Tanz im Museum
DAS MUSEUM TANZT
William Forsythe bringt nicht nur Tänzer zum Tanzen, sondern choreografiert mit seinen „Choreographic Objects“ auch die Bewegungen des Publikums. Im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) gibt es nun erstmals eine Werkschau dieser Objekte. Ein Interview mit Mario Kramer, Sammlungsleiter des MMK und Kurator der Ausstellung „The Fact of Matter“. *
Von Esther Boldt
Herr Kramer, wie kam die Ausstellung zustande?
William Forsythe und ich kennen uns schon 25 Jahre, also solange ich in Frankfurt bin. Ich habe das Glück gehabt, fast alles zu sehen, was er in dieser Zeit gemacht hat. In den letzten Jahren habe ich seine Choreographic Objects an anderen Häusern verfolgt. Das hat mich veranlasst, darüber nachzudenken, dass das MMK der richtige Ort ist für solche Arbeiten, und Museumleiterin Susanne Gaensheimer sah das genauso. Erste Gespräche über diese Ausstellung gab es vor drei Jahren, als noch nicht absehbar war, dass die Forsythe Company 2015 endet. Jetzt ist uns sehr wichtig zu betonen, dass unsere Ausstellung kein Abschied ist, sondern ein Neubeginn. Es war letztlich ein Zufall, dass sie in diesem Jahr stattfindet.
Was macht den Tanz interessant für Ihr Museum?
Wir waren schon länger auf der Suche nach Arbeiten, die in Richtung von Performance und Bildender Kunst gehen, und es gab ja in den vergangenen Jahren hier auch entsprechende Ausstellungen wie Das Lebendige Museum 2003 mit Arbeiten von Tino Seghal, Tania Bruguera et cetera. Wir interessieren uns für Künstler, die performativ arbeiten. In diesen Grenzbereichen zwischen den Künsten gibt es ja spätestens seit den 1960er-Jahren viele Beziehungen. William Forsythe ist da natürlich eine Figur par excellence. Zugleich war klar, dass seine ausgestellten Arbeiten sowohl zu der sehr anspruchsvollen Museumsarchitektur von Hans Hollein passen mussten als auch zur Sammlung, denn es sollte einen Werkdialog geben.
Die zehn Objekte von Forsythe werden in der Ausstellung mit Stücken aus Ihrer Sammlung in Beziehung gesetzt, die Sie gemeinsam hierfür ausgesucht haben. Was haben Sie sich von diesem Werkdialog versprochen?
Wir stellen viele Werke aus den 1960er-Jahren aus, die zu unserem kollektiven Gedächtnis gehören und die auch Forsythe inspirierten, wie frühe Videoarbeiten von Bruce Nauman und Richard Serra. An Ideen, die es darin von Performance und Bewegung, von Choreografie gibt, kann Forsythe nahtlos anknüpfen. Oder an Fred Sandbacks Untitled, feine Schnüre, die den Ausstellungsraum choreografieren und unser Sehen lenken. Das ist genau das, woran William Forsythe seit Gründung der Forsythe Company arbeitete, die Auflösung der klassischen Bühne. Viele der Choreographic Objects wurden ja aus Bühnenbildern entwickelt, wie die sechzig Pendel von Nowhere and Everywhere at the Same Time, nur dass diese Räume nicht mehr für ausgebildete Tänzer da sind, sondern für normale Museumsbesucher. So geht die Ausstellung weit über das passive Rezipieren von Kunst hinaus.
Damit existieren aber auch zwei Regelsysteme gleichzeitig in der Ausstellung, die für mich die Museumskonvention sichtbar machen: Während die Sammlungsstücke nicht berührt werden dürfen, sollen, ja müssen die meisten Forsythe-Arbeiten angefasst werden. Wie gehen Sie damit um?
Das ist natürlich eine Herausforderung, normalerweise gilt: „Das Berühren der Figuren im Museum ist verboten!“ Aber wir meistern sie durch schriftliche Hinweise und sehr aufmerksame, gut geschulte Museumswärter. Ich finde es toll, dass die Besucher hier ganz andere Erfahrungsmöglichkeiten bekommen. Zugleich gewähren die Arbeiten von William Forsythe einen neuen Blick auf unsere Arbeiten.
William Forsythe (2015) | © Dominik Mentzos Worum geht es für Sie bei den choreografischen Objekten?
In der Ausstellung geht es eher um das Choreografieren unseres Denkens. So findet die Handlungsanweisung „Instruction“ nur in unserem Kopf statt: Die Besucher sollen zwischen ihren Händen eine Linie in den Raum ziehen. Das sind die Momente, die mich sehr interessieren.
Andere Arbeiten allerdings, wie das titelgebende „The Fact of Matter“ oder der hängende Kubus von „A Volume, within which it is not Possible for Certain Classes of Action to Arise“, sind sehr physisch.
Ja. Beide befinden sich in der ersten Ebene des Museums, in der es sehr stark um Mortalität geht. In The Fact of Matter soll sich der Besucher nur mit Hilfe von zweihundert Ringen durch einen Raum hangeln, das ist sehr kräftezehrend. Unter dem Kubus von A Volume sind lediglich siebzig Zentimeter Platz. Forsythe schränkt damit unseren Bewegungsradius extrem ein.
Es gibt also unterliegende Themen auf den drei Ebenen des Museums?
Ja. Die erste Ebene ist sehr hart, auch mit Teresa Margolles Aire — einer Installation, bei der mit Leichenwaschwasser die Luft befeuchtet wird. Das Werk konfrontiert uns mit einer Art Verkörperung des vergangenen menschlichen Lebens. Auf der zweiten Ebene geht es um Grundlagen, dort zeigen wir Forsythes berühmtes Solo auf Video sowie ein Video aus seinen Improvisation Technologies. Auf der dritten Ebene mit ihren Tageslichträumen wird es dann leichter, lichter, dort sind beispielsweise die Pendel ausgestellt.
Mit den „Choreografischen Objekten“ hat Forsythe eine neue Art des Kunstwerks geschaffen, für die wir noch keine Begriffe oder Analyseinstrumente haben.
Der Begriff ist zwanzig Jahre alt, aber ich vermute, dass er sich jetzt erst durch die Ausstellung als kunsthistorischer Terminus manifestieren wird. Der beste Vergleich ist der zum kinetischen Objekt, das sich bewegt und das wir aus der Kunst der 1950er-Jahre kennen, beispielsweise von Jean Tinguely. Aber ein choreografisches Objekt ist etwas anders, es kann zwar kinetische Aspekte haben, wie die Pendel, aber es geht ja weit darüber hinaus. Erfahren kann ich das Werk erst, wenn ich mich durch es hindurch bewege, und zwar gedanklich ebenso wie körperlich.
----
* Das Interview wurde ursprünglich im Jahr 2016 veröffentlicht.