Anita Beckers und Julia Sökeland
Wir möchten neugierig auf Videokunst machen
Ihre Vorliebe für Bewegtbilder und der sich ständig wandelnde Kunstmarkt bewegen die deutschen Galeristinnen Julia Sökeland und Anita Beckers dazu, blinkvideo.de, eine Plattform zur Recherche von Videokunst, Performances und Multimedia-Installationen, zu gründen. Seit 2012 bietet sie kuratierte Programme, Informationen und Links zu spezifischen Forschungsthemen rund um das bewegte Bild. Im Gespräch mit den Gründerinnen Deutschlands führender Plattform für internationale Bewegtbildkunst.
Von Simona Ganeva
Könnten Sie sich bitte zunächst unseren bulgarischen Leser*innen vorstellen, die blinkvideo möglicherweise nicht so gut kennen? Was war der Grundgedanke für die Schaffung der Plattform? Und was hat Sie in die Welt der Videokunst gebracht?
Julia Sökeland: Schon während meiner Galerietätigkeit mit der art agents Galerie in Hamburg, habe ich mich sehr eingehend mit dem bewegten Bild beschäftigt. Besonders die Recherche nach Arbeiten gestaltete sich in den 1990er und beginnenden 2000er Jahren umständlich, sodass ich mir immer gewünscht habe, aktueller und umfangreicher nach Filmen suchen zu können. Dann kam ein schnelleres Internet hinzu und daraus wurde die Idee für blinkvideo geboren.
Anita Beckers: Seit Beginn meiner galeristischen Tätigkeit Mitte der 90er Jahre habe ich schon erste Medienkunstausstellungen der Italienerin Alba D‘Urbano in Darmstadt gezeigt. Ab 1998 in der Galerie in Frankfurt hatten wir einen zusätzlichen Videoraum, den wir stets parallel zu anderen Ausstellungen bespielten. Dies war zu der Zeit noch relativ ungewöhnlich. Werke von Bjørn Melhus und Yves Netzhammer haben wir sehr früh präsentiert. Daraufhin bekamen wir viele internationale Anfragen für Sichtungskopien und dies führte zu einem enormen Arbeitsaufwand. Als das Internet mit all seinen digitalen Möglichkeiten Einzug in die Büros hielt, wurde die Idee geboren, den Austausch von Videos mittels digitaler Möglichkeiten zu vereinfachen.
Julia Sökeland kannte ich bereits aus ihrer Tätigkeit als Galeristin mit Nasim Weiler und durch Zufall begegneten wir uns wieder und stellten fest, dass wir beide an der gleichen Idee arbeiteten. Daraus ist blinkvideo entstanden. Julia Sökeland verfügte zu dem Wissen über die Videokunst über alle technischen Kenntnisse, die man zur Umsetzung der Plattform brauchte. Sie ist und bleibt die treibende Kraft hinter dem Portal.
Wie hat sich blinkvideo im Laufe der Jahre verändert?
Julia Sökeland: Wir sind mit blinkvideo als Rechercheplattform gestartet und haben im gesamten Kunstbetrieb nach Anregungen gesucht. Wir haben Kurator*innen gebeten, Features zu Themen oder auch Ihre Favoriten vorzustellen, haben mit Galeriekolleg*innen interessante Künstler*innen ausgesucht, auf Festivals geschaut und z.B. die Preisträger*innen zusammengestellt, auf Kunstmessen und bei Sammler*innen nachgefragt. Daraus ist ein umfangreiches Archiv entstanden.
In den letzten Jahren kamen dann immer mehr Kooperationen mit Museen und auch mit dem Goethe-Institut in verschiedenen Ländern dazu. Wir haben bei Museen zum Beispiel Ausstellungen begleitet und zusätzliche Arbeiten, die den Hintergrund oder das Umfeld beleuchten, gezeigt. Und in und mit den Goethe-Instituten themenbezogene Filme von Künstler*innen aus den jeweiligen Ländern und Deutschland zusammengestellt.
Diesen Bereich, der auch ohne Passwort zugänglich und zeitlich begrenzt ist, wollen wir immer weiter ausbauen. Damit hoffen wir auch breitere Kreise für die Videokunst zu interessieren und zu Liebhabern zu machen.
Können wir behaupten, dass das Betrachten von Videokunstwerken an einem bestimmten Ort, in Museen oder auf einer großen Leinwand ein völlig anderes Seherlebnis bietet als das Betrachten auf einem kleinen Laptop-Bildschirm?
Julia Sökeland: Natürlich ist die Präsentationsform von Videokunst sehr wichtig und es macht einen großen Unterschied sie im Ausstellungsraum – Museum, Galerie, Kunstverein oder einem anderen geeigneten Ort – anzuschauen. Die Künstler*innen legen sehr häufig auch fest, wie die jeweilige Arbeit gezeigt werden soll. Und es gibt ja auch Mehrfach-Projektionen oder ortsspezifische Arbeiten, die auf dem Bildschirm noch viel schwieriger nachvollziehbar sind. Daher verstanden wir uns auch als Rechercheplattform und nicht als Ort, der eine perfekte Präsentation der Arbeiten garantieren kann. Wir bieten vor allem einem professionellen Publikum eine Möglichkeit des Sichtens und der Auswahl für die Präsentation in Ausstellungen.
Mit der Öffnung der Plattform für ein breiteres Publikum sehen wir uns ebenfalls als Anregung und möchten neugierig machen, die Videos und Filme real zu erleben.
Anita Beckers: Im Mittelpunkt steht für mich stets die „Erzählung“ und an dieser möchten Menschen teilhaben. Die Videokunst oder der Film sind lediglich ein „Transportmittel“ und demzufolge werden sie im virtuellen Raum weiter existieren und sich je nach neuen technischen Entwicklungen adaptiert nutzen lassen.
Vielleicht kommen wir an einen Punkt, wo die Videokunst oder der Kurzfilm nur noch in Form von Rechten gehandelt werden und eine Plattform wie blinkvideo bekommt nochmals eine neue Relevanz. Siehe Netflix.
Anita Beckers: Persönlich konnte ich nach unserem Umzug in die City von Frankfurt aufgrund der neuen Räumlichkeiten viel weniger Bewegtbild zeigen. In letzter Zeit haben wir neue Möglichkeiten in der Galerie ausprobiert, diesen Zustand wieder zu ändern. Für mich fühlt sich das wie ein „Nachhausekommen“ an. Mein Ansatz war stets: alle künstlerischen Medien gleichberechtigt zu behandeln und somit den Betrachter*innen bessere Vergleichsmöglichkeiten im zeitgenössischen Kunstschaffen zu ermöglichen. Da das bewegte Bild aber anderen Zeigebedingungen unterliegt und man es in der Regel nicht wie ein Bild an die Wand hängen kann, könnten sich für blinkvideo in der Zukunft Möglichkeiten ergeben, die es auszuschöpfen gilt.
Julia Sökeland:
Ich finde es spannend, wie sich der künstlerische Film und die Videokunst im Laufe der Jahre verändert haben, welche gesellschaftlichen Themen aufgegriffen werden und natürlich auch welche Einflüsse es weltweit gibt.
Erinnern Sie sich an das erste Video, das auf blinkvideo hochgeladen wurde oder an einige der ersten Künstler*innen, mit denen Sie zusammengearbeitet haben?
Julia Sökeland: Ich weiß nicht mehr genau, welcher Film es war; denn wir haben natürlich nicht mit einem, sondern sofort mit einer Gruppe von Künstler*innen begonnen. Sehr eindrücklich in Erinnerung geblieben sind mir die Filme von Ene-Liis Semper „FFREW“ und „Oasis“. Sie hat 2001 Estland auf der Biennale in Venedig repräsentiert und ihre Filme haben wir mit als erste auf blinkvideo gezeigt.
Anita Beckers: Auch von Anfang an mit dabei war Bjørn Melhus. 1998 sah ich die ersten Arbeiten von ihm, für die er den Marler Videokunstpreis erhalten hatte. Dies war die Initialzündung für mich, die Entwicklung dieser Kunstform mit der Galerie schwerpunktmässig zu begleiten. Momentan läuft auf blinkvideo das Online-Screening-Programm Shooting Ghosts, das in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Bulgarien zustande gekommen ist. Haben Sie jemals mit Künstler*innen aus Bulgarien gearbeitet bzw. bulgarische Künstler*innen auf Blinkvideo präsentiert oder ist dies das erste Mal?
Julia Sökeland: Wir sind vereinzelt im Rahmen von Vorstellungen von Festivals auf die eine oder andere Künstler*in aus Bulgarien gestoßen. Das Schöne an dem hier vorgestellten Programm ist aber, das es von expliziten Kennern der bulgarischen Kunstszene zusammengestellt wurde und in der Breite einen tollen Einblick gibt. Wir hatten schon länderbezogene Programme zum Beispiel von chinesischer oder brasilianischer Videokunst, um nur sehr weit entfernte zu nennen. Eine Schau von Bulgarien zeigt blinkvideo das erste Mal und hier einen herzlichen Dank an Kalin Serapionov und Krassimir Terziev für die sehr persönliche und eindrucksvolle Zusammenstellung.
Anita Beckers: Ich kenne und schätze die bulgarische Künstlerin Mariana Vassileva sehr und punktuell haben wir schon zusammengearbeitet, besitzen ein Werk in unserer privaten Sammlung und werden uns weiter für sie engagieren. Was sind Ihre Eindrücke von den im Rahmen des Programms Shooting Ghosts gezeigten Videowerken?
Julia Sökeland: Kalin Serapionov und Krassimir Terziev haben Arbeiten ausgesucht, die sehr phantasievoll mit den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 30 Jahre umgehen, sowohl den politischen als auch den globalen, die mit der Digitalisierung zu tun haben.
Die Vielschichtigkeit der Ebenen wird schon bei dem ersten Film „Ear Cleaning“ von Veneta Androva deutlich. An einem digital erzeugten 3D Frauenkopf wird die intime Handlung einer Ohrreinigung vollzogen, während die „Frau“ Hassbotschaften, rassistischer, aggressiver Art flüstert, die im bulgarischen Internet kursieren. Man versucht sich anzustrengen, die Botschaften zu verstehen, nah an den Monitor heranzukommen, um dann von den Inhalten abgestoßen zu werden. In ähnlicher Weise verbinden auch die anderen Filme subtil verschiedene Ebenen.
Anita Beckers: „Geschichten“, auch in der Videokunst, werden auf dem Boden von Vorerfahrung weitererzählt. Die Globalisierung hat uns unsere Unschuld genommen, jede individuelle künstlerische Äußerung läuft Gefahr unter dem Radar des Internets bewertet zu werden.
Dennoch sind alle Videos aus dem Programm Shooting Ghosts ein Zeugnis dafür, dass Geschichten über Grenzen hinaus auf ähnlichen menschlichen Erfahrungen aufbauen, ihr kulturelles Umfeld einbeziehen und dann aber auch bestätigen, dass das Internet auch zu einem Demokratisierungsprozess über die Verfügbarkeit von Wissen und Informationen beigetragen hat.
Anita Beckers: Der Videokunstmarkt unterliegt den gleichen Spielregeln wie der übliche Kunstmarkt, auch wenn er im Verhältnis dazu sehr klein ist. In der Regel haben die Kuratoren, Galeristen und auch die Sammler die Instrumente, den Markt zu dominieren, in dem sie immer wieder gleiche künstlerische Positionen featuren. Wahrscheinlich war das immer so. Es gibt weltweit nicht so viele Videokünstler*innen, die sich durch ihr künstlerisches Werk eine Art Alleinstellungsmerkmal erarbeitet haben, wie z. B. Candice Breitz, William Kentridge, Matthew Barney, Marina Abramovic, Bill Viola. Demzufolge sind ihre Arbeiten auch auf den wichtigen Ausstellungen immer wieder vertreten. Die Gründe für eine Art Monopolisierung entstehen m. E. durch globalisierte Netzwerke.
Versuchen Sie deshalb auf blinkvideo auch weniger bekannte Kunstwerke zu zeigen?
Anita Beckers: Die oben genannten Positionen benötigen keine Sichtbarkeit auf einer Internetplattform mehr, aber all die vielen interessanten künstlerischen Arbeiten, die oft nur kurz auf einem Festival oder einer Ausstellung gezeigt werden.
Julia Sökeland: blinkvideo ist als ein Instrument für Kurator*innen gedacht gewesen und diese kennen die einschlägigen Filme der bekannten Künstler sowieso. Wir möchten ein Ort sein, wo man Entdeckungen machen kann. Das müssen nicht zwangsläufig ganz junge Künstler sein, sondern solche, die auf dem Kunstmarkt noch nicht überall auftauchen. Manchmal sind es Wiederentdeckungen oder sie kommen aus Ländern, die international noch nicht so präsent sind. Wir geben den Künstler*innen mit ihren Werken eine Öffentlichkeit und mittlerweile gibt es viele Künstler*innen, die häufig in Ausstellungen gezeigt werden. Denken Sie, dass die Kunstwelt im Allgemeinen im Laufe der Jahre demokratischer wird?
Anita Beckers: Das wäre wünschenswert, aber dies hängt von so vielen schwer beeinflussbaren Faktoren ab. Hier ist ein kapitalstarker Markt entstanden, der mit allen Mitteln des Kapitalismus verteidigt wird. Allerdings gibt es auch den sogenannten Mittelstand, der den größten Teil der Künstler*innen repräsentiert und hier scheint es - ausgelöst durch die Coronakrise - dass sich doch neue „demokratischere“ Möglichkeiten entwickeln könnten. Ausgang offen!
Julia Sökeland: Es gibt ja neben dem Kunstmarkt mit seinen Marktmechanismen, noch einen weiten Bereich in der Kunst – und auch gerade bezogen auf neue Medien -, der parallel existiert. Vieles was zum Beispiel in den Kunstvereinen verhandelt wird, spielt auf dem Kunstmarkt gar keine Rolle. Die Werke sind eher ephemer, Performances z.B., die nur temporär existieren oder internetbasierte Arbeiten, auch Filme, die frei ins Netz gestellt werden. Die Frage bleibt dann nur, wie kann man für Künstler auch außerhalb der üblichen Marktmechanismen eine Existenzgrundlage schaffen. Ausstellungshonorare – so wie Theaterschauspieler für ihre Aufführungen bezahlt werden, sind da ein Schritt in eine demokratische Richtung. Der Berufsverband der bildenden Künstler*innen fordert das seit Jahren und einige deutsche Bundesländer – Berlin, Hamburg, Brandenburg – führen diese gerade ein oder zahlen sie teilweise bereits.