Britta Jürgs im Gespräch
Beruf: Unabhängige Verlegerin
Britta Jürgs gehört zu den bedeutendsten Namen wenn es um unabhängige deutsche Verlage geht. Sie ist die Vorsitzende der Kurt Wolff Stiftung, welche die Interessen unabhängiger Verleger*innen vertritt. Außerdem ist sie auch selber als Verlegerin tätig. Ihr Verlag, der AvivA Verlag, bringt ausschließlich Schriftstellerinnen heraus und setzt sich intensiv mit vergessenen jüdischen Autorinnen auseinander.
Britta Jürgs hat am Internationalen Literaturfestival Sofia 2018 teilgenommen. Zusammen mit der Verlegerin und Übersetzerin Antoinette Koleva hat sie über „Die Rolle des Verlegers in der Gesellschaft“ diskutiert.
Sie sind die Vorsitzende der Kurt Wolff Stiftung – die Interessenvertretung mit fast 20 Jahren Erfahrung in der Zusammenarbeit mit unabhängigen deutschen Verlagen – welche Bedeutung hat eine Einrichtung wie diese für die Literaturszene heutzutage?
Mit der Kurt Wolff Stiftung, zu deren Freundeskreis mehr als 100 unabhängige Verlage gehören, können wir uns für die Belange der unabhängigen Verlage viel stärker einsetzen, als als Einzelpersonen und –verlage. Die unabhängigen Verlage und deren vielfältige Programme werden durch die verschiedenen Aktivitäten der Kurt Wolff Stiftung sichtbarer.
Was sind die Herausforderungen für die unabhängigen Verlage und wie gewinnen diese heute an Bedeutung?
In einer zunehmenden Konzentration im Buchhandel mit wenigen großen Buchhandelsketten, in denen unabhängige Verlage bis auf wenige Ausnahmen gar nicht mehr vorkommen, liegt die Herausforderung darin, überhaupt sichtbarer zu werden und von den Leserinnen und Lesern wahrgenommen zu werden – ohne die Marketing- und Werbebudgets und die Vertriebsstrukturen der großen Konzernverlage.
In der Kurt Wolff Stiftung tun wir das, finanziell unterstützt von der Kulturstaatsministerin, unter anderem durch einen Gemeinschaftskatalog, der in einer Auflage von 31.000 Exemplaren verbreitet wird und in dem sich 65 Verlage präsentieren, sowie durch den jährlich auf der Leipziger Buchmesse vergebenen Kurt Wolff Preis an einen unabhängigen Verlag, der exemplarisch für die Vielfalt der Independent-Verlage steht, und durch viele andere Aktivitäten.
Hat der Verleger/die Verlegerin eine soziale Rolle und muss er/sie überhaupt eine haben?
Ich sehe mich als Verlegerin durchaus in einer sozialen Rolle und mit einer bestimmten Verantwortung. In meinem Verlagsprogramm geht es mir um die Sichtbarmachung des oft vergessenen und vernachlässigten weiblichen Anteils unserer Literatur und Kultur. Und des durch die Nationalsozialisten zerstörten jüdischen Anteils.
Welche Verlagsmaßnahmen aus dem deutschsprachigen Raum können Sie uns aus Ihrer Erfahrung heraus als gute Beispiele mitteilen?
Wichtig für alle Verlage ist bei uns der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Bücher (7% statt 19 %), womit gewürdigt wird, dass Bücher nicht einfach Produkte sind, sondern einen Beitrag zur Bildung und Kultur leisten. Dadurch, dass es bei uns eine Buchpreisbindung gibt, gibt es auch eine zwar schrumpfende, aber immer noch große Dichte an (auch unabhängigen, inhabergeführten) Buchhandlungen – in jeder Buchhandlung, ob klein oder groß, in der Stadt oder auf dem Land, haben Bücher denselben Preis. Für uns Independent-Verlage gibt es darüber hinaus verschiedene tolle Aktivitäten wie den Indiebookday – an einem Tag im Jahr, meist am Samstag nach der Leipziger Buchmesse, wird dafür geworben, ein Buch aus einem Independent-Verlag zu kaufen und das dann auf Facebook mit dem Hashtag #indiebookday usw. zu posten. Viele Buchhandlungen verbinden diese Aktion mit Büchertischen und Schaufenstern und laden Verlegerinnen und Verleger am Indiebookday ein, ihren Verlag vorzustellen.
Wie sehen die Solidarität und die Zusammenarbeit zwischen den Herausgeber*innen heute aus?
Es gibt eine sehr gute Zusammenarbeit und Solidarität zwischen vielen Verlegerinnen und Verlegern, aber es gibt natürlich auch Gegenbeispiele. Ich bin allerdings eine überzeugte Netzwerkerin und ich glaube daran, dass wir gemeinsam mehr erreichen als Einzelkämpfer und Einzelkämpferinnen. Weshalb ich mich in der Kurt Wolff Stiftung engagiere und auch Mitglied bei den BücherFrauen bin, einem Netzwerk für Frauen in der Buchbranche.
Im Herbst 2017 haben Sie 20 Jahre AvivA Verlag gefeiert – welche sind die wichtigsten Lektionen, die Sie aus dieser Erfahrung gelernt haben?
Ich habe die 20 Jahre AvivA Verlag ja in 20 verschiedenen Buchhandlungen überall in Deutschland gefeiert – und das war eine großartige Erfahrung, weil ich dort mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt kam und sie für mein Verlagsprogramm begeistern konnte. Auch ist mir die gute Zusammenarbeit gerade mit den unabhängigen Buchhandlungen sehr wichtig – und es hat mich sehr gefreut, dass diese Idee so positiv aufgenommen (und in diesem Jahr auch ein wenig fortgeführt) wurde. Und eine wichtige Erfahrung aus den 20 Jahren Verlag ist sicher die, dass es sich lohnt, durchzuhalten.
Was würden Sie an die Spitze Ihres Verlagsportfolios bringen, das sie als eigenen großen Erfolg betrachten?
Ich betrachte es als großen Erfolg, vergessene Schriftstellerinnen wie Lili Grün oder Victoria Wolff wieder bekannt gemacht zu haben. Nach der ermordeten jüdischen Schriftstellerin Lili Grün ist in Berlin sogar eine Straße benannt, ebenso wie für eine andere Autorin, die ich verlegt habe, Alice Berend, was allein auf die Buchveröffentlichungen zurückzuführen ist. Und es freut mich enorm, dass Liv Lisa Fries, die Hauptdarstellerin der Serie „Babylon Berlin“, die im Berlin der 1920er Jahre spielt, in Interviews immer wieder erwähnt, dass sie zur Vorbereitung auf ihre Rolle „Alles ist Jazz“ von Lili Grün gelesen hat. Darüber hinaus betrachte ich allerdings eigentlich jedes Buch, das in meinem Verlag erscheint, als Erfolg. Wenn es auch ein Verkaufserfolg wird, wie beispielsweise die deutsche Übersetzung von Nellie Blys Undercover-Reportage aus der Psychiatrie, „Zehn Tage im Irrenhaus“ von 1887, umso besser!