Mario von Kelterborn
Sammeln ist so viel mehr als Kunst kaufen
Seit über zwanzig Jahren widmet sich Mario von Kelterborn der Kunstsammlung von Kelterborn, für die er zusammen mit seiner Frau Julia im Jahr 1997 die ersten Werke erwarb. Die Sammlung fokussiert sich auf Videokunst und Fotografie mit Schwerpunkt auf sozialkritische Werken. Wir sprachen mit dem deutschen Kunstsammler über seine Liebe zur Kunst, über die Rolle, die die zeitgenössische Kunst in der Gesellschaft heute einnimmt sowie über Vorurteile gegenüber Menschen, die die Möglichkeit haben, Kunst zu kaufen und die Notwendigkeit, die öffentliche Haltung ihnen gegenüber ein wenig zu ändern.
Von Stefka Tsaneva
Bestimmt werden Sie sehr oft gefragt, wie Sie angefangen haben Kunst zu sammeln und was Sie dazu bewegt hat. Ich würde die Frage etwas anders stellen: Was bringt Sie dazu, heute, in dieser seltsamen Zeit wirtschaftlicher, politischer und sozialer Unsicherheiten, immer noch Kunst zu kaufen und sich für Kunst zu interessieren?
Kunst ist kein „Nice to Have“, sondern ein „Must Have“. Gerade in unsicheren Zeiten bzw. in Zeiten, in denen sich viel verändert, finde ich es besonders wichtig, nach denen in der Gesellschaft Ausschau zu halten, die besonders kreativ sind und die Welt aus unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachten. Künstler*innen tun das. Und kommen auf Ideen, auf die die Menschheit nicht verzichten darf.
Wie entscheiden Sammler*innen wie Sie und Ihre Frau (Julia von Kelterborn, Anm.d.Red.), die hunderte von Kunstwerken haben, welche Kunstwerke Sie im eigenen Haus hängen, welche Sie im Museum ausstellen und welche einfach im Depot lagern?
Grundsätzlich können wir auf alle unsere Werke zugreifen. Da wir keine eigene Ausstellungsfläche haben, reagieren wir gern auf Leihanfragen von Ausstellungshäusern und führen auch eigene Ausstellungen durch. Zuhause gibt es natürlich andere Beschränkungen als im Museum. Video ist schwierig, Installationen so gut wie unmöglich. Insofern hängt auch bei uns das meiste einfach an der Wand. Aktuell tauschen wir zwei großformatige Richard Mosse Fotografien gegen eine 5-teilige Arbeit von Taryn Simon, die aus einer Präsentation der Sammlung im Museum Weserburg in Bremen „freigeworden“ ist. Und wie wir zuhause etwas hängen, ist nicht bewusst kuratiert.
Wie arbeiteten Sammler*innen mit Kurator*innen zusammen? Wo ist die Grenze zwischen dem eigenen Geschmack und dem kuratorischen Gesamtüberblick über die Sammlung?
Kunst passiert im Netzwerk. Austausch ist ganz wichtig. Bei uns entscheiden wir. Aber natürlich fragen wir nach, sprechen mit Kenner*innen und Kurator*innen, deren Meinung uns wichtig ist. Über die Jahre hat sich ein Sammlungsschwerpunkt sowohl im Medium als auch im Thema herausgebildet. Und damit ist es gar nicht so schwer, neue Arbeiten in das Sammlungsthema einzubinden, da wir meist Arbeiten mögen, die das bestehende Sammlungsprofil ergänzen und neue Blickwinkel hinzufügen.
Wer war der/die Künstler*in oder welches war das Kunstwerk, das Sie letztens besonders beeindruckt hat?
Hicham Berrada’s Arbeit „Présage (09.05.2019, 10:15)". Da wird durch das Mischen von Substanzen und chemischen Reaktionen in einem Reagenzglas in zehn Minuten die Entstehung der Welt gezeigt. Zwischendrin erwachsen für wenige Momente unglaublich schöne Bilder von Landschaften und geheimnisvollen Unterwasserwelten aus dem nichts, die viel mehr an Malerei erinnern als an eine zeitgenössische Videoarbeit. Manchmal denkt man, es gab schon alles. Stimmt nicht.
Welches Kunstwerk würden Sie gern besitzen, können es aber nicht kaufen?
Hito Steyerls ausverkaufte Arbeit HOW NOT TO BE SEEN: A Fucking Didactic Educational .Mov File, 2013 und Gary Hill’s Documenta 9-Arbeit Tall Ships. Beide Arbeiten würden unsere Sammlung perfekt ergänzen.
Der Schwerpunkt Ihrer Sammlung liegt auf sozialkritischen Werken. In unserem Kulturprogramm setzen wir seit diesem Jahr auch einen Schwerpunkt auf das Thema “Kunst und Politik”. In dieser Hinsicht wäre meine Frage: Was ist der Zusammenhang zwischen Kunst und Politik heute?
Das ist eine schwierige Frage. Für mich sind Kunst und Politik Teil derselben Medaille. Kunst kann Ideen hervorbringen, Menschen begeistern, aber auch Werte vermitteln. Politik sollte auf Werten fußen, eben auch Menschen begeistern, damit man folgt und sich sicher fühlt, das Richtige zu tun. Politik braucht auch Kreativität, muss ausgetretene Pfade verlassen, um auf gesellschaftliche Änderungen klug zu reagieren.
Kunst denkt weit voraus. Davon kann Politik lernen.
In einem Interview, das im Kunstforum in 2018 erschienen ist, unterhalten Sie sich mit Michael Stoeber über ihre Herkunft aus Ostberlin und über den Osten und den Westen. Sind Ost und West weiterhin geopolitische Orientierungen? Teilt sich auch die Kunst(-szene) in Ost und West auf?
Das kann ich nur subjektiv einschätzen. Aber komplett zusammengewachsen sind Ost und West sicher nicht. Ich denke, dass dabei zwei Themen besonders wichtig sind:
1) Viele Menschen in der ehemaligen DDR vermissen eine angemessene Wertschätzung für ihre Lebensleistung;
2) und ist man in einigen Regionen noch immer unerfahren im Umgang mit Zuwanderern.
Die Gesellschaft in der ehemaligen DDR war sehr homogen. In der Sammlung haben wir Künstler*innen aus der ganzen Welt. Selbst die vielen, die seit langem in Berlin leben, kommen fast ausnahmslos von woanders. Meine Ostvergangenheit spielt sicher eine große Rolle dabei, dass ich Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven betrachte und vieles hinterfrage.
Der eigentliche Anlass für unser Treffen, das leider wegen der Pandemie noch nicht realisiert werden konnte, war das von Ludwig Seyfarth kuratierte Videokunstprojekt. Erzählen Sie uns über die Videokunstwerke in Ihrer Sammlung und übers Sammeln von Video und Film.
Ja, sehr schade. Aber Projekte lassen sich nachholen. Das Bewegtbild kam vor etwa zehn Jahren in die Sammlung und ist zusammen mit Installationen heute dominierend. Ich bin mit Fernsehen und Kino aufgewachsen. Für mich waren Filme das Fenster zu Welt. Ich mag sie und kann mir ein Leben ohne Film nicht vorstellen. Insofern war es nur folgerichtig, dass Videokunst den Weg in unsere Sammlung gefunden hat. Ich muss Kunstwerke nicht zu Hause sehen können, um mich daran zu erfreuen.
Und wir haben keine Angst davor, dass eine große Installation als USB Stick mit Zertifikat und Installationsanleitung geliefert wird. Die größten Geschichten entstehen sowieso im Kopf.
Leider nicht wirklich, aber ich hoffe, durch das Videokunstprojekt, von dem man ja auf blinkvideo.de schon etwas im Netz sehen kann, einen besseren Einblick zu bekommen und auch interessante Künstler*innen persönlich kennenzulernen.
Wie bezieht sich eine private Sammlung auf die breitere Öffentlichkeit oder auf das Publikum? Sollte sie öffentlich zugänglich gemacht werden und wenn ja in welcher Form?
Wir versuchen ohne Unterlass, möglichst viele Arbeiten in Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu sind etliche Arbeiten auf unserer Webseite aufgeführt. Allerdings haben wir keine eigenen Ausstellungsflächen und planen das auch nicht. Wir arbeiten sehr gern mit öffentlichen Institutionen zusammen und unterstützen dort, da die öffentlichen Häuser nicht die Möglichkeit haben, am Puls der Zeit umfassend zu sammeln und deshalb auf Unterstützung angewiesen sind. Mir ist aber wichtig hinzuzufügen, dass
Sammeln so viel mehr ist als Kunst kaufen, zu Hause aufzuhängen bzw. öffentlich auszustellen.
Mario von Kelterborn (geb. 1969) widmet sich seit über zwanzig Jahren der Kunstsammlung von Kelterborn, für die er zusammen mit seiner Frau Julia im Jahr 1997 die ersten Werke erwarb. Der Fokus der Sammlung liegt vorwiegend auf Videokunst und Fotografie international bekannter Künstler*innen zu gesellschaftskritischen und politischen Themen.