Gerhard Steidl im Interview
„Bücher müssen Kunstobjekte sein“
Gerhard Steidl glaubt an die Zukunft von gedruckten Büchern. Mit dem Goethe-Institut hat der Verleger von Günter Grass und Karl Lagerfeld jetzt ein Buch auf hundertprozentig ökologische Weise hergestellt. Im Interview erklärt Steidl, wie das geht und was Bücher mit Luxusarmbanduhren gemein haben.
Die Druckindustrie ist eine umweltbelastende Angelegenheit. Wäre es nicht besser, mit dem Drucken von Büchern aufzuhören und Texte nur noch übers Internet zu verbreiten?
Eine Druckerei oder ein Verlag, der nicht über das Know-how verfügt, langlebige, schöne Bücher herzustellen, sollte es lassen und seine Werke lieber ins Internet stellen. Wenn man ein analoges Buch produziert, muss das durch dessen Qualität gerechtfertigt sein. Abgesehen von den Autoren beziehungsweise Künstlern und Autoren, müssen Grafiker, Typografen Bildbearbeiter, Drucker und Buchbinder ihr Bestes geben, um für ein Buch die Voraussetzung von Langlebigkeit zu schaffen. Wer ein physisches Buch kauft, muss ein Kunstobjekt erhalten, das auch noch in 100 oder 200 Jahren in einer Bibliothek steht. Wie eine Luxus-Armbanduhr kauft man ein Buch immer schon für die nächste Generation. Lesefutter für die Reise kann ich mir auch übers Internet herunterladen, das muss nicht unbedingt gedruckt werden.
Der Band „Klima, Kunst, Kultur“ wurde nach ökologischen Grundsätzen produziert. Was bedeutet das genau?
Vor etwa 15 Jahren hat das Öko-Institut in Darmstadt bei uns alle industriellen Prozesse dokumentiert: Wo werden Chemikalien eingesetzt, wo natürliche, wo künstliche Rohstoffe, wie sieht die Energiebilanz aus? Am Ende stand ein Leitfaden zur ökologischen Produktionsoptimierung. Seitdem habe ich immer wieder Fachleute zu Rate gezogen, um etwas zu verbessern. Nur ein Beispiel: Während wir vor 15 Jahren jährlich noch rund 2.000 Liter Isopropylalkohol verwendeten – Isopropyl ist krebserregend und zerstört die Ozonschicht – sind wir mittlerweile bei null.
Und als nun die Anfrage des Goethe-Instituts zu „Klima, Kunst, Kultur“ kam ...
... hatte ich sofort die Vision, dass man den Lesern zugleich auch eine Handreichung geben muss, wie so ein Buch unter ökologischen Gesichtspunkten vernünftig hergestellt werden kann. Diese Handreichung ist im Grunde in das Buch hineingedruckt. Ein Gestalter, Grafiker, Fotograf, Verleger oder Drucker muss sich natürlich weiteres Wissen aneignen. Aber am Ende steht eine nachhaltigerere Produktion.
Kann man das sehen oder riechen, wenn man das Buch in der Hand hat?
Klima Kunst Kultur. Der Klimawandel in Kunst und Kulturwissenschaften. Herausgegeben von Andrea Zell und Johannes Ebert für das Goethe-Institut, 168 Seiten, 32 Euro.
| Copyright: Steidl
Ja, natürlich. Das fängt mit dem auf ein Naturpapier gedruckten Umschlag an. Für die Oberflächenlackierung, die das Ganze kratzunempfindlich macht, verwendet man normalerweise Plastikfolien. Hier ist es ein Speziallack, der sich anfühlt wie Plastik, tatsächlich aber auf Naturwachsen basiert. Dann geht es weiter zum Einband, der ist ungebleicht und sieht aus wie ein Jutesack. Wir verwenden Naturleim, das Vorsatzpapier ist zu hundert Prozent aus Baumwolle und mit Pflanzenfasern gefärbt.
Woraus besteht das Papier im Innenteil?
Das ist eine Spezialität aus den USA, hundertprozentiges Recyclingpapier, was man aber nur an den kleinen Faserbestandteilen erkennt. In der Fabrik werden weiße und bedruckte Papierabfälle sortiert und auch das Entfärben wird in der Papierfabrik selbst gemacht. Das Ergebnis ist ein sensationelles Papier, für das kein einziger Baum gefällt wurde.
Wie sieht es mit der Wasserbilanz aus?
Diese Papierfabrik nutzt, wie die meisten Papierhersteller in Europa, einen geschlossenen Wasserkreislauf. Natürlich muss etwas Frischwasser zugeführt werden, weil bei der Produktion Wasser verdunstet. Es wird aber kein Schmutzwasser abgeleitet. In der grafischen Industrie hat sich eine Menge getan und verändert. All das kann man in „Klima, Kunst, Kultur“ nachvollziehen.
Sie sagen, die Kunst des Büchermachens sei historisch auf einem Höhepunkt, der wohl nie wieder erreicht werden kann.
Der Markt wird nicht mehr wachsen. Immer mehr ehemals gedruckte Informationen wandern ins Internet ab, demzufolge lohnt es sich nicht mehr für Druckmaschinen- und Farbenhersteller oder Papierfabriken, in neue Produkte zu investieren. So gibt es weltweit nur einen einzigen Hersteller für Papiermaschinen, die Firma Voith in Deutschland. Die haben seit 14 Jahren keinen Auftrag für neue Maschinen mehr erhalten und leben nur noch von Reparaturen. Selbst wenn man jetzt eine Papiermaschine bestellte, würde es sieben Jahre dauern, bis sie aufgebaut und in Betrieb ist. Das zeigt schon, dass da etwas stirbt. Nun ist es glücklicherweise so, dass man auf den heutigen Papiermaschinen auch in 100 Jahren noch gutes Papier produzieren kann. Aber es gibt kein Wachstum mehr. Genauso ist es bei den Druckmaschinen, den Farben, der Produktion von Leinen und Vorsatzpapier: All das ist auf einem technischen Höhepunkt. Aber es fehlt der Anreiz zur Weiterentwicklung. In hundert Jahren wird man in der industriellen Produktion davon träumen, noch so drucken zu können, wie man es heute macht.
Bemerken Sie eine steigende Nachfrage nach besonders schön gemachten Büchern?
Ja, ich spüre das bei uns im Verlag. Vor zehn Jahren war eine Preisschwelle für visuelle Bücher sicherlich bei 50 Euro, heute spielt es keine Rolle, ob ein Buch 100 oder 120 Euro kostet, es geht trotzdem. Andere Verlage machen die gleiche Erfahrung. Der Verlag Gestalten beispielsweise in Berlin hat sich entschlossen, nur noch leinengebundene Hardcover zu produzieren. Sie sagen: Wir machen es lieber etwas teurer und liefern beste Qualität ab. Damit machen sie Gewinn, während andere Verlage, die billig, billig, billig produzieren, ständig Marktanteile verlieren.
Wann ist das gekippt?
So vor fünf Jahren. Auch ich habe damals die Entscheidung getroffen, keine Taschenbücher und Paperbacks mehr zu machen. Praktisch unsere gesamte Produktion ist leinengebunden oder in schöne Büttenpapiere eingeschlagen. Viele Verlage treffen diese Entscheidung, um zu überleben: mehr Qualität bieten und dann behutsam den Preis anheben. Und die Käufer, die sich wirklich für ein physisches Buch entscheiden, akzeptieren das.
Welche internationalen Märkte sind besonders attraktiv?
Beispielsweise Asien, weil es da die Buchproduktion, so wie wir sie in Europa kennen, praktisch nicht mehr gibt. In Südkorea gibt es zwar viele Verlage, aber es wird alles in Hongkong oder in China gedruckt, und dort gibt es keine Druckkultur mehr. Die ist gestorben. Es gibt aber viele junge Leute, die drucken lernen und sich damit eine Existenz in ihrem Land aufbauen wollen. In den USA ist es nicht viel anders: Ein fadengeheftetes Buch können Sie dort zwar drucken lassen, die Bindung muss dann aber in Kanada gemacht werden, weil es in den USA keine einzige Buchbinderei mehr gibt, die Fadenheftung macht.
Und wie sieht es in Mitteleuropa aus?
Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Ungarn sind praktisch die Goldminen für die grafische Industrie, da ist das meiste Wissen konzentriert. Die Regierungen dieser Länder müssten ihre grafischen Industrien eigentlich fördern und als Exportartikel verstehen. Eine Aufgabe des Goethe-Instituts könnte doch sein, Grafiker, Gestalter, Typografen, Drucker, Buchbinder in andere Länder zu holen, mit denen Seminare für junge Leute zu machen, damit jemand in Indien, Angola, in Südamerika versteht, wie hochwertige Bücher hergestellt werden. Eine solche Mission würde ich mir wünschen.
Eine persönliche Frage: Sie arbeiten von früh am Morgen bis spät in die Nacht; wann haben Sie noch Zeit, Bücher zu lesen?
Während der Woche garantiert nicht. Aber ich lese relativ viel, vor allem Lyrik, sehr gerne am Wochenende. Ich nehme mir ein Gedicht vor, lese das drei- oder viermal, erst leise für mich, dann laut. Das macht mir sehr viel Spaß. Und dann erobere ich so über die Tage einen Lyrikband. Epische Werke sind wirklich den Ferien vorbehalten. Und ich lese nicht gerne auf Reisen, denn in Flugzeug, Bahn oder Auto schlafe ich immer sofort ein.