Stand jeden Tag auf, arbeitete irgendwas, dessen Sinn kein Mensch mehr verstand. Bezahlt wurde er, wie alle Menschen im Jahr 2061, in Anti-Krebs-Nanobots, die direkt in den Blutkreislauf gelangten.“
Was ist schon normal?
Setz war schon mehrfach für den Deutschen Buchpreis nominiert. Seine Geschichten beginnen „normal“, erzählend, beschreibend. Sie nehmen dann aber eine Wendung an, bei der man als Leser verloren gehen kann.Dies geschieht beispielsweise gleich in der ersten Geschichte namens „Südliches Lazarettfeld“. Was für ein Buchauftakt! Er fordert den Leser heraus, lockt ihn aus seiner Komfortzone. Ein österreichischer Autor macht sich auf den Weg nach Kanada zum Austrian Culture Forum. Der Flieger startet nicht, er kehrt um. Seine Wohnung ist jedoch zu seiner Überraschung vollgepfercht mit Menschen in abgeranzter Kleidung, und es stinkt fürchterlich. Seine Frau Marianne kümmert sich um diese Männer, was den Beobachter an ein Lazarett denken lässt. Und obwohl Marianne ihn gesehen haben müsste, geht sie an ihm vorbei und murmelt nur „Unsinn.“ Ende der Geschichte, der Leser ist verdutzt. Waren das Obdachlose? War alles nur geträumt? In Setz‘ Geschichten darf man sich das aber gar nicht fragen. Es ist, wie es ist, immer ein wenig absurd.
Meister des Unbehagens
Nahezu jede Geschichte hinterlässt Fragezeichen, löst Beklemmungen aus. Setz’ Phantasie ist grenzenlos, die Sprache teils nüchtern und exakt beschreibend. Viele seiner dabei entstehenden Bilder sind absolut einleuchtend: „In der Einfahrt lag ein verlorener Wollhandschuh in der Haltung eines angespülten Seesterns.“ Man denkt „Ja, genau!“ und fragt sich gleichzeitig, wo der Autor die absurden Gedankenspiele für seine Geschichten hernimmt. Entweder bringen einen Setz‘ Ideen zum Schmunzeln, oder aber zum Kopfschütteln – mit dem gleichzeitigen Verlangen, das Buch wegzulegen, weil man die grotesken Ideen des Autors manchmal nicht mehr erträgt. Er offenbart sich in fast jeder Geschichte als Meister des Unbehagens. Das wiederum kann aber auch anziehend wirken.Eine seiner wunderbaren Ideen kommt gleich in der ersten Geschichte vor – wunderbar vor allem, weil sie so ernst beschrieben ist: Die Figuren eines Wetterhäuschens haben mit Gewissheit ein zweites Zuhause. Sobald sie sich in ihr Häuschen zurückgezogen haben, treten sie in einer weit entfernten Wohnung ihr Zweitleben an. Eine schöne Vorstellung.
Berlin: Suhrkamp Verlag, 2019. 320 S.
ISBN: 978-3-518-42852-8
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