Bauhaus
Bauhaus und das Antlitz des 20. Jahrhunderts

Bauhaus-Gebäude in Dessau
Foto: © Aufbacksalami, Wikimedia CC-BY

Eines sollte vom Anfang an klar sein. Die deutsche Experimentalschule für Architektur und Design Bauhaus ist das Antlitz des 20. Jahrhunderts. Sie kleidete die Welt in abstrakt gemusterten Damast, beschriftete sie mit Grotesk, baute die funktionalen hellen Kästen, in denen wir wohnen und arbeiten, entwarf die Rohrstühle, auf denen wir sitzen, die Gläser, aus denen wir trinken. Sie schuf die Plakate, die wir sehen, das Spielzeug unserer Kinder in Grundfarben und Formen. Sie änderte für immer die Kunst- und Architekturausbildung. Kurz gesagt: Bauhaus ist die einflussreichste Designschule, die je existiert hat. Und in den kurzen 14 Jahren ihrer Existenz (1919 – 1933) brachte sie jene Epoche hervor, die radikal die Welt veränderte, in der wir auch heute leben.
 

2019 begehen wir den 100. Jahrestag der Gründung des Bauhauses und das Thema Bauhaus wird für das ganze Jahr prägend sein, mindestens für die Welt von Architektur und Design. In Deutschland begannen die groß angelegten Feierlichkeiten am 16. Januar mit einem 9-tägigen Eröffnungsfestival an der Berliner Akademie der Künste nach dem Muster der legendären Bauhaus-Partys und besonders der berüchtigten Bauhaus-Augustwoche, die 1923 in Weimar veranstaltet wurde. Das Eröffnungsfestival versammelte experimentelle Tanz- und Theatervorstellungen, musikalische Improvisationen und Konzerte, die Virtual Reality Installation „Das Totale Tanz Theater“ zum Thema „Mensch-Maschine-Beziehung“ sowie eine Puppenschau. Sie alle sollten den Geist von Oskar Schlemmer, László Moholy-Nagy, Walter Gropius und all den anderen wiederbeleben - eine interdisziplinäre, karnevaleske Mischung einzelner Künste und Medien dessen, was der ursprünglichen Bauhaus-Idee zugrunde lag.

Das Webportal bauhaus100 wurde schon 2018 erstellt und präsentiert alle Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge, Festivals und Architektur-Touren, die im Laufe des Jahres 2019 in Deutschland unter dem Motto „Die Welt neu denken“ stattfinden werden. Drei neue Museen werden eröffnet – der neue Flügel vom „Bauhaus-Archiv“ in Berlin (Architekt Volker Staab, der den Wettbewerb 2015 gewann), das „Bauhaus-Museum“ in Weimar (Architektin Heike Hanada, die den Wettbewerb 2011 gewann) und “Bauhaus Museum Dessau”, das vom Architekturstudio „Addenda architects“ in Barcelona nach einem internationalen Wettbewerb 2015, an dem 831 Bewerber beteiligt waren, projektiert wurde.

Das Bauhaus-Jubiläum wird weltweit gefeiert, mit Veranstaltungen und Ausstellungen in London, Moskau, Chicago, Sao Paolo, Tel Aviv, Rotterdam, New Delhi, Lagos…. Deutschland bemüht  sich ernsthaft und gut organisiert, Bauhaus als die größte Kulturleistung des 20. Jahrhunderts hervorzuheben sowie als den bedeutendsten und einflussreichsten Architekturexport des Landes.

Was ist Bauhaus in Kürze

Bauhaus ist ein Produkt des Ersten Weltkrieges, der Avantgarde zu Anfang des 20. Jahrhunderts und der Entwicklung der deutschen Industrie. Sowie der konsequenten Bemühungen, die Bildung in angewandter Kunst in Deutschland zu reformieren, indem Kunst, Handwerk, Industriedesign und Architektur vereint werden, was zu hochwertigen, bequemen und nützlichen Produkten führen sollte. Bauhaus ist natürlich auch das absolute Symbol der Moderne im Bereich der Architektur.

1919 gründete der Architekt Walter Gropius das Bauhaus als Vereinigung der bis dahin existierenden Hochschule für bildende Kunst und der Kunstgewerbeschule in Weimar. Er entwickelte die Idee vom Gesamtkunstwerk und von der totalen Kunst weiter und verfasste ein emotionales Manifest: „Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte! Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“. Auf der Titelseite des Manifestes war der berühmte Holzdruck „Kathedrale“ von Lyonel Feininger abgebildet -  eine dekomponierte gotische Kathedrale, getaucht in Lichtbündeln, nach vorn und nach oben strebend, gekrönt von drei Sternen (Fünfsternen, wenn man genauer sein wollte).

Vom Anfang an schwankte Bauhaus zwischen der romantischen Idee der Einheit von Kunst und Handwerk einerseits und dem utopischen Glauben an Technologie und Fortschritt andererseits. Das Studium begann dort nicht mit Kunstgeschichte, sondern mit praktischen Aufgaben, die in die Grundlagen der Formbildung einführen und bei den Studierenden ein Gefühl für den Raum entwickeln sollten. Man lernte Farben und Materialien, analysierte Flächen und Texturen sowie die Wechselbeziehungen der Elemente. Danach kam man in die Werkstätten – für Glasbearbeitung, Keramik, Metalle, Textil, Skulptur, Druckgraphik usw. Die Zeiten waren schwierig, das Land erlebte die Wirtschaftskrise, deshalb schickten die Dozenten die Studierenden einfach auf den Hof, wo sie den erstbesten Gegenstand in die Hand zu nehmen und Struktur und Natur seines Materials zu analysieren hatten.

Die Schule durchlief in ihrer Entwicklung mehrere Etappen, die sowohl von den Persönlichkeiten der drei Direktoren geprägt waren – des Visionärs Walter Gropius (1919 – 1928), des Kommunisten Hannes Meyer (1928 – 1930) und des apolitischen Fachmanns Mies van der Rohe (1930 – 1933), als auch vom Einfluss und dem persönlichen Charisma der Dozenten und Studenten, darunter Individualisten wie Johannes Itten, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Experimentatoren wie Oskar Schlemmer und László Moholy-Nagy, geborene Talente und  Pioniere in ihrem Bereich wie Josef und Anni Albers, Marianne Brandt, Marcel Breuer und viele andere. Die Richtung war jedoch in all den Jahren eindeutig – radikal neues, allgemein zugängliches und effektives Design,  das das Leben der Menschen modern und bequem machen sollte.

Eine „knisternde“ schwarz-weiße Aufnahme der BBC aus dem Jahr 1973 hat die Erinnerungen des ehemaligen Bauhaus-Studenten Georges Adams aufbewahrt, der kurz und klar die Ideen der Schule zusammenzufassen vermochte:

„Wir wollten den Massenmarkt erreichen, denn, so dachten wir uns, wenn unsere Produkte einen vernünftigen Preis haben, erschwinglich für den Mann auf der Straße, wenn sie schon in den Kaufhäusern verkauft werden, dann könnten wir, selbstverständlich, auch unsere Umgebung verändern. Und somit, dachten wir uns, würden wir auch die Menschen unserer Umgebung in bessere menschliche Wesen verwandeln können.“

In den komplizierten und stürmischen Jahren der Weimarer Republik wanderte die Schule Bauhaus von Weimar über Dessau bis nach Berlin, wo sie am 20. Juli 1933  von den Nazis endgültig geschlossen wurde. Gerade in Dessau jedoch, zwischen 1925 und 1932, erlebte sie ihre besten Jahre. Dort projektierte und baute Walter Gropius innerhalb von einem Jahr das berühmte Schulgebäude, eine freie Komposition von kompakten Parallelepipeden, die Unterrichtsräume, Ateliers, Wohn-, Gesellschafts- und Essensräume vereinigten, mit ihren flachen Dächern, hängenden Glasfassaden und geräumigen sonnigen Treppenhäusern, die seitdem zu Bestandteil eines jeden neuen Schulgebäudes werden sollten sowie zum Symbol der Moderne. Dort schuf das Bauhaus seine berühmtesten Design-Produkte und versuchte, sie in Zusammenarbeit mit der lokalen Industriegemeinschaft in Massenproduktion zu bringen -  die leichten Stühle und Tische aus Stahlrohren von Marcel Breuer, die bemerkenswerten Textilien von Gunta Stölzl und ihren Kollegen, die eleganten Teekannen und Lampen von Marianne Brandt und Wilhelm Wagenfeld, alles Gegenstände, die bis heute als symbolisch für Bauhaus gelten.

Gropius schrieb: „das ziel des bauhauses ist eben kein ›stil‹, kein system, dogma oder kanon, kein rezept und keine mode! es wird lebendig sein, solange es nicht an der form hängt, sondern hinter der wandelbaren form das fluidum des lebens selbst sucht! …“ Ein Bauhausstil wäre nach Gropius ein Merkmal von Niederlage. Bauhaus wurde jedoch gerade dies – ein gut erkennbarer Stil, später als „international“ bezeichnet, das Substantiv Bauhaus übernahm adjektivische Züge und fungiert nun als Attribut: Es gibt Bauhaus-Fassaden, Bauhaus-Volumen, Bauhaus-Mode, Bauhaus-Möbel, Bauhaus-Lampen – mit einem Wort es gibt einen Bauhaus-Stil. Gropius dreht sich wohl um in seinem Grabe. Eine Niederlage ist dies aber dennoch nicht zu nennen.

Wie veränderte Bauhaus die Welt

Die Machtergreifung Hitlers und die endgültige Schließung der Schule zwangen einen großen Teil der liberal denkenden und nazifeindlichen Dozenten und Studenten von Bauhaus, Deutschland zu verlassen. Man erzählt, der vernünftige Mies van der Rohe, der letzte Direktor von Bauhaus, soll in jenem Sommer von 1933 alle versammelt und mitten in Unmengen von Champagnerflaschen verkündet haben, dass dies das Ende von Bauhaus sei und alle fliehen müssen. Schnellstens.

Als Dozenten gingen Walter Gropius, Marcel Breuer, Mies van der Rohe, Ludwig Hilberseimer, Josef und Anni Albers in die USA. Hannes Meyer und eine Gruppe seiner Bauhaus-Studenten gingen in die Sowjetunion mit dem idealistischen Ziel, die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft zu unterstützen. Die Bauhaus-Ideen und die europäische Moderne erreichten viele Staaten, die sich in der Zeit vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im Prozess der Modernisierung befanden. Beeinflusst wurden Israel, die Türkei in der Regierungszeit von Kemal Atatürk, Japan durch japanische Bauhaus-Studenten, Lateinamerika (z.B. Mexiko, wohin in den 1940er Jahren Hannes Meyer ging, nachdem er die Sowjetunion verlassen hatte), Brasilien und viele andere.

Diese Globalisierung der Moderne ist eigentlich das, was wir heute als „internationalen Stil“ kennen. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte der internationale Stil seinen Höhepunkt, besonders in den Geschäftszentren der Großstädte – zuerst in der sogenannten kapitalistischen Welt, nach Stalins Tod auch in den sozialistischen Ländern. Die Verwaltungs- und Schulgebäude, die von Mies van der Rohe in den 1940er und in den 1950er Jahren in den USA projektiert wurden, verwandelten sich in eine Art „Visitenkarte“ der Nachkriegsvariante des internationalen Stils. Die sogenannten „Mies-Boxes“ wurden zu einem Modell, das die Korporationen weltweit gerne annahmen und das die Architekten bereitwillig vervielfältigten.

So wurde der Traum der Vorkriegsväter von Bauhaus von einem globalen Architekturprojekt verwirklicht, mit allen Risiken, die das Flirten mit der politischen Macht unter den Bedingungen des Kalten Krieges mit sich brachte. Die internationale Bewegung der Moderne nutzte ihre Aureole eines Helden aus, der im Nazideutschland verfolgt wurde und der sich schon in den 1940er Jahren als offizieller Stil der westlichen liberalen Demokratie in direkter Gegenüberstellung zum sozialistischen Realismus, der im Einflussbereich der Sowjetunion vorherrschend war, durchgesetzt hatte. Nach Stalins Tod wurde diese Moderne auch im kommunistischen Block erfolgreich als Waffe eingesetzt – im kulturellen „Wettstreit“ mit dem kapitalistischen Westen. Im Endergebnis ist der „Mies-Stil“ überall in den neuen Zentren der Nachkriegsstädte anzutreffen – von Kopenhagen über Istanbul bis Moskau und London. Kein Glashimmelskratzer wäre heute möglich, wenn 1926 Gropius die Glasfassade der Bauhaus-Schule in Dessau nicht gebaut hätte und wenn Mies sie 1956, beim Seagram Building in Manhattan, nicht bis zur Vollkommenheit ausgebaut hätte.

Warum ist das Thema Bauhaus heute, 100 Jahre später, so wichtig

Heute, 100 Jahre später, ist es wichtig, das Bauhaus-Erbe nicht nur als emblematische architektonische Formen und allgemein bekannte Design-Gegenstände zu betrachten, sondern es auch im Kontext der komplizierten und widersprüchlichen Zeit zu sehen, in der es entstanden und untergegangen ist. Es ist kennzeichnend, wie genau die Existenz von Bauhaus mit der Existenz der Weimarer Republik übereinstimmt, jener chaotischen Übergangsperiode in der deutschen Geschichte, in der der neue Künstlergeist Europas mit den Folgen des Erstens Weltkrieges zusammenstieß, mit der Großen Depression, der Hyperinflation und der politischen Instabilität; letztendlich endete alles mit dem Nazismus.

Zur gleichen Zeit, als Walter Gropius 1919 sein erstes Bauhaus-Manifest verfasste, entstand in der gleichen Stadt, in Weimar, nur einige Querstraßen entfernt, die Verfassung der Weimarer Republik. Im Januar 1933, nur sechs Monate vor der endgültigen Schließung von Bauhaus in seinem letzten Zufluchtsort Berlin, wurde Adolf Hitler als neuer Kanzler von Deutschland vereidigt.

Bauhaus existierte nur für kurze Zeit, seine Nachwirkung aber ist gewaltig und nachhaltig. Es ist sicher kein Zufall, dass heute, 100 Jahre später, in Deutschland und weltweit das Jubiläum der Schule unter dem Motto „Die Welt neu denken“ gefeiert wird. Man sollte sich fragen, an was wir uns heute erinnern wollen – ob nur an die bemerkenswerten Design-Experimente und Architektur-Ergebnisse oder an die Kühnheit, mit der eine Gruppe von begabten Künstlern zu glauben wagten, dass sie die Welt verändern können. Sie drastisch zu modernisieren, die Umgebung zu ändern und somit die Menschen in bessere menschliche Wesen zu verwandeln.

Bauhaus und Bulgarien

Das erste Buch, das ich mir vor 20 Jahren als Architekturstudentin gekauft habe, war ein kleines quadratförmiges blaues Büchlein von 59 Seiten, von dem unsere Dozenten im Fach Modellieren im ersten Studienjahr ständig sprachen. Das Büchlein war das „Pädagogische Skizzenbuch“ von Paul Klee, nach dem er seine Vorlesungen am Bauhaus gehalten hatte. Als Architekturstudentin war ich einige Monate früher immatrikuliert worden, nachdem ich drei Zulassungsprüfungen in Malen abgelegt hatte, die eine davon, die sogenannte „Farbenaufgabe“, war wie von den Einführungskursen von  Johannes Itten und Josef Albers in Bauhaus übernommen.

Bulgariens Architekturausbildung verdankt viel dem Bauhaus und die Einflüsse dieser Schule in unserem Land gehen weit über die geometrischen Parallelepipeden, die Metallstühle und die flachen Dächer hinaus, die man gewöhnlich mit dem sogenannten „Bauhaus-Stil“ verbindet. Davon wird nicht viel gesprochen, doch nach 2019 wird sich die Situation wahrscheinlich ändern.

In Bulgarien wird der 100. Jahrestag der Gründung von Bauhaus mit einer Reihe von Veranstaltungen gefeiert (Ausstellungen, Vorträge, Filmvorführungen, Diskussionen), ein Großteil davon in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Bulgarien, das wie alle Goethe-Institute weltweit aktiv an den Jubiläumsveranstaltungen beteiligt ist. Das Ziel ist, nicht nur das Publikum mit Bauhaus bekannt zu machen, sondern auch die Einflüsse und Beziehungen dieser deutschen Schule zu anderen Ländern und Traditionen zu verfolgen.
 
Seinen Anfang nimmt das Jubiläumsprogramm des Goethe-Instituts Bulgarien in Varna. Zwischen dem 23. und dem 28. Februar wird dort ein spezielles Filmprogramm über das Bauhaus angeboten. Im März und April folgen eine Reihe von Veranstaltungen in Plovdiv, Sofia und Russe. Einer der Schwerpunkte ist die Wanderausstellung „Bauhaus Imaginista“, die vom 10. bis zum 31. Mai am Goethe-Institut in Sofia zu sehen sein wird.

Deshalb wird der vorliegende Text im Jahr 2019 nicht der einzige zum Thema Bauhaus bleiben. Und dies mit Recht – letztendlich ist Bauhaus die wichtigste Strömung in Architektur und Kunst des 20. Jahrhunderts, die radikal die Welt veränderte, in der wir leben. So ist es nun einmal.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Zeitung „K“ (März 2019).
 

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