1+1: Kunstszene Deutschland
Ferntreffen mit Mariana Vassileva und Ottjörg A.C.
In Bulgarien und Europa angekommen, traf die Coronavirus-Pandemie unser Kulturprogramm hart und somit eine Reihe von Veranstaltungen, bei denen wir euch interessante Themen und Persönlichkeiten aus der Kunstwelt vorgestellt hätten. Selbst wenn das öffentliche Leben zurzeit stillgelegt ist, besteht immer noch die Möglichkeit, euch diese Personen vorzustellen und über Kunst zu reden. Hier werden wir euch mit den Kuratoren und Autoren bekanntmachen, mit denen wir momentan arbeiten – zurzeit nur online und hoffentlich in naher Zukunft live.
Von Stefka Tsaneva
Nach Ostern wollten wir Eure Ausstellung im Rahmen unseres Projekts „1+1“ in der Galerie des Goethe-Instituts eröffnen. Ziel des Projekts ist, einen Anlass und Raum für künstlerische Begegnungen und Zusammenarbeit zu schaffen. Wie würdet Ihr die künstlerische Praxis der/des Anderen erläutern? Welche sind die Schnittstellen oder die Meeting Points Eurer künstlerischen Praxis und Interessen?
Ottjörg A.C.: Ich glaube es gibt viele Schnittstellen bei unserer Arbeit. Wie wir die Welt sehen und wie sie sich in unseren Arbeiten wiederfinden. Das brauchen wir den Betrachtern und Kritikern nicht zu erklären oder vorschreiben. Was ich an Marianas Arbeit besonders schätze, ja bewundere, ist die Verschränkung von Leichtigkeit und Ernst, die oft punktgenau mit einem besonderen Witz aufwartet. Punktgenauigkeit und den Ernst bekomme ich auch hin, den Witz manchmal, aber von Marianas Leichtigkeit hätte ich in meiner eigenen Arbeit oft gerne ein bisschen mehr.
Mariana Vassileva: In der Kommunikation mit den Anderen sind wir uns ziemlich ähnlich, würde ich sagen, im Hinblick auf die Entscheidung häufiger „den Mensch“ zu sehen. Das Zusammenarbeiten ist für mich sehr wichtig… gerade bei Menschen, mit einer gewissen Haltung zum Leben. Menschen, die „sie-selbst“ sind, die leben, was sie denken, erzählen, was sie sehen. Ich finde Menschen spannend, die für etwas stehen, eine klare Position beziehen, ein Bewusstsein haben für das, was mit ihnen in der Welt geschieht und was sie der Welt antun. In der künstlerischen Praxis beweist sich Ottjörg A.C. als Mensch für mich und als Künstler. Er vertritt die humane Haltung, „Mensch sein“. Ich glaube, dass wir uns vor allem dort künstlerisch annähern und am dichtesten beieinander sind, wo es in unseren Arbeiten um Projekte geht, die im öffentlichen Raum entstanden sind.
ОAC: Wir haben uns über eine gemeinsame Galerievertretung vor 15 Jahren kennengelernt und schätzen seither die Arbeiten des anderen. Was unsere Arbeit betrifft, sind wir zwei Einzelkämpfer, die durch die Welt streunen, mit der Sehnsucht nach einem Ort, der einen Schutz bietet, uns aber einen größtmöglichen Freiraum für unsere Arbeit lässt.
Wir haben uns sehr über die Möglichkeit gefreut, im Goethe- Institut in Sofia auszustellen, was uns die Möglichkeit gibt, die Arbeiten des anderen nicht nur zu kennen, sondern auch etwas gemeinsam zu entwickeln. Um dem Ganzen ein Mehr an Ausgewogenheit zu geben, kam uns gleich die Idee, parallel zu der Ausstellung in Sofia, auch einem Raum, über den wir in Berlin verfügen, zu bespielen. Klar haben wir uns am Anfang vorsichtig angenähert, etwas im Trüben gestochert, Brain Storming, formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten unserer Ansätze und Konzepte herausgearbeitet.
Es wurde klar, dass ein Teil der Skulpturen/Objekte von Mariana, die perfekt für die Ausstellung in Sofia passen würden, bei ihrer Residenz in der Vila Tarabya in Istanbul entstanden sind und auf die Abholung warten. Somit war die Idee geboren, dass wir in einem Transporter von Sofia nach Istanbul fahren, um die Arbeiten dort abzuholen. Die zwei Einzelkämpfer bewegen sich also in einer Art Kapsel, das Auto, das den Schutzraum bildet, durch das Land, das Mariana aus ihrer Kindheit und Jugend vertraut ist, das sich verändert hat und das Ottjörg kennen lernen will. Dieser Weg durch das Vertraute/Fremde, die Kommunikation die dabei zwischen den beiden Künstlern stattfindet, wird aufgezeichnet, anschließend editiert und zu einem Teil der Ausstellung.
MV: Ich stimme absolut zu.
Mariana, für Dich würde das eine Rückkehr nach Bulgarien. Ottjörg, für Dich ist Sofia eine neue Entdeckung. Ihr beide seid viel unterwegs und international aktiv. Welche Rolle spielt der konkrete Ort und der lokale Kontext für Eure Praxis?
MV: Ich war eigentlich nie richtig weg. Wir Künstler arbeiten in einem Raum, der in seiner Größe durch nichts behindert wird, da ist zwischen Raum und Zeit keine Grenze… wenn man so möchte… Das Denken verschafft mir das größte Studio aller Zeiten. Da sind meine Erinnerungen, Erfahrungen, Fragen zum Heute und zum Morgen und die ewige Suche nach dem Sinn, für das was ich und warum ich das tue.
Einen konkreten neuen Ort sehe ich zuerst mit meinen Augen. Beeindruckt von dem Äußeren. Vielleicht mache ich auch Bilder oder ich bin so beeindruckt, dass ich das vergesse. Das was mich bewegt, bleibt in mir, formt sich durch Erfahrungen, Wissen und Unwissen, Sehnsüchte, und die Arbeit mit dem Medium. ES sucht sich Wege, an der Realität teil zu nehmen.
Natürlich möchte ich etwas bewegen, aus dem Grund habe ich die Visuelle Sprache entwickelt. Ich bin nicht mächtig in Diskussionen. Das ist nicht mein Weg. Ich brauche nur ein wenig, dass Jemand mich nicht emphatisch anschaut und… ich bin weg.
… und dann fängt für mich die eigentliche Arbeit an… wenn es sich lohnt, immer verbunden mit der Frage: Was will ich ändern? Wenn ein Werk zum Nachdenken anregt, etwas Spannendes verbirgt, im besten Fall zum Handeln treibt, dann ist die Arbeit richtig auf dieser Welt.
OАC: Ich bin ein Mensch, der fest im Raum verankert ist. Als ich aufwuchs, war der Raum nicht konstant, während die Zeit schon dekonstruiert war. An der Schwelle von der Kindheit zur Jugend habe ich meine vertraute Umgebung verloren und so baue ich seither Orte in den Gesamtraum, die ich dann miteinander vernetze. Diese Orte geben mir dann eine temporäre Heimat. Dazu brauche ich an diesen Orten Örtlichkeiten, die mich reizen und herausfordern und andere, an denen ich mich wohl fühle und zur Ruhe komme und ich brauche Menschen, die mich an ihren Narrativen teilhaben lassen. Daraus entwickle ich dann mein Arbeiten. Das, was ich bislang von Sofia kennengelernt habe, vermittelt mir die Überzeugung, dass es für mich eine reichhaltige Stadt ist, auch wenn ich derzeit in Wohnhaft bin.
OAC: Ökonomisch schwierige Zeiten sind wir gewohnt. Ich glaube, die meisten Künstler kennen die Situation, dass ein bereits zugesagtes Projekt, in das schon eigene Mittel geflossen sind und das uns finanziell hätte über die nächsten Monate tragen sollen, plötzlich weg bricht. Das ist nie einfach, aber eben nicht ungewöhnlich.
Ein Theater-Intendant in Deutschland sagte, dass Theater normalerweise eine Pause, eine Unterbrechung zur Reflektion im Alltag der Menschen bedeutet. Nun ist das Theater selbst unterbrochen und muss mit dieser Unterbrechung umgehen. Paul Cezanne sagte dem ähnlich, dass die Zeit sich so schnell bewegt, dass es die Bilder braucht, um einen Moment anhalten und ihn für die Reflektion öffnen zu können. Und nun erleben wir in unserer Lebensspanne erstmals das Gefühl, dass die Zeit sich nicht beschleunigt, sondern verlangsamt. Das ist das Ungewöhnliche.
Wir Künstler gestalten unsere Arbeit und damit unseren Alltag selbst. Ich kenne keinen Künstler, der sagt: „ich mach jetzt 14 Tage Urlaub“. Und nun wird uns von außen eine Pause auferlegt, die wir so nicht akzeptieren können oder wollen. Für die ersten zwei oder drei Wochen ist das kein Problem. Es gibt genug Dinge, die man schon lange mal oder jetzt gerade dringend fertig machen muss. Aber wie weitermachen? Wir wissen nicht, wie lange die Einschränkungen gelten. Einen Monat, zwei Monate oder fünf? Wie wird die Welt nach der Krönung des Virus aussehen? Wird das was uns beschäftigt hat, uns dann auch noch beschäftigen? Wie kann man sich und seine Arbeit in einer solchen Situation strukturieren?
Ohne Zweifel ist das eine existenzbedrohende Krise, aber welche (neue) Rolle hat oder wird die Kunst haben? Werden sich die Strukturen des Kunstbetriebs und die Art und Weise der Kunstproduktion und wie die Kunst mit dem Publikum kommuniziert, ändern und wie?
Kunst, Kultur waren immer existenzbedroht und folglich auch die Künstler. Sokrates, Bildhauer und Philosoph, wurde zum Tode verurteilt, Rembrandt hat man die Radierpresse gepfändet, Malewitsch verschwand und Majakowski so wie Walter Benjamin haben sich das Leben genommen. Von allen den Talenten, die in KZ´s, Gulags oder in der Kunstmühle (Thomas Bernhard) zermahlen oder marktgerecht zugerichtet wurden, ganz zu schweigen.
Welchen Künstlern eine ausreichende bis üppige Existenz zugestanden wird, ist immer ein Geflecht aus Macht und gesellschaftlichem Konsens. Insofern bildet die Kunst, die einem größeren Publikum sichtbar wird, einen guten Seismografen für dieses Zusammenspiel.
Im interntionalen Kunstbetrieb war bis zu Covid 19 soviel Geld wie nie zuvor im Umlauf, aber verteilt auf immer weniger Galerien und immer weniger Künstler. In den USA wurde bei „occupy wall street“ der Slogan 99% populär, also dass diese 99% vom Wirtschaftswachstum der letzten 20 Jahre nichts abbekamen. Der Haken macht den Sportschuh zu Nike, auch wenn er unter Menschen unwürdigen Verhältnissen genäht wurde.
Der Kunstbetrieb bildet das genau ab. Um einen Pop Künstler bei einer Ausstellung zu haben, werden diesem hohe Gagen geboten und die übrigen Künstler gehen leer aus, bei Androhung von Strafe, wenn sie darüber reden. Der Kurator muss diesem System folgen, denn ohne eingeführte Marken, sprich Pop Künstler, keine Sponsoren, keine große Ausstellung, kein blinkender Leuchtturm und kein Besucherrekord.
Ich hatte bereits nach der Finanzkrise 2009 gehofft, dass sich die Situation ändert, aber wie im Finanzsektor hat sie sich eher noch verfestigt und beschleunigt. Ich glaube aber, dass seit 2009 der gesellschaftliche Konsens bereits begonnen hat, deutlich auseinander zu bröckeln. Dies war in den letzten Jahren, die ich in Südamerika lebte, deutlich zu spüren. Die Verarmung auf der einen und die zunehmende Gewalt von offizieller und inoffizieller Seite zeichnete sich im Straßenbild der südamerikanischen Städte seit Jahren immer intensiver ab. Für diese Menschen wird die existenzielle Bedrohung, auch wenn sie nicht mehr von Covid 19 ausgeht, weiter steigen.
Die Frage, die im Raum steht, ist, werden BlackRock und Vanguard im Einklang mit Google, Facebook, Amazon und Alibaba mit ihrer Kapitalmacht weiterhin verantwortungsvolle Regierungen unter Druck setzen können zu Gunsten dieser 0,1%, um auch mit dem Mittel der Militärs die Situation unter Kontrolle zu behalten? Solange dies der Fall ist, wird es den uns bekannten Kunstbetrieb weiter geben mit Auktionsgewinnen in Millionenhöhe, alleine um zu beweisen, dass das System noch funktioniert.
MV: Der menschliche Körper ist so komplex, so großartig, dass wir ihn immer wieder einer Zerreißprobe unterziehen. In seiner Schönheit und Funktion ist er gewaltig, was schon die alten Griechen erkannten. Sie erfanden die Olympischen Spiele, vermutlich im 2. Jahrtausend v. Chr. und feierten die athletische Gestalt als Wunder der menschlichen Zivilisation. So gilt es bis heute. Wenn ein Mensch ein neues Maß in einer Sportdisziplin erreicht, feiern wir die Wettkämpfer manchmal so, als hätte jeder von uns diesen Sieg errungen. Wir als Menschen sind so stolz darauf. Es wirkt, als mussten wir schon immer nach Beweisen suchen, dass das humane Gebilde, fast so gut, fast so stark und fast so perfekt ist, wie eine Maschine.
Wir wollten so schnell sein, wie unsere Gedanken. Seit 1989 haben wir www und das Internet. Nachdem wir Raketen und Spaceshuttle ins All geschickt haben und uns heute an vielen grossartigen technischen Errungenschaften erfreuen, stellen wir auf einmal fest – wie von Ferne werden wir erinnert –, dass wir nicht nur Gehirn sind, sondern auch Körper und dass dieser Körper, wenn auch sehr belastbar, nur durch einen klitzekleinen Fehler brechen kann.
Ein winziges, unbekanntes, gewalttätiges Teilchen kommt, und der Organismus ist nicht mehr unter Kontrolle, urplötzlich bringt es nicht nur uns Selbst, sondern in rasender Geschwindigkeit, die ganze Gesellschaft in Gefahr. Diese Totalität ist es, die wir erleben. Absolute Globalisierung. Wir alle haben einen Feind, gemeinsam, über alle willkürlichen Grenzen hinweg, eine Todes-Bedrohung.
Wir alle müssen auf unsere Hände und Nase und Mund achten... der Atem ist tödlich… Wir waren lange nicht mehr so sehr Körper, wie jetzt. Wie aus dem Nichts ist etwas da, das uns kontrolliert… und es gibt eine Menge Vertreter, die besser wissen, wie wir leben sollen.
Vielleicht, weil ich in einem totalitären Staat aufgewachsen bin, nutze ich sehr oft eine Methode – die des Hinterfragens. Jetzt kommt mir dieses mickrig kleine, nur unterm Mikroskop sichtbare Etwas, als der größte Künstler vor, ein Künstler, der unsere Welt hinterfragt:
Wir alle erleben gerade eine Zerreißprobe. Biologisch…wie politisch. Hält mein Organismus durch? Hält in dieser unerwarteten Katastrophe die Wirtschaft stand? Hätte man es kommen sehen können? Warum wurde nicht früher eine Impfung, ein Medikament entwickelt? Ähnliche Erkrankungen gab es schon…
Vielleicht sollten wir noch mal zu spüren bekommen, wie fragil wir sind und ich hoffe, dass wir dadurch humaner werden können. Es ist ein sehr harter Weg das zu lernen, aber vielleicht brauchen wir das, um unseren Horizont zu öffnen. So viele Menschen sterben immer noch an Hunger in unserer Welt, so viele dürfen nicht ihre eigene Meinung sagen, so viele dürfen nicht zur Schule gehen… oder sie existieren nicht, weil sie keinen Pass haben. Wenn es uns zu gut geht, sehen wir das Unheil um uns herum nicht mehr.
Jedes Individuum auf der Welt möchte, kann und sollte sich auf seine Weise frei fühlen und sehr viel Respekt und Aufmerksamkeit für die Anderen, die Tiere und die Natur haben. Und wem es sehr gut geht, der könnte anderen Menschen auf seine Weise helfen.
… und diese verdammte Gier nach Macht hört nicht auf... es gibt, gerade jetzt, immer noch Kriege! Ja, der Corona Virus und der Krieg im Duell. Wer wird zuerst fallen? Wer wird zuerst den Menschen zerstören? Und eine Handvoll Menschen ist nicht nur Beobachter. Der Mensch ist die Pest.
MV: Ich hoffe sehr, dass wir nach der Krise besser Bescheid wissen, mehr über unser System erfahren haben, in dem wir leben… von den negativen Eigenschaften, den Menschen nachteiligen „Errungenschaften“ lernen… Ich hoffe sehr, dass wir unsere Freiheit wieder erlangen können …
Werden wir wie früher einfach ins Kino, ins Theater, in die Oper, in Clubs, Restaurants und Cafés gehen können… einfach so? Werden wir wieder zur Arbeit, zur Schule aufbrechen oder einfach im Park miteinander sitzen... wie früher?
Gibt es ein Bewusstsein der Natur selber, von dem wir jetzt erst erfahren? …das sich jetzt erst bemerkbar macht und die rasante Geschwindigkeit in unserem Leben in eine Entschleunigung zwingt und uns sogar zum Stillstand bringt… Aber werden wir wirklich aufhören? Wo unser Wissensdrang, unsere Neugier so groß ist und uns das „Fliegen müssen“, in den Genen liegt?
OAC: „Als letztes stirbt die Hoffnung, was dann noch bleibt, ist die Eitelkeit“
An diesem Punkt stehen wir nicht, im Gegenteil.
Der deutsche Schriftsteller Friedrich Hölderlin, vor genau 250 Jahren geboren, meinte, dass Krisenzeiten, Umbruchzeiten die große Zeit der Kunst seien, (was nicht gleich zu setzen ist mit dem Kunstbetrieb und dem Kunstmarkt.) Vieles was normalerweise verborgen im Sediment schlummert, würde nach oben gespült und durch Künstler sichtbar gemacht. Wenn Hölderlin recht hat, müsste die nächste Dekade eine Blüte der Künste hervorbringen. Mit einem Impfstoff gegen das Virus wird die Krise nicht zu Ende gehen. Die sozialen Verwerfungen werden dann sehr deutlich hervortreten.
Seit Descartes die Welt in ein duales System simplifiziert hat, Res Extensa und res Cogitans, also in den Körper und den diesen treibenden Geist, hat diese Zweidimensionalität immer weiter Raum gegriffen. Heute durchdringt die digitale +/- Spannung alle menschlichen Lebensbereiche. Das duale System Leistung verlangt, dass alles unter faster, bigger, better, evaluiert wird. Es kann nur gewachsen oder geschrumpft werden. Auch der Kunstbetrieb hat sich dem börsianischen System unterworfen. Der Homo Oekonomikus bewertet Kunst unter der Maxime des finanziellen Gewinns oder Verlustes.
Aber das Leben ist anders, es folgt anderen Regeln, die wir oft nicht kennen. Dem trägt selbst die physikalische Quantentheorie Rechnung. Deswegen folgt auch die Kultur, also die Wissenschaft und die Kunst, anderen Regeln.Das gleiche Lied kann uns in einem bestimmten Moment total zuwider sein und in einem anderen direkt und tief ansprechen. Theodor W. Adorno meint: „Kunst ist Magie – befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“
Wenn also Kunst sich zugesteht, nicht wahr und nicht Ware zu sein, sich also aus den Klammern einerseits politische oder erzieherische Wahrheiten vermitteln zu müssen oder andererseits börsianisch sich in der Rolle eines Blue-Chips zu gefallen, entsprechend seines finanzökonomischen Gewinns oder Verlustes, dann wird sie in den kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle spielen. Sie wird als Teil dieses „mythischen“ Dritten dazu beitragen können, Prozesse offen zu halten und nicht erneut in die Falle zu tappen, „lieber heute eine Entscheidung treffen, als morgen eine bessere.“
Der Markt, auch der Kunstmarkt ist kein Gott, er ist von Menschen gemacht, er ist Teil unserer Kultur. Es geht in den gesättigten Märkten nicht um Qualität, sondern um Machtaneignung und Meinungsführerschaft. Wenn wir also unsere Kultur nicht einfach denen überlassen wollen, die es in den letzten Dekaden am besten verstanden haben, unsere Gesellschaft auszurauben, und ich glaube, das wollen viele nicht, dann brauchen wir eine Wandlung der Kultur und das geht nicht ohne Kunst.
Vielen Dank für das Gespräch. Wir sind sehr gespannt auf die Ausstellung und hoffen, dass wir sie später zeigen können.