Freie Kunst
Kunst auf Sozialhilfe
Mit dem Beginn des Ausnahmezustandes hat sich der unabhängige Kultursektor in Bulgarien zum ersten Mal auf europäisches Niveau begeben – im Nichts, im Unbekannten. Die Unmöglichkeit, den Schlüsseltätigkeiten des Lebens nachzugehen, eben der Arbeit, hat das Unmögliche vollbracht und es geschafft, nahezu alle freischaffenden Künstler und Organisationen im Kampf für eine adäquate Unterstützung des gesamten Sektors zu vereinen. Das ist eine goldene Chance für Konsolidierung und für eine dauerhafte Anerkennung ihres Nutzens und ihrer Bedeutung. Ob wir diese Möglichkeit versäumen und mit der Zeit verärgert zurückschauen werden?
Von Stefan Prohorov
In Folge langer Treffen und das Formieren von Arbeitsgruppen aus Experten (Expertengruppen), wurden Forschungen angestellt, die die beträchtlichen ökonomischen Dimensionen des unabhängigen Kultursektors gezeigt haben, sowie die unerwartet große Anzahl, der in ihm Beschäftigten. Die gemeinsame Arbeit dieser Gruppen mit dem Kulturministerium hat lange gedauert und zu gewissen Ergebnissen kam es nach langen Diskussionen. In der paradoxalen Situation, in der sich fast jeder von uns befindet, ist es wichtig die Spezifität jedes einzelnen ökonomischen Sektors zu betrachten und wie er am besten unterstützt werden könnte. Im Falle der unabhängigen Kulturszene bedeutet das Ende des Ausnahmezustandes nicht, dass sie sofort anfangen könnte sich zu erholen und zu realisieren.
DIE Risiken für Die unabhängigen Künstlern und ihren Organisationen
Das bedeutsamste Risiko, vor dem die unabhängigen Künstler und ihre Organisationen stehen, ist es, dass sie es nicht schaffen werden, ihre professionelle Tätigkeit in der gleichen Sphäre fortzusetzen. Einfach weil der Kampf um das ökonomische Überleben auf persönlicher Ebene, zu schwer und zu unsicher in seinem Ausgang sein wird.Am logischsten wäre es, die Unterstützung der in der Sphäre Beschäftigten – Künstler, Manager usw. von der Unterstützung der Organisationen zu trennen, ohne welche die Freischaffenden schwerlich ihre Arbeit fortführen könnten. Bis jetzt wurde vom Kulturministerium lediglich das „Werkstipendium zur Unterstützung von jungen und von anerkannten Künstlern und anderen jungen Spezialisten in der Kultursphäre“ bestätigt. Die Unterstützung beträgt drei Mindestarbeitslöhne und ist zugänglich für „Kulturschaffende selbstständige Personen, eingeschlossen selbstbeschäftigte Personen, die im Jahr 2019 auf Basis von Arbeits- oder Honorarverträgen gearbeitet haben, die einen freien Beruf im Bereich der Kultur und der Kunst ausüben und deren Tätigkeit unmittelbar mit der öffentlichen Präsentation eines kulturellen Gutes verbunden ist.“ Wichtig ist die Forderung, ein deklariertes monatliches Einkommen bis durchschnittlich 1000 BGN für 2019 nachweisen zu können.
Die strukturelle Unterstützung besteht bis jetzt in einem geplanten höheren prozentualen Anteil der Ausgaben für Administrationsvorgänge in den zukünftigen Programmen des Nationalfonds „Kultur“. Sowie darin, dass die bis jetzt geplanten Ausschreibungen für diese Programme nicht aufgehoben werden, die eine der Hauptquellen der Finanzierung für fast alle Projekte im unabhängigen Kultursektor darstellen.
Мittelalterliche Konzepte des freien Künstlers
Müssten wir ein Paar Schlussfolgerungen darüber ziehen, wie der Kultursektor unterstützt wird, würden wir erstaunlich mittelalterliche Konzepte des freien Künstlers entdecken. Zum Beispiel, dass er unbedingt arm ist, jedoch mit ritterlicher Leidenschaft die Unmöglichkeit verteidigt, etwas anderes tun zu können. Denn, wenn ein Künstler nicht bereit ist zu hungern oder zumindest mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von bis 1000 BGN zu leben, dann ist er auch kein Künstler. In den Augen seines eigenen Ministeriums, ist er ein Barmann mit einem Hobby. Weiter, wenn er es zufällig geschafft hat mit seinem Werk, als unabhängiger Künstler sogar ein monatliches Durchschnittseinkommen für das Territorium der Stadt Sofia zu erhalten (d.h. über 1000,- BGN), dann hat er mit Sicherheit seine heilige Kunst zu Gunsten merkantiler Interessen verkauft.Weder der nachgewiesene ökonomische Wert dieses Sektors, noch seine Bedeutung für die Anwesenheit Bulgariens auf der Kulturlandkarte Europas (niemand führt eine Statistik darüber, wie viele staatliche Theater Tourneen im Ausland realisieren, an internationalen Festivals oder überhaupt am europäischen Kulturzirkus teilnehmen), noch die Anzahl der darin Beschäftigten sind ein Grund dafür, ihn als etwas anderes als rausgeschmissenes Geld zu betrachten.
Und deshalb werden die elenden Künstler elendige Unterstützung erhalten, in Form von einmaligen Sozialhilfen. Was die Organisationen in diesem Sektor betrifft, sie werden mehr für administrative Kosten als für ihre neue Projekte ausgeben dürfen, die sie in ferner Zukunft organisieren werden, angesichts der vorgesehenen Maßnahmen, die eingeleitet werden sollen.
Man kann sich folgende Absurdität vorstellen – wenn ein freier, unabhängiger Künstler einen Markt findet und einen Weg von seiner Kunst zu leben, und zwar mindestens angemessen, ist er nicht unterstützenswert. Das, obwohl auch ihm genau wie allen anderen untersagt ist, zu arbeiten (in der Sphäre der darstellenden Künsten). Tatsächlich werden die Letzten die Ersten werden.
Doch, lasst uns nicht durcheinanderkommen – es ist wichtig, dass jeder, der durch die aktuelle Situation benachteiligt ist, Unterstützung erhält, deshalb zahlen wir Steuer. Keine Drohung, dass wenn du in den Park gehst, deine Oma notwendigerweise sterben wird, kann den Bedraf nach Unterstützung und Solidarität zwischen allen Bestandteilen unserer Gesellschaft ersetzen. Doch dürfen wir nicht Sozialhilfe mit der Unterstützung des Kultursektors verwechseln.
Zusammenkunft im Sektor der unabhängigen Künstler
Dennoch ist da eigentlich Hoffnung – die beispiellose Zusammenkunft im Sektor der unabhängigen Künstler, hat gezeigt, dass es möglich ist, dass diese große Gruppe von Menschen, die sich im Prinzip untereinander gar nicht so sehr mögen, anfängt für das gemeinsame Wohl zu arbeiten. Es steht der Kampf mit diesem gefährlichen Geist an, der erfolgreich unter den Tätigen unserer Kultur gepflanzt wurde. Dieser Geist, der nachts leise ins Ohr jedes Künstlers flüstert – wer wird mir Geld geben? In einer wundervollen neuen Welt wird die Kunst womöglich wirklich fähig sein, sich völlig vom Staatsapparat zu lösen und wird nichts mehr von der muffigen Luft der Kanzleien aufsaugen. Doch erst nach dem Coronavirus.Bis dahin darf sich niemand mit der Möglichkeit auf einem zinsfreien Kredit zufrieden stellen. Einen solchen gibt es nicht. Der unabhängige Kultursektor ist der Schlüssel zur Entwicklung des Kulturlebens in Bulgarien, weil er ständig dazu gezwungen ist, ums Überleben und mit denen zu kämpfen, denen er zu Gefallen sucht. Er benötigt Unterstützung, eben damit er sich maximal vom bürokratischen Monster emanzipieren und ein vollwertiges Eigenleben führen kann.
Manche Bezirke (Landkreise) haben initiiert und es wird erwartet, dass sie ihre Programme zur Unterstützung des Sektors vorbringen. Bis jetzt adäquat hat nur der Hauptstadt Bezirk reagiert, der kleine Summen für Privatprojekte anbietet, sowie Unterstützung für Kulturräume und -organisationen, die momentan ihre Tätigkeit nicht erbringen können. Die Kandidaten für diese Programme müssen eigene Projekte vorstellen, die sie in baldiger Zeit online verwirklichen können. Dies ist ein Beispiel für eine adäquate Lösung, weil sie auf die Tätigkeit gerichtet ist und auf die Unterstützung der tatsächlichen Arbeit des Künstlers, und genau solche sollte folglich die Hauptunterstützung für den unabhängigen Kultursektor sein.
Die unabhängige Kunst muss auf institutioneller Ebene unterstützt werden, damit sie in Zukunft ohne diese Hilfe anfangen kann, ein eigenes Leben zu führen. Eben weil sie unabhängig ist, kann sie viel schneller dahin gelangen, wo die institutionelle Kunst nicht hingelangen kann und so neue Pfade finden und neue Wege schaffen. Umso strukturierter die Unterstützung ist, die ihr zugutekommt, umso solider wird sie werden.
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