Graffitti
Sofioter urbane Landschaften als Flickenteppich
Das Goethe-Institut ist wieder ein bisschen bunter geworden. Die Wand, die sich an der verbindenden Treppe zwischen der Budapesta Str. und der Moskovska Str. befindet, hat einen neuen Anstrich bekommen.
Wir stellen die Künstler_innengruppe vor, die das Wandbild gestaltet hat.
Anfang Mai kamen acht Künstler_innen aus Berlin und Dortmund nach Sofia, um eine Woche lang an ihrem Gemeinschaftsprojekt „Flickenteppich“ zu arbeiten, lokale Künstler_innen zu treffen und mit ihnen zusammen zu arbeiten.
Ihr Name „Flickenteppich“ verstehen sie dabei als Referenz zu den Sofioter Bürgersteigen, die durch Gebrauchsspuren, Verfall und Reparaturen wie ein verrücktes Mosaik aussehen, das aus verschiedenen Steinen, Löchern und Schichten besteht. Ein Muster, das aus verschiedenen Formen, Farben, Steinen mit schönem Klang und Stolperfallen zusammengesetzt ist. Die Künstler_innen nahmen dieses Motiv der Improvisation als Inspirationsquelle und kombinierten es mit Elementen, die sie aus Berlin und Dortmund mitbrachten.
Wie ist das Projekt „Flickenteppich“ entstanden?
Als lose Reisegruppe besuchen wir häufiger Städte im Ausland und bereisen dabei vorwiegend den europäischen Osten, um uns mit der lokalen Urban Art Szene zu vernetzen und Wände zu bemalen. So waren wir 2015 für ein Mural Festival in Prag, zuvor besuchten wir das polnische Wroclaw, sowie mehrere Events im Osten Deutschlands.
Zum einen sind osteuropäische Länder günstiger für deutsche Geldbeutel, zum anderen gibt es hier mehr Leerstand, der bemalt werden kann, sowie – gefühlt – mehr Offenheit für bemalte Wände, so dass sich oft spontan Möglichkeiten ergeben, ohne aufwändige Anträge zu stellen oder viele Formulare ausfüllen zu müssen.
Nachdem wir uns für Sofia als Ziel entschieden hatten, erzählte uns eine Bekannte unter anderem von der Patchworkstruktur der dortigen Bürgersteige, was wir direkt als idealen Ausgangspunkt für das gemeinschaftliche Arbeiten sahen.
Flickenteppich
Was macht für euch den Reiz der Kunst im öffentlichen Raum aus?
Kunst im öffentlichen Raum konfrontiert unmittelbarer und trifft auf ein weniger, beziehungsweise gar nicht filtriertes Publikum. Natürlich hängt es vom konkreten Ort ab, im Generellen werden die Sachen jedoch in von breiteren Bevölkerungsteilen wahrgenommen, als nur von kunstinteressierten Ausstellungsgänger*innen. So kann man das auch gern als Beitrag zu demokratischer Gesellschaft und Standpunktvertretung sehen.
Es ist spannend, eine vorhandene Fläche umzugestalten. Auf einen gegebenen Ort zu reagieren und ihn um einen eigenen Beitrag zu ergänzen.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, nach Sofia zu reisen?
Noch niemand von uns war bis jetzt hier gewesen. Wir hatten bisher nur davon gehört, zum Beispiel über Amanda Fell & LinguCards, sowie über andere europäische Künstler_innen, welche viel Positives von der Stadt berichteten. Auch der bulgarische Graffitimaler xpome war uns schon lange ein Begriff. Es schien uns also ein gutes Reiseziel zu sein, um neue Leute als auch Künstler_innen zu treffen und kennenzulernen, dazu sind Reise und Unterbringung recht günstig.
Natur Kunstgruppe, Fabrica 126, Sofia
Wen habt ihr hier getroffen?
Dank dem Goethe-Institut und der gut vernetzten Szene trafen wir mehrere Akteur*innen der lokalen Kulturszene, namentlich Atanas, Nikolay, Teodora, Vitali, Karla, Tsvetan, Iva und eine freundliche Straßenhundegang.
An dieser Stelle möchten wir uns gerne herzlich bei allen bedanken! Wir waren wirklich überwältigt von der Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit, mit welcher wir aufgenommen wurden. Es hat wirklich Spaß gemacht euch zu treffen und mit euch zu malen!
Loriot, Fabrica 126, Sofia
Welches Bild von Sofia hattet ihr vor eurem Besuch im Kopf und wie hat sich dieses Bild in den paar Tagen verändert?
Wir hatten versucht ohne Erwartungen und unvoreingenommen in diese Stadt zu kommen, aber dann teils schon so ein paar Klischeebilder im Kopf, von Armut, krassen sozialen Differenzen oder Rückständigkeit. Das gibt es auch, aber (natürlich) weniger als gedacht. Wie so oft war die Erfahrung, dass Menschen doch gleich sind, egal wo.
Zebu, Fabrica 126, Sofia
Wer oder was hat euch hier in Sofia inspiriert?
Die Freundlichkeit und Offenheit der Menschen war toll, ein Busfahrer der auf der Rückfahrt aus den Bergen einen Extrastopp eingelegt hat, um uns eine besondere Stelle zu zeigen oder Transsexuelle, die uns – fast aufdringlich – für unsere Wandbilder dankten, dazu das Engagement, mit dem uns lokale Künstler_innen unterstützten.
Und das Unreglementierte, das es (zumindest für uns, auf den ersten Blick) nicht so strikte Begrenzungen und Einschränkungen gibt. Dazu die Gebäude und Bauweisen und die Gehwege, die tatsächlich aus einem wilden Flickenteppich bestehen, mit vielen verschiedenen Mustern und fröhlich klappernden Steinen.
Auch die alten Häuser, Fassaden und Bauweisen waren ebenfalls sehr inspirierend für uns. Gerade in Berlin verschwinden diese Dinge immer mehr hinter glatt gebügelten, sanierten Fassaden.
Johannes Mundinger
Was nehmt ihr nach Hause mit?
Vor allem bei unserem Gemeinschaftsbild an der Wand des Goethe-Institutes musste wir uns alle aus unseren künstlerischen Komfortzonen bewegen, da wir viel auf den Malprozess und die Arbeit der Anderen eingehen mussten. Diese Erfahrung war für uns alle sehr wichtig und gerade im kreativen Prozess ist es notwendig sich daran zu erinnern, es sich nicht zu bequem zu machen.
Und mal wieder: Deutschland ist echt spießig.
Die teilnehmenden Künstler_innen waren:
Dennis Gärtner*
Lynn Lehmann*
Nils Leimkühler** // www.nilsleimkühler.de
Loriot // www.lorione91.tumblr.com / @ichbin3oeltanks
Steffen Mischke // www.steffenmischke.de / @sm.studio82
Johannes Mundinger // www.jmundinger.de / @johannesmundinger
Moritz Neuhoff** // www.moritzneuhoff.de
Ludwig Schult // www.ludwigschult.tumblr.com / @ludwigschult
* Zebu // www.z-e-b-u.com / @z_e_b_u
** Nartur Kunstgruppe // www.nartur.com / @nartur_kunstgruppe
aus Sofia: Task @taskore
Glow @glowgraff