Todor Petev
DAS MUSEUM UND DAS SENIORENPUBLIKUM
Laut Angaben des Nationalen Instituts für Statistik sind zum Juni 2020 über zwei Millionen oder fast 29% der bulgarischen Bevölkerung im Ruhestand, und diese Tendenz ist steigend. Was für eine herrliche Gelegenheit, Besucher in den Museen anzulocken, und den Menschen dieser demografischen Gruppe ein anregendes und angenehmes Umfeld zu bieten! Doch leider scheint das nicht zu passieren, zumindest weisen darauf die verfügbaren Daten zu den Museumsbesuchern, nach Altersgruppen aufgeteilt.
Von Todor Petev
Sogar in führenden Museen wie dem Regionalen Geschichtsmuseum in Pazardzhik, das anlässlich verschiedener Feiertage eine Reihe von Vorträgen in städtischen Seniorenclubs gehalten hat, fällt der Besucherstrom dieser Altersgruppe bescheidener aus [1]. Die erbärmlich niedrigen Renten stellen sicherlich eine der Einschränkungen dar, aber es stellt sich heraus, dass selbst an Tagen, an denen der Eintritt frei (oder fast kostenlos) ist, die Besucher dieser Altersgruppe nicht signifikant ansteigen.
Warum ist das so? Wo reißt der Faden? Was würde diese Altersgruppe motivieren, ins Museum zu gehen und dies zur Gewohnheit zu machen? Liegt das Problem an einem Unverständnis darüber, was Menschen dieser Altersgruppe brauchen und woran sie interessiert sind? Fehlen geeignete Programminhalte? Liegt es am Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Museen? Fehlt es an Räumen für Ateliers, Sozialisation und Erholung in vielen unserer Museen? Fehlt es an passendem Kommunikationsaustausch zwischen Museen und Publikum? Oder hat die Bevölkerung keine Beziehung zu den Museen und keine Gewohnheiten etabliert?
Die Kernfrage für die Organisation eines Museumsbesuchs wäre, wie man mit den bestehenden Seniorengruppen Kontakt aufnehmen kann. Es gibt einige größere Seniorenorganisationen im Land, die die Interessen dieser Altersgruppe schützen. Zum Beispiel der Nationale Verband der Rentner in Bulgarien oder das Nationale Komitee für Senioren – eine Vereinigung mehrerer Rentnergewerkschaften. Die Gemeinden verfügen über Informationen über die Seniorenclubs.
Es entsteht der Eindruck, dass Seniorenclubs, die bestimmte Berufsgruppen vereinen (wie Lehrer, Militär), besser organisiert und zahlreicher sind. „Wir reisen viel, jeder schlägt seine Ideen vor. Das Leben geht weiter, und es ist eine persönliche Entscheidung. Wenn wir zum Beispiel durch das Land reisen, schlage ich vor, Reiseleiterin zu sein – und alle sind damit zufrieden, weil sie wissen, dass ich das wirklich gut kann“, teilt die 81-jährige Boyana Petrichevicha vom Sofioter Seniorenclub „Silberner Herbst“ mit. Der Club hat ein abwechslungsreiches Programm – bei gutem Wetter besuchen sie jeden Dienstag den Park, und jeden Donnerstag besuchen fünfzehn Personen eine Ausstellung oder ein Museum. Vielleicht ist in diesem Fall von Bedeutung, dass der Club hauptsächlich aus Künstlern und Lehrern im Ruhestand besteht. Das Zusammentreffen von älteren Menschen geschieht neben den Seniorenclubs auch in Gemeinschaftskulturzentren, insbesondere in kleineren Städten und Dörfern.
Die Museen können eine Verbindung zu diesen Generationen herstellen unter anderem dank des Reichtums der erlebten Geschichte und dem Wunsch einiger Menschen, die Erinnerungen an ihre Kindheit oder ihre Familien durch Gegenstände so lange wie möglich zu bewahren. Die Kampagne des Nationalen ethnografischen Museums für die Bereicherung des eigenen Bestands mit Gegenständen aus der Zeit des Sozialismus findet logischerweise einen Platz auf den Seiten der Wochenzeitung „Rentner, 19“ [2]. Wird dieser Versuch zur Kontaktaufnahme zu weiteren Initiativen führen, die mit der verbal übermittelten Geschichte verbundenen sind, oder warum auch nicht zur Kuratorentätigkeit seitens des Publikums?
Ausgehend von der mangelnden Personalausstattung können die Museen wohl kaum eine proaktive Initiative für die Senioren-Zielgruppe ergreifen. Dafür könnten sie Unterstützung von NGO-Partnerschaften suchen. Sie könnten nach Freiwilligen [3] oder Praktikant*innen [4] suchen, die im Rahmen der Programme des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft vergütet werden. Die Arbeit mit älteren Menschen beim Museumsbesuch könnte als Tätigkeit und Praktika für Studenten in den Studiengängen Soziologie, Psychologie und Ethnologie eingeführt werden. Auf diese Weise kann auch die so benötigte Forschung von dieser Zielgruppe durchgeführt werden. An kleineren Orten müssten die Museen nach Lösungen durch Verbindungen und persönliche Kontakte in lokalen sozialen Netzwerken suchen.
Und schließlich, wie Frau Dr. Esther Gajek in ihrer Präsentation betonte, sind ein Großteil der Senioren körperlich und geistig aktiv und möchte sich auf die eine oder andere Weise mit dem sozialen Umfeld verbunden fühlen, nützlich und geschätzt sein. Sind unsere Museen und Galerien bereit, Freiwillige im hohen Alter aufzunehmen? Bekanntlich ist diese Praxis in Museen in Deutschland, Russland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten weit verbreitet. Aber bei uns wird dies wahrscheinlich mit Hilfe von NGOs geschehen müssen, welche Kontakte und Erfahrung in der Arbeit mit solchen Gruppen haben. Und wenn die Kultur des Freiwilligendienstes in unserem Land noch schwach entwickelt ist, gibt es Prozesse, an denen Museen aktiv teilnehmen können [5].
Die Diskussion während der Konferenz bestätigte die Aktualität des Themas für die älteren (Nicht-) Besucher in bulgarischen Museen. Ein Zeichen dafür ist auch die Tatsache, dass unter den Themen, die während der für 2021 geplanten nationalen Zusammenkunft „Best Practices. Zeitgenössische Trends und Probleme in der Tätigkeit bulgarischer Museen und Kunstgalerien“ diskutiert werden, das Thema über die Arbeit mit dem Senioren-Publikum vorgesehen ist.
Die Präsentation von Frau Dr. Esther Gajek auf der aktuellen Konferenz gab wertvolle Ratschläge und Richtlinien für solches Handeln. Wir hoffen, dass die Organisatoren dieser Konferenz einen runden Tisch veranstalten werden, an dem Museen und Galerien zusammen mit Vertretern des Kulturministeriums, des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik und anderen Interessengruppen die Verfahrensweisen und Strategien für die Einbeziehung und Partizipation älterer Menschen in der Kultur diskutieren können.
Zum Schluss würde ich gerne eine Reihe von Fragen präsentieren, die die wichtigsten praktischen Aspekte beim Verständnis des Problems aus Sicht der Museen kennzeichnen:
- Sind wir für ältere Besucher zugänglich? (physisch, finanziell, intellektuell und sozial)
- Verfügen wir über Arbeitskräfte, die für die Erstellung und Umsetzung spezialisierter Programme eingesetzt werden können? Wenn wir über keine Arbeitskräfte verfügen, welche Partner könnten uns dabei unterstützen?
- Was können wir dieser Gruppe anbieten? Neue Ideen? Projekte?
- Wo ist diese Gruppe?
- Wer ist sie?
- Wonach sucht sie? Was sind ihre spezifischen Interessen, Wünsche und Bedürfnisse? Wie können wir das herausfinden?
- Wie können unsere Informationen sie erreichen?
- Haben wir direkten Kontakt zu dieser Gruppe und Rückmeldung von ihr?
- Denken wir kreativ über die Rollen nach, in denen wir uns ältere Menschen im Museum vorstellen können?
- Wie kann sich der Kontakt entwickeln und nachhaltig werden?
[1] Siehe Bericht über die Aktivitäten des regionalen historischen Museums Pazardzhik für 2019: https://museum-pz.com/wp/otchet-za-2019/
[2] Senioren, 19. 16.V.2019: www.pensioneri-bg.com
[3] Es ist zu beachten, dass von 2100 freiwilligen Missionen an 243 Orten im Land, die bisher auf der Time Heroes-Plattform (https://timeheroes.org) angekündigt wurden, nur 13 Missionen von Museen und Galerien angeboten wurden, 5 davon – vom Nationalen polytechnischen Museum.
[4] Siehe das vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft organisierte und geförderte Programm, über das die Auszubildenden eine Vergütung erhalten: https://praktiki.mon.bg/
[5] Siehe zum Beispiel das Projekt unter Beteiligung der Stiftung „Tulpe“ und der Universität Ruse „Ausbildung und Freiwilligenarbeit im hohen Alter – neue Perspektiven für Bulgarien, Rumänien und Deutschland“, 2019–2021: https://www.tulipfoundation.net/news/old_thirdage_ruse-554/.